Ablenkung für Denkfaule - das unverdiente Glück der CDU/CSU mit der AfD

Die AfD wird vom politischen Establishment und Medien hart angegangen. Sie eignet sich wunderbar, um von Fehlern der Regierenden abzulenken. Besonders die CDU profitiert vom Verruf der Protestpartei.

Trotz Flüchtlingskrise und zeitweiligem Schulz-Hype: Die CDU ist zurück. Bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein lag sie unerwartet klar vor der SPD. Eine weitere gute Nachricht für die Partei von Bundeskanzlerin Merkel ist das Abschneiden der AfD. Die schaffte mit 5,9% knapp den Einzug in den Landtag des nördlichsten Bundeslandes. Die Mehrheit für die bisherige, sozialdemokratisch geführte "Küstenkoalition" ist damit futsch.

Beim Umgang der Parteien mit der AfD muss ich oft an den Bibelspruch vom Splitter im Auge der anderen denken. Der Fingerzeig in die andere Richtung eignet sich wunderbar, um vom Balken im eigenen Antlitz abzulenklen. Die Erfahrung der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 zeigt indes: Im Umgang mit einer neuen, politischen Protestbewegung müssen die großen Volksparteien angesichts der 5%-Hürde schon sehr große Fehler machen, damit aus ihr hervorgegangene Parteien nicht wieder von selbst verschwinden. In der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik gelang es einzig den Grünen, sich langfristig zu etablieren. Sie war aus der Anti-Atomkraft-Bewegung heraus entstanden. Die WASG konnte sich 2007 immerhin behaupten, indem sie in die Fusion mit der ostdeutschen PDS zur "Linken" flüchtete. Doch warum scheitern neue Protestparteien so oft?

Der Schlüssel dieser Antwort liegt in der Natur der Kraft, die eine Protestpartei in der Regel antreibt: Zorn. Man ist vor allem: gegen, gegen, gegen. Wenn der meist bunt zusammengewürfelte und unerfahrene Haufen von Neu-Politikern es nicht schafft, die Ablehnungshaltung in etwas Positives, Aufbauendes umzuwandeln: Dann werden Frustration und kollektiver Zorn eine Partei gewordene Protestbewegung im Normalfall binnen weniger Jahre von innen zerstören. So geschehen unter anderem bei K-Gruppen in den 1950er und -60er Jahren, bei der NPD, den Republikanern, der Schill-Partei oder zuletzt bei den Piraten.

Der Aufschwung der AfD ist das Versagen der anderen

Natürlich ist es angesichts einiger Exzentrika verlockend, auf der AfD herumzuhacken. Denkt man etwa an Auftritte eines Björn Höcke, die wie peinliche Goebbels-Parodien wirken: Dann ist es sogar ausgesprochen nahe liegend. Viele Journalisten erliegen der Versuchung: Sie nehmen lieber die laute Protestpartei aufs Korn, anstatt sich die Regierung wachsam-kritisch vorzuknöpfen - was eigentlich der wichtigste Job der Berufstandes wäre. Allerdings ist die AfD nicht das Problem. Sie hat nirgendwo Regierungsbeteiligung in Aussicht. Die wirklichen Probleme liegen in furchtbaren Fehlern der GroKo-Parteien und der Grünen, welche die AfD stark machten.

Hier muss man insbesondere die offenbar gut gemeinte, aber völlig kopflose, wahrscheinlich verfassungswidrige und in dieser Form gefährliche Flüchtlingspolitik nennen. Die furchtbaren Kontrollverlust-Erscheinungen im Zuge von Merkels "Willkommenserlass" des 4. September 2015 haben möglicherweise hunderten Terroristen sowie tausenden Kriminellen die Einreise in die EU ermöglicht, uns für die nächsten Jahre schwer lösbare Herausforderungen bei der Integration beschert, Deutschland unsicherer gemacht. Das könnte unseren Kindern und Enkeln noch teuer zu stehen kommen! Und was ist mit den Widersprüchen der Euro-Politik - herzliche Grüße aus Athen - oder dem verlogenen Appeasement gegenüber der sich festigenden Erdogan-Diktatur in der Türkei? Offiziell verhandelt die EU noch immer über einen Beitritt zur europäischen Wirtschafts- und Wertegemeinschaft. Oder sie tut zumindest so, als ob.

Handzahme Journalisten - außer beim Thema AfD

In anderen Zeiten wäre es für die Berichterstatter-Zunft ein Fest, die Regierung auf diesen Feldern anzugreifen und unter Druck zu setzen. Prominente Rücktritte galten einst als die Trophäen des kritischen Journalismus in der Demokratie. Doch nach dem erzwungenen Abgang des früheren Bundespräsidenten Wulff Anfang 2012 wegen einer handvoll Einladungen zu Urlauben und Abendessen wurde die Branche leiser, ja zahm: Die Jagd auf das Staatsoberhaupt war menschlich unangenehm gewesen. Mancher Insider sagte: schmutzig. Die Justiz sprach Wulff zwei Jahre später von allen Vorwürfen, wegen der er zurückgetreten war, frei. Das neue Hauptangriffsobjekt der schreibenden Zunft in Deutschland wurde dafür die AfD. Es bringt ja auch viel mehr Spaß, sich auf sie einzuschießen! Gilt im Umgang mit mutmaßlichen Rechtspopulisten nicht ohnehin die alte Redewendung: "Haust du auf einen Sack, triffst du immer den Richtigen"?

Wenn die CDU die AfD schnell weg haben wollte, bräuchte sie nur die verschlissene Kanzlerin Merkel zu stürzen und durch einen Nachwuchsstar wie Julia Klöckner oder Jens Spahn zu ersetzen: Ein Ergebnis bei den Bundestagswahlen im Herbst von 40% + x wäre ohne Weiteres drin. Allerdings würde dieses Vorgehen aus Sicht der Union eine große Gefahr bergen: Sie hätte das Gespenst Rot-Rot-Grün im Nacken. 2013 reichte wegen des Nicht-Einzugs der FDP in die Volksvertretung ein Traumergebnis von 41,5% nicht, um die Option einer linken Mehrheit im Bund zu verhindern. CDU und CSU mussten sich bei der SPD regelrecht anbiedern, um sich in die Große Koalition zu retten. In der Folge erlebte die CDU selber auf mehreren Politikfeldern einen Linksruck.

Die AfD: ein Glücksfall für die Union

Knallharte Realpolitik aus Sicht der Union: Dies erklärt manchen Verrat am eigenen Parteiprogramm in den letzten Jahren. Der Kollateralschaden jedoch ist beträchtlich. Jeder politische Schnitzer wurde teuer. Insbesondere auf dem CDU-Parteitag Ende 2015, als der demonstrative Dauerbeifall für die damals intern umstrittene Kanzlerin an Klatschorgien kommunistischer Einheitsparteien erinnerte, wirkte es, als wäre der CDU Parteiraison wichtiger als die Belange des Landes: Kadavergehorsam statt kritischer Aufarbeitung eigener Fehler. Aus Sicht der Union ist die AfD nicht nur wunderbar geeignet, um mit dem Fingerzeig nach ihr von eigenem Versagen abzulenken. Der als rechtspopulistisch verschrieene politische Gegner ist für viele Parteimitglieder Aufruf, sich trotz Magenschmerzen zusammenzureißen. Der Druck von rechts diszipliniert.

In Wahrheit können CDU und CSU nur froh sein, dass es für konservativ Veranlagte mit Frustrations-Schluckbeschwerden die Protestpartei rechts von der Mitte gibt - zumindest, solange deren Wahlerfolge im Rahmen bleiben. Der Einzug einer Paria-AfD in den nächsten Bundestag garantiert, dass eine teuflisch gefürchtete rot-rot-grüne Mehrheit nicht zustande kommt. Sie sichert der CDU das Überleben als führende Regierungspartei. Dass die AfD jetzt verschwände: Daran hat die Union gegenwärtig kein echtes Interesse. Merkel & Co. spekulieren lieber darauf, dass sich die AfD im Laufe der nächsten Jahre selbst zerlegt. Nach der öffentlichen Demontage von Frauke Petry beim Kölner Parteitag spricht vieles dafür, dass genau dies geschehen wird. Wie sagte mir neulich ein CDU-Stammwähler hinter vorgehaltener Hand: "Wenn es in heutiger Zeit keine AfD gäbe - man müsste sie erfinden."

AfD Thüringen http://afd-thueringen.de/wp-content/uploads/sites/2/2015/09/2015-09-16-demo-erfurt-009.jpg

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