Martin Schulz (SPD) entdeckt die Flüchtlingspolitik als neues Wahlkampfthema. Doch was er nun dazu sagt, scheint schlecht zu früheren Aussagen zu passen.
Im Herbst 2015 solidarisierte sich der damalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nahezu vorbehaltlos mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel ("was uns die Flüchtlinge bringen, ist wertvoller als Gold"). Nun allerdings läuft der Wahlkampf gegen die Kanzlerin schlecht. Klassische SPD-Themen ziehen nicht. Worauf könnte man noch setzen? Ach ja: Flüchtlingspolitik!
In einem Interview mit der 'Bild' warnt der SPD-Kanzlerkandidat nun vor einer neuen Flüchtlingswelle. "Wer auf Zeit spielt und versucht, das Thema bis zur Bundestagswahl zu ignorieren, verhält sich zynisch." Über die Lage von vor zwei Jahren sagt er: "2015 kamen über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland – weitgehend unkontrolliert. Damals öffnete die Kanzlerin die Grenzen nach Österreich. Aus gut gemeinten humanitären Gründen, aber leider ohne Absprache mit unseren Partnern in Europa."
Schulz will, dass die in Italien angekommenen Schutz Suchenden über die EU verteilt werden - mit einer Ausnahme: Deutschland habe schon so viele Menschen aufgenommen. "Jetzt sind die anderen EU-Mitgliedsstaaten dran." Den Staaten, die sich gegen Zuteilung von Asylbewerbern sträubten, drohte der ehemalige Europa-Politiker vorsorglich mit Entzug von EU-Fördergeldern.
Die Welt/Reuters https://www.welt.de/politik/deutschland/video161522695/Schulz-Jugendfreunde-setzen-noch-immer-auf-ihren-Martin.html
In diesem Zusammenhang ist sehr interessant, wie früher der Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Würselen mit der Herausforderung Flüchtlinge umging. In dieser Funktion beklagt sich Martin Schulz im Frühjahr 1991 - der Yugoslawien-Krieg hat noch nicht begonnen - über die Lasten, die seiner Kommune auferlegt würden. Die Kosten seien kaum noch zu tragen, die Unterbringungsmöglichkeiten knapp.
"Das Ende der Fahnenstange ist erreicht", zitieren die 'Aachener Nachrichten' am 21.3. das Stadtoberhaupt. "Wir sind nicht mehr in der Lage, auch nur einen weiteren Bewerber aufzunehmen." Da man sich "von Land und Bund allein gelassen" fühlte, kündigt Schulz "zivilen Ungehorsam" an. Dies gelte umso mehr, da viele Asylbewerber ohnehin kein Bleiberecht erhalten würden. Die AN schreiben: "Missbrauch des Grundrechts auf Asyl lasse sich beweisen. "Wenn wir so etwas schleifen lassen, öffnen wir Schlepperorganisatioren Tür und Tor", befürchtet Schulz. Einer Aushöhlung des Rechts will er jedoch einen Riegel vorschieben. Nicht zuletzt um jene Menschen, die wegen tatsächlicher Verfolgung Schutz suchen, nicht zu gefährden."
1991 beklagte der heutige SPD-Parteivorsitzende, dass viele Menschen aus ärmeren Ländern, die keinen Asylanspruch hätten, trügerischen Verlockungen erlägen: "Gerade in Afrika erscheint die Bundesrepublik als das Gelobte Land. Die Folgen einer solchen Falschdarstellung des sozialen Bildes haben die Komunen auszubaden."
Aachener Nachrichten, 21.3.1991 (Archiv) http://www.aachener-nachrichten.de/
Es ist sehr interessant, die früheren Aussagen des Bürgermeisters Schulz mit den Statements des heutigen SPD-Kanzlerkandidaten Schulz zu vergleichen. Wenn der neue sozialdemokratische Hoffnungsträger keine Glaubwürdigkeit verspielen möchte, wird er hier einiges zu erklären haben.