Der Funke, der das Fass zum Überlaufen bringt. Oder: Wenn man dem Tod von der Klippe springt.

Duell mit dem DUDEN

Vor einigen Tagen, genauer an einem Dienstagmorgen, wurde ich beim Frühstück von meinem Tages-Kalenderblatt gefragt, ob ich wüsste, was ein Bildbruch sei. Ich schüttelte – zumindest innerlich – den Kopf und las interessiert die Vorschläge, die mir das „DUDEN-Duell 2024“, so der offizielle Name des Abreißkalenders, unterbreitete. „Risse oder andere Beschädigungen“ an einem Gemälde hielt ich für ebenso unwahrscheinlich wie das „Abtragen antiker Mosaike“ in Pompeji oder anderswo. "DUDEN-Duell" – da schien mir die dritte Auswahlantwort am wahrscheinlichsten, denn diese hatte mit Sprache zu tun. Und so erfuhr ich, dass es sich bei einem Bildbruch um eine „Verquickung nicht zusammenpassender bildhafter Ausdrücke in der Sprache“ handelt.

Kata- was?

Und als wäre das nicht schon unverständlich genug – zumindest beim frühen Morgenkaffee – erfuhr ich nun auch noch, dass der sogenannte Bildbruch auch „Katachrese“ genannt wird.

Wie bitte? Ka-ta-chre-se?

Ich habe in meinem bisherigen halbwegs langen Leben ja schon viele Wörter kennen- und verwenden gelernt, aber eine Katachrese ist mir noch nicht unter die Augen, in die Ohren oder gar zwischen die Stimmbänder meines Kehlkopfes gekommen.

Des Lateinischen zumindest in jüngeren Jahren durchaus einmal einigermaßen mächtig, fiel mir aber auch so gar keine Ableitung ein. Kata-? Was um alles in der Welt der Römer bedeutet diese Vorsilbe? Oder meinetwegen auch Katach-? Und -chrese respektive -rese macht für mich auch keinen Sinn. Res, lateinisch, die Sache. Klar. Aber dann wäre der Plural ebenfalls res und nicht rese…

Ob es etwas mit Katechismus, Katastrophe oder Katakomben zu tun hat? Oder, für denjenigen, der sprachlich fantasievoll unterwegs ist, gar mit dem Katamesser?

„Was soll das?“ zitierte ich mit missmutigem Unterton eine Liedzeile jenes Stimmakrobaten, der die Stadt Bochum auch für Nicht-Ruhrgebietler bekannt gemacht hat.

Der Zahn der Zeit

Frustriert setzte ich mein Frühstück fort und las nebenbei, was sonst noch auf dem Kalenderblatt stand. Und siehe: die morgendliche Sprachfortbildung nahm plötzlich eine Wendung ins Erfreuliche, Heitere, ja Humorvolle. Denn das Kalenderblatt brachte ein Beispiel für eine Katachrese:

„Der Zahn der Zeit, der schon so viele Tränen getrocknet hat, wird auch Gras über diese Wunde wachsen lassen.“

Damit ging das Sprachduell mit dem DUDEN eindeutig für selbigen aus.

„Da fängt die Woche ja wieder gut an!“ summte ich gut gelaunt das ringwandlerische Lied vom armen Kneißl, der gleich zu Beginn der Woche gehängt werden sollte und der darob seinen Humor dennoch nicht verloren hatte. Ich freute mich über den so ganz nebenbei erworbenen Zugewinn an sprachlicher Kompetenz – und begab mich frohgemut an den Abwasch…

Mein Interesse an dem neu gelernten Begriff der Katachrese war geweckt. Katachrese, so las ich, ist altgriechisch und bedeutet so viel wie „Missbrauch“. Gemeint ist hier der Missbrauch von Sprache in dem Sinn, dass Begriffe entgegen ihrer eigentlichen Bedeutung verwendet werden. Die Katachrese tritt in zwei Erscheinungsformen auf.

Wüstenschiffe, Handschuhe & Buchrücken

Was haben die Begriffe „Tischbein“, „Flussbett“, „Buchrücken“ oder „Handschuh“ und sogar das „Wüstenschiff“ gemeinsam? Sie alle verwenden Wörter, die nicht in ihrem eigentlichen Sinn, sondern als bildlicher Ausdruck, als Metapher, gemeint sind. Doch kaum jemand, mich eingeschlossen, macht sich bei der Verwendung dieser Ausdrücke Gedanken über die Verfremdung in Form einer Übertragung. Ein Briefkopf ist ein Briefkopf und fertig. Dass hier der Begriff Kopf nicht im eigentlichen Sinne benutzt wird, fällt kaum noch auf. Eine Warteschlange – na und? Daher sprechen die Sprachwissenschaftler von „toter Metapher“ oder „konventionalisierter Metapher“ als eine Form der Katachrese.

Wer anderen eine Grube gräbt, mahlt zuerst

Wie bitte? Wurden hier nicht zwei Redewendungen („Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ und „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“) miteinander vermengt?

Genau das ist der sogenannte Bildbruch, die zweite Erscheinungsform der Katechrese. Hier werden zwei sprachliche Bilder, die eigentlich nicht zueinander passen, bewusst miteinander verbunden. Schon Aristoteles und erst recht Cicero verwendeten dieses rhetorische Stilmittel, meist zur Belustigung der Zuhörer, aber auch, um diese zu irritieren und Aufmerksamkeit zu fordern. Man kann durch einen Bildbruch aber auch eine völlig andere Aussage machen: „Wer anderen eine Grube gräbt, mahlt zuerst“ bedeutet ja nunmehr, dass derjenige, der anderen schadet, einen Vorteil davon hat, also zuerst „mahlen“ kann…

Weitere Beispiele für Bildbrüche:

„Wir ziehen alle am selben Boot.“

„Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht.“

„Das ist ein zweigleisiges Schwert.“

„Auf keinen grünen Nenner kommen.“

„Viele Wege führen in ein Fettnäpfchen.“

„Dem Tod von der Klippe springen.“

„Sich auf dem Holzdampfer befinden.“

„Viele Köche fischen im Trüben.“

„Das ist der Funke, der das Fass zum Überlaufen bringt.“

Als rhetorisches Stilmittel wird hier vor allem eine komische, lustige Wirkung erzielt. Doch Vorsicht: Oft handelt es sich bei solchen Sprachbildern beim Sprechen nicht um einen Bildbruch, also um eine Katachrese, sondern um einen simplen Versprecher. Wem ist es nicht schon einmal passiert, dass er „im Eifer des Gefechts“ vor Aufregung zwei Redewendungen durcheinanderbringt? In einem solchen Fall handelt es sich schlicht um eine Stilblüte oder einen Stilfehler. Diese unterlaufen auch Personen, die im öffentlichen Sprechen eigentlich recht geübt sind, wie der Bildungsministerin in NRW:

„Im Übrigen malt man natürlich jetzt leicht immer den schwarzen Peter an die Wand.“

Es ist sicherlich nicht immer ganz leicht, zwischen Stilblüte und Bildbruch im Sinne der rhetorischen Figur der Katechrese zu unterscheiden. Es soll wohl Rhetorikbücher geben, die die Katachrese ablehnen und nur noch von Stilblüten sprechen, respektive schreiben.

Von -logen, -strophen und -komben

Irgendetwas fehlt hier? Richtig, die Vorsilbe Kata-. Und dann wären da auch noch der -lysator und der -bolismus.

Kata, von griechisch κατά, bedeutet: herab, gegen, völlig, gänzlich.

Und so ist der Begriff „Katalog“ nur allzu logisch, da in einem solchen alle Produkte gänzlich, also völlig, aufgeführt sind.

Die Katakomben, jene unterirdischen Gebäude, in denen die Toten bestattet wurden, leiten sich sprachlich ab von κατά = „herab“ und tymbos = „Grab“ (Cata tumbas = catacumbae).

Und selbst der Katechismus ergibt nun Sinn, denn das Wort ist zusammengesetzt aus κατά = „herab“ und ēcheín = „schallen, tönen“ in dem Sinne, dass der Katechet mündlich seine Belehrungen von der Kanzel zum Besten gibt, diese also „von oben herab ertönen.“

Die Katachrese schließlich bedeutet „Missbrauch, Gebrauch über Gebühr“ und meint, wir erwähnten es bereits, die missbräuchliche Verwendung von Wörtern bzw. Redewendungen in einem anderen Sinnzusammenhang.

Sogar das Katamesser existiert. In den sozialen Medien gibt es jemanden (m/w/d), der unter dem Namen kata.messer postet.

Bevor ich nun die Welt der Sprachwissenschaft wieder verlasse, schaue ich noch schnell nach, welche weiteren rhetorischen Stilmittel es gibt. Von Oxymoron und Hendiadyoin über Alliteration und Onomatopoesie bis hin zu Antonomasien – falls mich mein Kalender einmal wieder zum sprachlichen Duell herausfordert…

Leider darf ich aus Urheberrechtsgründen das besprochene Kalenderblatt hier nicht abbilden. Schade, es wäre eine gute Werbung gewesen. Aber die rechtlichen Folgen wären für mich eine κατάstrophe...

Quellenangaben:

https://de.wikipedia.org/wiki/Katachrese

https://wortwuchs.net/stilmittel/katachrese/

www.li-go.de/_pages/wissensbereiche/rhetorik/katachrese.html

https://www.studysmarter.de/schule/deutsch/rhetorische-stilmittel/katachrese/

https://de.wikipedia.org/wiki/Katakombe

https://de.wikipedia.org/wiki/Katechismus

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