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Wer mit dem Namen NICK DRAKE nicht viel anfangen kann, aber dennoch auf die Schnelle erfahren möchte, um wen es sich hier handelt, dem sei zugerufen: Nick Drake ist der, dessen Musik 1999 zur Untermalung einer VW-Werbung in den USA verwendet wurde und der dadurch einer breiten Öffentlichkeit bekannt und dessen Musik endlich mehr gehört wurde.
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Zum Zeitpunkt dieses Werbeclips war Nick Drake allerdings bereits 25 Jahre tot.
Wer mehr über diesen Musiker erfahren möchte, der muss sich auf ein schwieriges, introvertiertes, tragisch-kurzes Leben einlassen.
Nick Drake in 1969 • Wikipedia • Foto: Keith Morris, via Wikimedia Commons
Am Morgen des 25.11.1974, heute vor 50 Jahren, es war ebenfalls ein Montag, fand die Mutter Molly Drake ihren Sohn tot in seinem Bett. Er war 26 Jahre alt. Gestorben an einer Überdosis Antidepressiva. Ob ein Suizid vorlag, ist bis heute nicht geklärt. Es gibt verschiedene, durchaus begründete Ansichten darüber.
Nick Drake, Sohn eines Ingenieurs und einer Dichterin und Sängerin, wurde 1948 in Birma (Myanmar) geboren, die Familie zog aber bald zurück nach England. In der Nähe von Birmingham wuchsen Nick und seine vier Jahre ältere Schwester Gabrielle wohlbehütet und in wohlsituierten Verhältnissen auf. Nick, ein verwöhntes Kind aus gutem Haus, könnte man despektierlich formulieren. Er kam als Privatschüler an ein College, war erfolgreicher Sportler und begann schließlich ein Literaturstudium in Cambridge. Nick spielte Klavier, Saxofon und Klarinette, aber Mitte der 1960er wurde die Gitarre sein Hauptinstrument – Stichwort: Beatles, Dylan und all die anderen Songwriter. Vor seinem Studium traf er auf einer Reise nach Marokko in einem Hotel auf die Rolling Stones und soll Mick Jagger auf seiner Gitarre vorgespielt haben. Er spielte all das Zeug, was damals für jeden Gitarristen in der Luft lag, von Dylan-Songs über Traditionals, dem unverwüstlichen „Cocain (all around my brain)“ vom alten Reverend Gary Davis bis zu Songperlen eines Jackson C. Frank („Blues Run The Game“).
Kokain war es nicht gerade, aber Drake hatte wie viele Zeitgenossen Cannabis für sich entdeckt und nahm reichlich Gebrauch davon.
Während seiner anfänglichen Studienjahre in Cambridge gab Drake dort einige kleinere Konzerte, in denen er seine Fingerfertigkeit auf der Gitarre unter Beweis stellte, ebenso wie die Zerbrechlichkeit seiner Stimme. Der Bassist der britischen Folk-Rockband Fairport Convention wurde auf Nick aufmerksam und machte ihn mit Joe Boyd bekannt, einem angesagten Musikproduzenten jener Tage, der nicht nur Fairport Convention unter Vertrag hatte, sondern auch Pink Floyd in ihren Anfangsjahren förderte, die Incredible String Band, den Songwriter John Martyn und andere entdeckte und betreute.
Und so kam Nick Drake mehr als unverhofft zu seinem ersten Album „Five Leaves Left“, das im Juli 1969 erschien.
Das Debut-Album eines Künstlers ist stets besonders aufschlussreich, da hier entweder über Jahre angesammelte, innovative musikalische Ideen oder explosiv sich Bahn brechende Musik präsentiert werden. Spannend: welches ist der erste Song auf der ersten LP, mit dem sich ein Künstler oder eine Band vorstellt?
Hören wir also daher chronologisch die ersten drei Titel des Albums „Five Leaves Left“ von Nick Drake, damals gerade 21 Jahre alt.
Das Debut: „Five Leaves Left“
NICK DRAKE: „Time Has Told Me“ • 4:24 • FIVE LEAVES LEFT (1969), Track 1
Richard Thompson, E-Gitarre / Danny Thompson, Bass / Paul Harris, Klavier
„So I'll leave the ways that are making me be / What I really don't want to be
Leave the ways that are making me love / What I really don't want to love“
# „Nick Drakes Gitarrenspiel zeugt von der Persönlichkeit, die er war, sein Gesang von den Zweifeln, die er hatte.“ [1] Jean-Martin Büttner, NZZ 2023
# „Nicks Kompositionen schrien nach Arrangements, nach maßgeschneiderten Fassungen für jeden einzelnen Song. Eine Quelle der Inspiration war John Simons Produktion von Leonard Cohens erstem Album. Simon hatte die Stücke mit Chören, Streichern und anderen Ergänzungen veredelt, die Cohens Stimme hervorhoben, ohne sie zuzudecken, und nicht kitschig klangen.“ [2] Joe Boyd, Produzent, White Bicycles, S. 233
NICK DRAKE: „River Man“ • 4:30 • FIVE LEAVES LEFT (1969), Track 2
Arrangement: Harry Robinson
# „River Man etwa klingt wie Quecksilber, das über den Boden fließt, Musik wie durch eine regennasse Fensterscheibe gespielt.“ [3] Ingo Scheel, MINT Magazin für Vinyl-Kultur, 7/2024
# „Nick Drakes Musik ruhte in sich selbst, sie versuchte nicht, die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu erregen.“ Joe Boyd, White Bicycles, S. 232/233
NICK DRAKE: „Three Hours“ • 6:12 • FIVE LEAVES LEFT (1969), Track 3
Danny Thompson, Bass / Rocki Dzidzornu, Congas
„Five Leaves Left“ ist nicht das Werk eines Songwriters, der allein mit seiner Gitarre überwiegend Coverversionen mit einigen eigenen Kompositionen vorträgt. Im Gegenteil: Nick Drake kleckert nicht. Er klotzt.
„Five Leaves Left“ ist kein Soloalbum. Drake engagierte u.a. den Gitarristen RICHARD THOMPSON, damals Mitglied der britischen Folkrock-Band Fairport Convention, und den Bassisten DANNY THOMPSON von der Band Pentangle. Beide Thompsons sind übrigens nicht miteinander verwandt.
Produziert wurde das erste wie auch das zweite Album von keinem geringeren als JOE BOYD, einem angesagten amerikanischen Musikproduzenten, der 1965 in London Leiter eines Büros von Elektra Records wurde. Seine Vorstellungen von der Umsetzung der Songs Nick Drakes hatten einen wesentlichen Einfluss auf den Musikstil der ersten beiden Alben. Er war der Überzeugung, dass man die stille und introvertierte Musik mit seinem eindringlichen Gitarrenspiel und den poetischen, düsteren Texten gut mit Kammermusik verbinden könne. Die ersten Versuche, Drakes Kompositionen mit Streichinstrumenten zu untermalen, schlugen fehl. Drake schlug daraufhin seinen Studienkollegen ROBERT KIRBY als Arrangeur vor – und so wurden vier Titel des Albums von Kirby mit Streichern unterlegt.
Interessant: Ausgerechnet der bekannteste Titel des Albums, das im ungewöhnlichen 5/4-Takt daherkommende „River Man“ wurde von jemand anderem arrangiert, weil Kirby sich außerstande sah, die musikalischen Vorstellungen Drakes umzusetzen.
Bemerkenswert: Nick Drake wollte nicht durch Coverversionen von Hits anderer Künstler bekannt werden. Oder anders gesagt: Er hatte es nicht nötig. Alle zehn Titel des Albums sind Eigenkompositionen.
# „Five Leaves Left“ ist vermutlich das ausgereifteste, feinsinnigste und stimmigste Debüt, das je ein Songwriter veröffentlicht hat – eigensinnig, poetisch, virtuos und sehr britisch.“ [4] Maik Brüggemeyer, Rolling Stone, 25.02.2022
# Der größte „Songschreiber seiner Generation, dem einzigen wahren Poeten in der Gilde der britischen Folk-Musiker, heute Ikone, Schmerzensmann, Solitär.“ [5] Arne Willander, Rolling Stone, 19.06.2023
# „Poetische Düsterlieder“ – „Aus der Zeit gefallene Musik“ [6] Max Gösche, Rolling Stone, 03.07.2024
Wie erfolgreich war „Five Leaves Left“?
Spät, aber immerhin: 2003 wurde das Album vom Musikmagazin Rolling Stone unter die 500 besten Alben aller Zeiten gewählt. Kritiker wie der Musikjournalist JOHN PEEL waren begeistert. Andere waren „not amused“: Der Melody Maker schrieb: „Eine unangenehme Mischung aus Folk und Cocktail-Jazz“ (Joe Boyd, White Bicycles, S. 240). Die Platte wurde ein Flop und verkaufte sich kaum. Für Nick eine Katastrophe: Er war mehr als frustriert, dass fast niemand seine Musik hören wollte. Seine schon vorab vorhandene Neigung zu Depressionen nahm deutliche Züge an. Er brach Ende 1969 sein Studium ab, zog zu seiner Schwester nach London und zog sich immer mehr zurück.
Ein Grund für den geringen Erfolg war sicherlich auch seine Scheu, vor Publikum aufzutreten. In den wenigen Konzerten, die er absolvierte, war Drake unfähig, Kontakt zum Publikum aufzunehmen. Introvertiert wie er war, sagte kein einziges Wort. Da jeder Song in einer anderen Tonart bzw. einer anderen offenen Stimmung gespielt wurde, war das Publikum vom ständigen Umstimmen der Gitarre genervt, was zu Frust und Unmut führte. Zudem war Nick zu sensibel für die Unaufmerksamkeit des Publikums und die vielen Hintergrundgeräusche während eines Live-Konzerts.
# „Er [der Veranstalter] sagte, dass die Leute im Publikum eben viel redeten. Und wenn Nick zwischen den Songs seine Gitarre gestimmt habe, dass sie dann noch lauter geredet oder sich ein Bier geholt hätten. Der Krach von klirrenden Gläsern und dem Gerede sei dann lauter gewesen als Nicks Musik. Er habe auf der Bühne kein einziges Wort gespro-chen, er habe seine Gitarre gestimmt und gespielt, und als ihm dann der Krach zu laut geworden sei, dann habe er eine Minute nach unten geschaut, auf seine Schuhe, sei dann aufgestanden und einfach von der Bühne gegangen.“ Joe Boyd, White Bicycles, S. 241
BRAD MEHLDAU: „River Man“ • 4:48 • CD Songs: The Art of the Trio, Vol. 3
Brad Mehldau, Piano / Larry Grenadier, Bass / Jorge Rossy, Drums
Jetzt erst recht: „Bryter Layter“
Auch für das zweite Album waren der Produzent Joe Boyd, der Arrangeur Robert Kirby sowie der Toningenieur John Wood zuständig. Vielleicht ein Fehler, denn „Five Leaves Left“ war zwar künstlerisch ein Erfolg, verkaufte sich aber kaum und zog daher den mit Depressionen kämpfenden Drake stark nach unten. Boyd wollte daher jetzt die Songs gefälliger, abwechslungsreicher und poppiger gestalten. Und so gab es nun ein Schlagzeug, ein jazziges Saxophon und sogar Hintergrundgesang. Nick war skeptisch, willigte aber schließlich ein. Neben RICHARD THOMPSON war auch JOHN CALE (der von den Velvet Underground) dabei, als dieser zufällig in London mit Boyd zu tun hatte. Cale spielte auf zwei Titeln Klavier, Orgel, Celesta, Bratsche und Cembalo.
# „Bryter Layter ist eine meiner Lieblingsplatten, ein Album, bei dem ich mich zurücklehnen und zuhören kann, ohne dies oder das nachträglich ändern zu wollen. Das Spiel der Rhythmusgruppe, Roberts Arrangements, die Beiträge von“ ... „Cale, Richard Thompson, von dem Saxophonisten und Flötisten Ray Warleigh“ ... „sind ein ständiger Quell der Freude. John Wood hat nie einen besseren Klang geschaffen, und wir haben die Stücke so lange gemischt, bis wir absolut zufrieden waren. Aber als das Album fertig war, sagte mir Nick, dass er die nächste Platte alleine aufnehmen wolle – keine Arrangements, keine Begleitmusiker, nichts.“ Joe Boyd, White Bicycles, S. 245
Das Album wurde im März 1971 veröffentlicht, fast zwei Jahre nach „Five Leaves Left“ und gilt als noch aufwendiger produziert als das Debut-Album.
NICK DRAKE: „Introduction“ • 1:32 • BRYTER LAYTER (1971), Track 1
Instrumental / Gitarre + Streicher / Arrangement: Robert Kirby
NICK DRAKE: „One Of These Things First“ • 4:52 • BRYTER LAYTER (1971), Track 4
„I could have been your pillar, could have been your door
I could have stayed beside you, could have stayed for more“
# „Eine fantastische Demonstration von Drakes virtuoser Fingertechnik, mit der er mühelos mit dem komplizierten, vom Beach-Boys-Schlagzeuger Mike Kowalski beigesteuerten Jazz-Drumming mithalten konnte.“ [7] ByteFM, 19.06.2018
NICK DRAKE: „Fly“ • 3:00 • BRYTER LAYTER (1971), Track 7
John Cale, Bratsche, Cembalo
NICK DRAKE: „Northern Sky“ • 3:47 • BRYTER LAYTER (1971), Track 9
John Cale, Celesta - Piano - Orgel
Wer noch mehr möchte: Hier der poppigste und gefälligste und damit untypischste Song des Albums, zumindest in diesem Arrangement: „Hazey Jane II“. Die Hintergrund-Trompeten sind gewöhnungsbedürftig ...
„Poor Boy“ ist mit 6:09 der längste Titel des Albums und sicherlich der abwechslungs-reichste: etwas Jazz, etwas Latin, etwas Background-Chor...
Endlich der Durchbruch?
Auch wenn dieses Album später (!) vom New Musical Express auf Platz 140 der 500 besten Alben aller Zeiten und auf Platz 14 der 50 besten Alben des Jahrzehnts gewählt wurde: Nick hat diese Würdigung nicht mehr erlebt. Verkaufsmäßig floppte das Album ebenso wie das erste. Nicks anfängliche Skepsis gegenüber den üppigen Arrangements hatte sich damit leider bestätigt. Auch wenn er künstlerisch hochgelobt wurde, wollte er doch hauptsächlich, dass seine Musik gehört wird, von vielen Menschen…
Allein und düster: „Pink Moon“
Der psychische Zustand Nick Drakes verschlechterte sich zusehends. Mit der Rückkehr von Joe Boyd zurück in die USA verlor er trotz der Divergenzen einen starken Halt in seinem Leben. Er lebte zurückgezogen und konsumierte weiterhin große Mengen Cannabis.
Ein halbes Jahr nach Veröffentlichung von „Bryter Layter“ traf sich Nick mit dem Toningenieur John Wood, um ein weiteres Album aufzunehmen. Die Songs, die er dafür zusammengestellt hatte, sollten diesmal ohne Mitmusiker und ohne einen Produzenten aufgenommen werden, nur Nicks Gitarre und sein Gesang, im Titelsong kam eine kurze Klaviermelodie hinzu. Die 11 Songs wurden an zwei Abenden eingespielt und im Februar 1972 unter dem Titel „Pink Moon“ veröffentlicht.
NICK DRAKE: „Pink Moon“ • 2:05 • PINK MOON (1972), Track 1
# „Allein der Titelsong, am Rande der Nacht taumelnd, ein beinah spukhaftes Klavier, wie von einem angetrunkenem Gespenst gespielt, dabei so zugewandt, als würde es seinen Hörer kennen.“ [3] Ingo Scheel, MINT Magazin für Vinyl-Kultur, 7/2024
NICK DRAKE: „Know“ • 2:24 • PINK MOON (1972), Track 7
NICK DRAKE: „Parasite“ • 3:36 • PINK MOON (1972), Track 8
„Take a look, you may see me on the ground / For I am the parasite of this town / And take a look, you may see me in the dirt / For I am the parasite who hangs from your skirt“
NICK DRAKE: „Road“ • 2:02 • PINK MOON (1972), Track 3
NICK DRAKE: „Free Ride“ • 3:06 • PINK MOON (1972), Track 9
NICK DRAKE: „From The Morning“ • 2:30 • PINK MOON (1972), Track 11
„Now we rise and we are everywhere“
# „Elf Songs in weniger als einer halben Stunde – und trotzdem ist danach alles gesagt.“ [8] Sufjan Stevens, Wikipedia: Pink Moon
# „Die Texte auf „Pink Moon“ erzählen vom Ausgesperrt Sein, davon, nicht dazu zu gehören und malen mit romantischen, naturmystischen Bildern dunkle Vorahnungen an die Wand. Der Tonfall bleibt dabei stets lakonisch, der junge Mann, der hier singt, verzichtet auf jedes Drama, vielleicht war er dafür zu introvertiert oder hatte keine großen Gesten im Repertoire, jedenfalls macht es das Ganze umso eindringlicher.“ [9] Goetz Steeger, DeutschlandfunkKultur, 25.02.2022
Und?
Von „Pink Moon“ verkauften sich noch weniger Exemplare als von den vorherigen beiden Alben. Drake zog zurück zu seinen Eltern, seine Depressionen nahmen zu, ein Krankenhausaufenthalt folgte. Erfolglos.
Der schwarze Höllenhund ist los
Der vereinsamte, psychisch stark angeschlagene Künstler, den kaum jemand hören wollte, raffte sich Anfang 1973 noch einmal auf. Er nahm Kontakt zu John Wood auf, um die Arbeit an einem vierten Album zu beginnen. Die Aufnahmen gestalteten sich schwierig, da Nick nicht mehr in der Lage war, Gitarre zu spielen und dabei gleichzeitig zu singen.
Als Island Records zu Jahresbeginn 1974 die Zahlung des wöchentlichen Vorschusses einstellte, besuchte er noch einmal Joe Boyd in London:
# „Er sah schlecht aus, wie ich ihn noch nie gesehen hatte: fettige Haare, dreckige Hände, zerknitterte Klamotten. Noch deprimierender war seine Wut. Ich hatte ihm gesagt, dass er ein Genie sei, und andere hatten ihm das auch gesagt. Warum, fragte er, aufgebracht, bin ich dann nicht reich und berühmt?“ Joe Boyd, White Bicycles, S. 315
Boyd schlug ihm vor, noch einmal ins Studio zu gehen – was sollte er auch sonst tun?
Das Ergebnis war ein letzter Song, der es in sich hatte und den Seelenzustand dieses an seinen Depressionen zugrunde gehenden Künstlers nach außen brachte: „Black Eyed Dog“. Der Titel bezieht sich auf Winston Churchill, der seine Depressionen mit einem schwarzen Hund versinnbildlichte.
Es kam nicht mehr zu einem vierten Album, der Song „Black Eyed Dog“ wurde erstmalig 1986 veröffentlicht.
NICK DRAKE: „Black Eyed Dog“ • 3:28 • TIME OF NO REPLY (1986)
„I’m growing old and I wanna go home / I’m growing old and I don’t wanna know / I’m growing old and I wanna go home.“
# „ ... und nahm ein gespenstisches Lied auf, das nicht mehr nach den englischen Romantikern klang, sondern nach dem fiebrigen Robert Johnson, der vergeblich versucht, den Höllenhunden zu entkommen.“ [4] Maik Brüggemeyer, Rolling Stone, 25.02.2022
Welches musikalische Potential in diesem Song steckt, zeigen zahlreiche Coverversionen. Hier eine bewegende Live-Aufnahme von „Black Eyed Dog“ der irischen Sängerin LISA HANNIGAN, die in den 2000er Jahren die musikalische Begleitung des ebenfalls irischen Songwriters DEMIAN RICE war.
LISA HANNIGAN: „Black Eyed Dog“ • 4:23 • WAY TO BLUE: THE SONGS OF N. D. (2013)
Und hier ein über 9-minütiger psychedelische Trip in die Welt des schwarzäugigen Hundes mit u.a. Sitar, Harmonium, und Viola (IAN MOORE & EYVIND KANG, CD: Poor Boy – Songs of N.D.)
„Now we rise and we are everywhere“
Einige Monate später, am 25. November 1974, hatte der Höllenhund Nick Drake eingeholt. Er starb, nachdem er eine Überdosis Antidepressiva eingenommen hatte. Es mag Absicht oder Zufall gewesen sein – was ändert das?
Auf seinem Grabstein ist eine Zeile aus dem Song „From The Morning“ eingemeisselt, seinem letzten Lied auf „Pink Moon“: „Now we rise and we are everywhere“.
Grabstein von Nick Drake auf dem Friedhof in Tanworth-in-Arden • Wikipedia
Das Phänomen Nick Drake
# „Er war wohl zu leise und seine Umgebung zu laut gewesen.“ [1]
# „immer mehr in der eigenen Stille verschwunden“ [1]
# „muss man sich Drakes letzte Jahre als systematisches Erlöschen vorstellen“ [1]
# „Als dann noch der Punk explodierte, gingen der Songschreiber und seine fragilen Lieder unter im Lärm der neuen Musiker.“ [1] Alle Zitate: Jean-Martin Büttner, NZZ 20.06.2023
Es gibt zahlreiche Bücher über Nick Drake, fast alle in englischer Sprache. RICHARD MORTON JACK hat 2023 zum 75. Geburtstag eine 576-seitige Biografie über Drake geschrieben (Nick Drake. A Life), nur auf englisch erhältlich.
Zu seinem 50. Todestag sollte am 21.11.2024 ein deutsches Buch erscheinen (JÜRGEN GOLDSTEIN: Nick Drake. Eine Annäherung), die Veröffentlichung wurde auf den 16.01.2025 verschoben.
Auf Youtube ist ein empfehlenswerter Film über Nick Drake abrufbar (Dank an @berridraun für den Tipp!): „A Skin Too Few“ (47:49)
Zu Nicks Lebzeiten verkauften sich von allen drei Alben zusammen weniger als 4000 Exemplare. [10]
Seine Schwester Gabrielle sagte: „ Er wollte, dass seine Musik gehört wird.“ [11]
Wenn Nick Drake wüsste, dass auch 50 Jahre nach seinem Tod seine Alben immer noch gehört, als LPs und CDs neu gepresst werden, zahlreiche weitere Tonträger mit frühen Aufnahmen und Demoversionen erschienen sind und es zahlreiche CDs mit Coverversionen seiner Songs (zuletzt 2023) gibt – es hätte ihn gefreut.
Vielleicht sogar glücklich gemacht…
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Quellenangaben:
[1] https://www.nzz.ch/feuilleton/nick-drake-songs-von-gestern-fuer-die-generation-heute-ld.1743217
[2] Boyd, Joe: White Bicycles. Musik in den 60er Jahren (2006), Wilhelm Heyne Verlag, München 2009
[3] Ingo Scheel, MINT Magazin für Vinyl-Kultur, 7/2024, S. 80–83
[4] https://www.rollingstone.de/vor-50-jahren-erschien-nick-drakes-pink-moon-der-blasse-mond-2415169/
[5] https://www.rollingstone.de/nick-drake-fruit-tree-entstehung-359030/
[6] https://www.rollingstone.de/nick-drake-five-leaves-left-2770727/
[7] https://www.byte.fm/blog/news/nick-drake-waere-70-geworden-79260/
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Pink_Moon
[9] https://www.deutschlandfunkkultur.de/nick-drake-pink-moon-100.html
[10] https://en.wikipedia.org/wiki/Nick_Drake
[11] https://www.deutschlandfunkkultur.de/nick-drake-der-tote-songwriter-als-renditeobjekt-100.html
Fotos:
• Nick Drake in 1969 https://en.wikipedia.org/wiki/Nick_Drake
Keith Morris, Public domain, via Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nick_drake_1969.jpg
• Grabstein von Nick Drake auf dem Friedhof in Tanworth-in-Arden https://en.wikipedia.org/wiki/Nick_Drake
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Drake%27s_Family_Grave_Gravestone.jpg