Ein Wanderseminar ist der Versuch eines leeren Seminar-Formats: Keine Führung, null Organisation, zielloses reisen, nicht-kommerziell, ohne Thema, kein Weg vorgegeben und auch kein Inhalt. Nada. Nur psychohygienische Arbeit in Abendgruppen, wenn gewünscht. Die Gruppe trifft sich zur Vorbesprechung und konsensual wird die Destination gewählt und der Treffpunkt.
Eines von hunderten Seminaren führte nach Algerien - Ende der 80er Jahre. Von Algier ging es mittels Autostop und per Araber-Busse in Richtung Tamanrasset in die Hoggar-Berge. Nach 2000 km kamen wir nach In Shalah, das genauso aussieht wie es sich anhört. Mächtige rote Lehmhäuser mit ganz kleinen Fenstern, wegen der Hitze. Die "Straßen" von West nach Ost sehr breit, so dass die Dünen durch wandern können und von Nord nach Süd ganz enge Gässchen, um den Sand leicht hinaus zu schaufeln. Die Gruppe wollte zu Abend essen und wir betraten ein Café, in dessen Dunkelheit nur zwei weiße Punkte leuchteten. Sie gehörten zu einem Afrikaner namens Pathe Wadee, der uns eine Linsensuppe empfahl. Wie üblich in einem Blechteller...
Im Zuge unseres Kennenlernens bemerkte er, dass er aus dem Senegal stamme und sowieso plane, Europa zu besuchen. Er erbat sich meine Visitenkarte und freute sich über die Einladung ins Büro auf einen Kaffee. Ich dachte mir nichts weiter dabei, aber kurz nach meiner Rückkehr erhielt ich von ihm eine Postkarte, dass er bereits in Algier sei. Mir wurde klar, dass er es ernst nahm mit seiner "Europa-Tournee". Ein paar Wochen später erhielt ich Nachricht, dass er in Budapest sei und am Bahnhof schlafe. Das sei unkomfortabel und ich solle ihm doch 500 Schilling schicken, damit er sich etwas zum Essen kaufen könne. Dieses Ersuchen wiederholte sich einige Male, bis er mich wissen ließ, dass er endlichen nach Wien komme. Ich solle ihn doch an der Grenze abholen, was ich gerne tat. Wir schafften auch ganz leicht die Ausreise aus Ungarn, nur die Einreise nach Österreich gestaltete sich schwierig wegen der Frage des Zöllners, ob er denn Geld hätte. Ich meinte, dass ich ihm einiges geben könne, aber diese Versicherung reichte nicht aus, seine Einkommenslosigkeit weg zu argumentieren. Wir mussten also leider wieder völlig deprimiert nach Ungarn zurück, was aber nicht so schlimm war, denn 14 Tage später stand er bei mir im Büro.
Nach anfänglichen Startschwierigkeiten lernte er recht rasch Deutsch, bewarb sich bei der Koch-Fachschule am Judenplatz, wurde aufgenommen und absolvierte diese erfolgreich. Inzwischen hatte er auch eine Österreicherin geehelicht und zwei Kinder gezeugt. Er pachtete ein Lokal im 16. Bezirk und führte dieses recht erfolgreich. Eines Tages tauchte er wieder auf mit der Neuigkeit, er habe 7 Hektar Strand-Areal im Senegal gleich neben dem Club Med gekauft und plane die Errichtung eines Kral-Hotels. Die Pläne hatte er sich von einem renommierten Architekten ganz billig erstellen lassen. Er brauche lediglich € 300.000 und dann wäre man auch beteiligt. Meine mehrmaligen Versuche, das Geld bei Banken aufzustellen scheiterten leider kläglich.
Ist es nicht unglaublich, was der Wille eines Menschen vermag? Ich habe es nie bereut, Schlepper wider Willen geworden zu sein.