Wie bitte? Habe ich mich verhört? Mondegreens – was soll das denn sein?
Wieder einmal überraschte mich eines meiner morgentlichen Kalenderblätter mit einem mir völlig unbekannten Begriff. Da halfen auch keine rudimentären Lateinkenntnisse. Das Wort „Mondegreen“ war mir bis dato weder zu Gehör noch zu Papier gekommen.
Als kleine Hilfe wurden mir zwei Beispiele angegeben, verbunden mit der Frage, ob ich diese Mondegreens „verstünde“:
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Danke!
„Menebtehoi“ und „Menebtekle“
Ich verstand verständlicherweise nicht. Mitunter hilft bei unverständlichen Wörtern das Rückwärtslesen – hier nicht. Oder das Vertauschen von Silben. Oder das gaaanz langsame Lesen. Nix da. Selbst das kräftige Durchschütteln der Buchstaben ergab keinen Sinn, obwohl ich mich zunächst bei „Menebtekle“ mit „Menetekel“ der Lösung nahe wähnte. Me-ne-te-kel – dieses mahnende Zeichen, die Gott dem König Belsazar, dem Nachfahre des legendären Nebukadnezar II an die Wand… – nein, es war kein Menetekel. [1] Schade, ein b zu viel.
Ich gab auf und wendete das Blatt, um nach der Lösung zu schauen. Tja, und dann wurde es ganz schnell hell in meinem Oberstübchen. Ich sollte die beiden Begriffe langsam sprechenund dabei den Ton anheben, so dass sich zwei Fragesätze ergeben:
„Menebtehoi?“ / „Mähen Äbte Heu?“
„Menebtekle?“ / „Mähen Äbte Klee?“
Nun galt es noch diese beiden Scherzfragen zu beantworten: Nein, Äbte mähen kein Heu, sondern – wenn überhaupt – Gras.
Bei Mondegreens handelt es sich um „Verhörer“, also Begriffe oder Textteile, die akustisch falsch verstanden werden, so dass sie zwar phonetisch ähnlich klingen, aber einen völlig anderen Sinn ergeben. [2]
Wumbaba und Owi
Der Schriftsteller AXEL HACKE hat ein „Kleines Handbuch des Verhörens“ verfasst. [3] Es handelt sich um eine Sammlung von Leserzuschriften über Liedtexte, die von den Menschen stets falsch verstanden wurden und daher eine völlig andere Bedeutung bekamen. Und das nur, weil sie den Text nicht richtig gehört, sie sich also „verhört“ haben. [4]
In Hackes Büchlein ist das bekannteste Beispiel für einen Verhörer, oder – wie wir jetzt gelernt haben: einen „Mondegreen“ – der weiße Neger Wumbaba. Und das kam so: In dem Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“ von MATTHIAS CLAUDIUS heißt es:
„Der Wald steht schwarz und schweiget
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.“
Der letzte Vers wurde von zahlreichen Lesern als „Der weiße Neger Wumbaba“ missverstanden. Ein echter Mondegreen also, der auch zum Titel des Buches wurde.
Apropos Mondaufgang: Die Älteren unter uns erinnern sich womöglich noch an die Vor-Merkel-Zeit, als ein gewisser Helmut Kohl das Gedicht von CLAUDIUS aufsagte, freilich gesprochen von Dieter Hildebrandt.
Neben Wumbaba tauchen bei Hacke noch weitere Personen auf: Der bekannteste dürfte der Gottessohn Owi sein. Aus: „Stille Nacht, heilige Nacht / Gottes Sohn, o wie lacht / Lieb aus deinem göttlichen Mund…“ wird gerne: „Gottes Sohn Owi lacht…“. [5]
Aus dem Lied „Hänschen klein“ sind Herr Dabesin und Frau Weinezehr bekannt, wobei lediglich deren Verhältnis untereinander unbekannt bleibt. Aus: „Hänschen klein ging allein / in die weite Welt hinein / Stock und Hut steht ihm gut / ist ganz wohlgemut / Aber Mutter weinet sehr / hat ja nun kein Hänschen mehr / Da besinnt sich das Kind, eilet heim geschwind…“ wird: „Aber Mutter Weinezehr…“ und „Dabesin sieht das Kind, eilet heim geschwind.“ [6]
Der filmende Erdbeerschorsch
Hacke zitiert in seinem Buch Eckhard Henscheid, der wiederum in seinem Buch „Kulturgeschichte der Missverständnisse“ davon erzählt, wie ein Kind aus der Schule kommt und davon berichtet, dass sie sich morgen schön anziehen solle, da der Erdbeerschorsch kommen und alle Kinder filmen wolle. Kindermund tut diesmal die Wahrheit nicht ganz richtig kund, denn es handelt sich in Wahrheit um den Erzbischof, der die Kinder firmen möchte… [7]
Don Camisi und der Schnitzelwagen
Der größte Themenbereich für Mondegreens, also falsch verstandene Wörter, ist die Musik. Auch hier existieren Personen, Dinge und Zusammenhänge, die vom Komponisten niemals so vorgesehen waren.
Wer war zum Beispiel jener Don Camisi? Wenn man den Text von Phil Collins Song „You Can’t Hurry Love“ aus dem Jahr 1982 „anders“ versteht, ist in der Originalzeile: „Love Don’t Come Easy“ leicht von einem gewissen Don Camisi die Rede…
Auch bei deutschen Schlagern kann man sich verhören. So gibt es Menschen, die nie verstanden haben, warum Roland Kaiser in dem Lied „Santa Maria“ von einem Schnitzelwagen singt. Erst wenn man den Text liest, versteht man den ursprünglichen Sinn: „Santa Maria, den Schritt zu wagen, Santa Maria, vom Mädchen bis zur Frau“…
Ritter in weißem Satin
Mit deutschen Schlagern und vor allem englischen Popsongs sind wir im Epizentrum der Mondegreens angekommen. Hier wimmelt es vor Verhörern – sei es, weil der Text tatsächlich akustisch nur schwer zu verstehen ist oder weil der Zuhörer des Englischen nicht so mächtig ist wie erforderlich. In zahlreichen Rundfunksendern gibt es ganze Sendeformate mit solchen Verhörern, ebenso existieren im Netz viele entsprechende Seiten, z.B. hier.
Man kann das alles sehr lustig finden. Oder auch nur gequält lächeln. Nicht immer kann man die angegebenen Verhörer entsprechend nachempfinden, zumal wenn man den tatsächlichen Text kennt.
Hier eine kleine Auswahl an humorvollen Mondegreens. Wer will, kann sich das YT-Video durch Anklicken aufrufen und sich selbst ein Bild machen, ob man die Mondegreens ebenfalls hört.
MOODY BLUES: „Knights in white satin“ (Ritter in weißem Satin, statt: „Nights in white satin“)
NIRWANA: „Here we are now, in containers“ (statt: „Here we are now, entertain us“)
JANIS JOPLIN: „Oh Lord, give me a mercy dispence“ (Gnadenerlass, statt: Mercedes Benz)
BOB DYLAN: „The ants are my friends, is blowing in the wind“ (die Ameisen sind meine Freunde, sie wehen im Wind, statt: „The answer, my friend, is blowing in the wind“)
JIMI HENDRIX: „Scuse me while I kiss this guy“ (statt: „Scuse me, while I kiss the sky“)
BRYAN ADAMS: „I got my first real sex-dream“ (statt: „I got my first six-string“)
JOHN FOGERTY: „There’s a bathroom on the right“ (statt: „There’s a bad moon on the rise“)
BONNIE TYLER: „It’s a hard egg, nothing but a hard egg“ (statt: „It’s a heart-ache“)
Es ist überliefert, dass Jimi Hendrix nach dem Titel „Purple Haze“ mit besagter Zeile tatsächlich dazu überging, den nächstbesten Kerl zu küssen… Und man liest, dass die Band IRON BUTTERFLY ihren Welthit eigentlich „In the Garden of Eden“ nennen wollte, der Sänger diesen Titel aber unter Einfluss von LSD zu „In-A-Gadda-Da-Vidda“ vernuschelte… [8]
Agathe Bauer und Anneliese Braun
Hier noch ein paar „Klassiker“ des Genres:
HOT CHOCOLATE hatten 1975 einen Hit mit „You Sexy Thing“. Darin heißt es: „I believe in miracles“. So mancher Hörer neigte allerdings dazu, an etwas anderes zu glauben: „I believe in Malcom“…
SNAP! brachten 1990 den Hit „The Power“ bzw. „I’ve Got The Power“ heraus. Irgendwann rief eine Hörerin bei einer Radiostation an und wünschte sich den „Agathe-Bauer“-Song. Damit war Agathe geboren und begann ihren Siegeszug durch die Welt der Song-Verhörer…
Anneliese Braun, eine gute Freundin Agathes, erblickte bereits viel früher das Licht der Musikwelt und die Gunst der Musik-Verhörer. THE MAMAS & THE PAPAS sangen 1965 in ihrem Hit „California Dreamin’“: „All the leaves are brown“ – worin zahlreiche Hörer besagte Anneliese Braun erkannten…
„I just died in your arms tonight“ stammt von der Band CUTTING CREW. Darin heißt es: „It must’ve been something you said“. Nichts da, wer genau hinhört (oder eben genau nicht), der hört plötzlich den deutschen Satz: „Du musst besoffen bestell’n“…
Axel Hacke kommt angesichts der Unmengen an Verhörern in seinem Büchlein über Wumbaba zu Recht zu der Ansicht: „Im Grunde versteht kaum ein Mensch je einen Liedtext richtig, ja Liedtexte sind überhaupt nur dazu da, falsch verstanden zu werden. Aufgabe eines Liedtexters ist es, den Menschen Material zu liefern, damit ihre Phantasie wirken kann…“ [3] Wie wahr!
Hallo Egon – Mondegreens vs. Soramimis
Nachdem wir nun bereits sehr tief in die Welt der Mondegreens eingetaucht sind, müssen wir doch etwas differenzieren: Die Beispiele um Agathe, Anneliese und Malcom, die besoffen bestellen müssen, sind genau genommen keine Mondegreens.
Mondegreens sind „Textteile, die von Muttersprachlern in ihrer eigenen Sprache falsch verstanden werden.“ [2] Bei „Agathe Bauer“ u.a. werden jedoch „Wörter einer fremden Sprache als gleich klingende Wörter einer anderen, meist der eigenen Sprache interpretiert.“ [2]
Verhörer, bei denen z.B. englischen Wörtern eine deutsche Bedeutung zugeordnet wird, nennt man – jetzt wird es japanisch – Soramimi. Nur dass das einmal klar gestellt wurde.
Wenn also Howard Carpendales Hit „Hello Again“ als „Hallo Egon“ ver-miss-standen wird, ist das dann ein Mondegreen oder ein Tsunami, pardon, ein Soramimi?
Lady Mondegreen
Bleibt noch zu klären, woher der Ausdruck „Mondegreen“ stammt. Natürlich ebenfalls von einem Verhörer. In diesem Fall war es eine Verhörerin, nämlich die amerikanische Autorin SYLVIA WRIGHT. Selbige prägte bereits 1954 den Ausdruck Mondegreen, nachdem ihr klar wurde, dass sie als Kind den Text einer schottischen Ballade stets falsch verstanden hatte. Dort war die Rede davon, dass der Earl of Moray erschlagen wurde und man ihn aufs Gras legte: „They hae slain the Earl o’Moray / And laid him on the green.“ Das Mädchen Sylvia hatte jedoch in der zweiten Zeile immer: „…and Lady Mondegreen“ verstanden…
Mal à propos
Wir könnten jetzt noch auf den Begriff „Malapropismus“ und seine Abgrenzung zum Mondegreen im Allgemeinen und zum Soramimi im Besonderen eingehen, aber ich möchte das Thema nicht mit Bronchialgewalt ausweiten, hier auch kein Exemplar stationieren oder das Thema zu Unrecht hochsterilisieren. Und somit ziehe ich mich als Konifere meines Faches geschickt aus der Atmosphäre, indem ich den geneigten Leser dieser Zeilen darauf vertröste, dass dieser Ausdruck sicherlich irgendwann auf einem meiner nächsten Kalenderblätter auftaucht… [9]
Der Blog begann mit den beiden kryptischen Begriffen „Menebtehoi“ und „Menebtekle“ und soll mit zwei weiteren enden: „Kannitverstan“ und „Kommienezuspadt“.
Kannitverstan (Johann Peter Hebel)
Wer meint, falsch verstandene Textteile oder Formulierungen gäbe es nur in Gedichten, Volks-, Weihnachts- oder sonstigen Kirchenliedern, Schlagern oder anderer Unterhaltungsmusik, der liegt ebenso falsch. Verhörer waren bereits vor über 200 Jahren Inhalt von Geschichten deutscher Dichter. So erschien 1808 im „Rheinländischen Hausfreund“ die Kalendergeschichte „Kannitverstan“ von JOHANN PETER HEBEL (1760–1826). Darin reiste ein Handwerksbursche aus Tuttlingen nach Amsterdam, wo er voller Bewunderung für ein großes Haus und ein riesiges Schiff war. Auf die Frage, wem dies alles gehöre, bekam er immer die Antwort: „Kannitverstan“ („Ich kann Euch nicht verstehen“). Der Bursche war allerdings der Meinung, es sei der Herr Kannitverstan, dem das Haus und das Schiff gehöre. Als er schließlich auf einen Leichenzug traf, erhielt er auf die Frage des Verstorbenen wiederum die gleiche Antwort: „Kannitverstan“.
Rudolf Geißler (1834–1906): Der Handwerksbursche trifft auf den Leichenzug von „Herrn Kannitverstan“ • 1895
Und die Moral von der Geschicht? Hier, auf der Website der Stadt Tuttlingen, kann man die ganze Geschichte als pdf-Datei herunterladen. Und hier ist eine Kurzfassung als Wikipedia-Eintrag.
Kommienezuspadt (Tom Waits)
Kenner des erstmals 1865 erschienenen Kinderbuches „Alices Abenteuer im Wunderland“ von LEWIS CARROLL werden die Zeichnung dieses auf seine Uhr schauenden (weißen) Hasen kennen. „Oh je! Oh je! Ich werde zu spät kommen!“ ruft er aus und verschwindet in seinen Kaninchenbau, wohin Alice ihm neugierig folgt.
John Tenniel: Alices Abenteuer im Wunderland – wikipedia
Der amerikanische Sänger, Komponist, Schauspieler und Autor TOM WAITS inszenierte 1992 zusammen mit dem Regisseur ROBERT WILSON „Alice“ für das Hamburger Thalia-Theater. Dort singt Waits einen Song, der Bezug nimmt auf den sich in Zeitnot befindlichen „White Rabbit“.
Das auf den ersten Blick unverständliche „Kommienezuspadt“ ist das sprachliche Ergebnis, wenn ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Amerikaner versucht, deutsch zu sprechen. „Komme nie zu spät!“ bedeutet es. Dies ist auch der Text seines Liedes. Übrigens: Waits singt hier nicht: "Sei bucklig", sondern: "Sei pünktlich"...
TOM WAITS: „Kommienezuspadt“ , CD: „Alice“ , 1992 3:09
Auf zum Mondegreen-Festival!
Wer jetzt so richtig auf den Geschmack von Mondegreens und anderen Verhörern gekommen ist, dem sei der Besuch eines Mondegreen-Festivals empfohlen. In diesem Jahr fand ein solches Festival vom 15. bis 18. August in Dover im US-Bundesstaat Delaware statt. Bei diesem Festival spielte die Band PHISH, deren Songs auffallend viele Mondegreens enthalten. So soll ihr Song „Alaska“ beispielsweise auch „I’ll Ask Her“ heißen. Einfach mal „Mondegreen Festival“ oder „Phish Mondegreen“ googeln…
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Quellenangaben
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Menetekel
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Verhörer
[3] Axel Hacke, Michael Sowa: Der weiße Neger Wumbaba. Kleines Handbuch des Verhörens. Verlag Antje Kunstmann, München 2004
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_weiße_Neger_Wumbaba
[5] Axel Hacke, Michael Sowa: Der weiße Neger Wumbaba. S. 62
[6] ebda S. 11
[7] ebda S. 34
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/In-A-Gadda-Da-Vida
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Verhörer
[9] Zum Thema "Malapropismus":
• https://neueswort.de/malapropismus/#wbounce-modal
• https://www.sueddeutsche.de/kolumne/sprachlabor-was-fuer-echte-koniferen-1.5452595
• https://dreibeinblog.de/ich-liebe-malapropismen/#gsc.tab=0
Zum Thema "Verhörer in der Musik":
• https://www.aargauerzeitung.ch/panorama/vermischtes/das-sind-die-zehn-grossten-versinger-ld.1778646
• https://www.spiegel.de/geschichte/falsch-verstandene-songzeilen-a-948657.html
• https://www.spiegel.de/fotostrecke/noch-mehr-falsch-verstandene-songzeilen-fotostrecke-108511.html
• https://www.nzz.ch/feuilleton/der-erzbischof-und-sein-erdbeerschorsch-ld.1487571
• https://www.musikexpress.de/falsch-verstandene-songs-texte-lyrics-verhoert-1486481/