Spätestens seit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers ist die Diskussion um mögliche Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan und Syrien wieder eröffnet. Ehrlich gesagt, ich bin da zwiegespalten. Ich glaube, im ersten Moment kann sich wohl niemand so richtig frei davon zu machen, jemanden, der einen so brutalen Mord begeht wie der radikale Islamist in Mannheim, gleich in den nächsten Flieger setzen zu wollen. Noch dazu, da er ein abgelehnter Asylbewerber ist. Sollte es stimmen (die Ermittlungen laufen noch), dass der junge Afghane Sympathien hegt für die Taliban, dann würde man wohl sagen: "Ja, dann soll er doch zurück zu seinen anderen Brüder im Geiste." Vielleicht.
Aber möchte ein Rechtsstaat sich so seiner Verantwortung entziehen? Sollen die Angehörigen des getöteten Polizisten damit leben, dass der Täter womöglich in Afghanistan frei herumläuft anstatt in Deutschland im Gefängnis zu sitzen? Kann ja sein, dass die durchgeknallten Taliban so jemanden als Held feiern.
Und wird da nicht etwas übersehen? Denn es gibt im konkreten Fall um den afghanischen Täter noch ein ganz anderes Problem, das mir in der bisherigen Debatte zu kurz kommt. Der Mann ist 25 Jahre alt, 2014 kam er als Geflüchteter nach Deutschland. Da war er also erst 14 oder 15 Jahre, ein Jugendlicher, unwahrscheinlich, dass er da schon radikalisiert war. Was man bisher über ihn weiß, war er das auch nicht, er galt durchaus als "gut integriert", er fiel nicht auf, hat eine Frau und zwei Kinder.
Die Frage ist also vor allem auch, wie es sein kann, dass er sich erst hier in Deutschland radikalisiert hat. In die Fänge welcher Extremisten ist er geraten, durch das Internet, durch eine Moschee, was sind die Gründe? Das sind wichtige Frage, die geklärt werden müssen, um weitere Radikalisierungen zu verhindern oder ihnen zumindest effektiver entgegentreten zu können. Schiebt man den Täter hingegen ab, schiebt man auch diese wichtigen Fragen so ein bisschen zur Seite. Deutschland entzieht sich da seiner Verantwortung, die Gründe für die Radikalisierung in diesem Land zu nennen.
Genauso problematisch finde ich, dass nun wieder Syrien ins Spiel kommt. Ein Land, das Politik und Medien in den letzten zwei, drei Jahren schon vergessen zu haben schienen. Offenbar weil man glaubt, der Krieg sei vorbei. Und nicht wenige, auch in der Politik, glauben daher, man könne nicht nur syrische Straftäter abschieben, sondern generell bei der Gelegenheit über die "Rückführung" von syrischen Geflüchteten in ihre Heimat nachdenken.
Auch hier ist das Problem: Der Krieg in Syrien ist nicht vorbei, auch nach nunmehr dreizehn (!) schlimmen Jahren nicht. Er wütet nur nicht mehr so heftig, es gibt tatsächlich Regionen, in denen so eine Art Ruhe eingekehrt ist, die vielleicht sogar "befriedet" sind, zumindest wird dort nicht mehr gekämpft. Nicht wenige sagen daher: Syrien ist wieder sicher.
Denen sei gesagt: Selbst wenn der Krieg vorbei ist, ist es dennoch nirgendwo in Syrien sicher, jedenfalls nicht für Geflüchtete, die nicht nur vor dem Krieg, sondern auch vor dem diktatorischen Regime geflohen sind. Und in den Augen dieses Regimes sind diese Geflüchteten Vaterlandsverräter, Oppositionelle oder gleich Terroristen. Kehren diese Menschen in ihre einstige Heimat zurück, droht ihnen Schlimmes, nämlich Inhaftierung, womöglich Folter und der Tod. So wie das syrische Regime in den letzten fünf Jahrzehnten der menschenverachtenden Diktatur mit seinen Gegnern umgegangen ist. Und das kann ganz normale syrische Bürgerinnen und Bürger betreffen, die vor Krieg und Terror geflohen sind.
Würden also syrische Straftäter nach Syrien abgeschoben werden, landen diese erst recht mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in den Folterkellern. Das bedeutet aber: Wir entledigen uns der Straftäter und schicken sie womöglich in den Tod. Aus sehr gutem Grund gibt es in Deutschland keine Todesstrafe. So aber würde man sie mit einer Abschiebung nach Syrien - und vielleicht auch nach Afghanistan - zumindest in Kauf nehmen. Ist das der Weg eines Rechtsstaates?