Eine von mir hochgeschätzte Arbeitskollegin, die das Herz am rechten Fleck hat und natürlich auf der richtigen Seite steht, sagte zu mir vorgestern, "aber dieser Selenskyi, bei dem weiß ich noch nicht so Recht, was ich von ihm halte". Die im deutsche Selbstbild als schroff empfundene Art hat da, wie die Nachfrage ergab, mitgespielt. Das motiviert mich, meine eigenen Gedanken zu diesem Mann einmal darzulegen.
Die Ukraine war vorbereitet auf einen Krieg und ihre Kämpfer hochmotiviert, auch wenn sie zahlen- und vor allem ausrüstungsmäßig den Russen nicht viel entgegen zu setzen hatten.
Dennoch traf der 24.02. sie wie ein Schock, man kann sich auf vieles in der Theorie vorbereiten, aber letztlich ist der Moment X etwas doch Unvorstellbares. Der erste Kriegstag war für die Ukraine ein finsterer Tag, an dem nicht sicher war, ob es zur Panik kommen würde, auch angesichts der Versuche der Russen in Hostomel zu landen und der Killerkommandos in Kiew, die Selenskyi, die Klitschkos und viele andere führende Ukrainer schon in den ersten Tagen auslöschen wollten. Als den Russen in der Nacht danach der mühelose Ausbruch aus der Krim gelang und sie gleichzeitig zum blutigen ersten Sturm auf Kiew ansetzten, war es rational logisch, dass die Amerikaner anboten, den Präsidenten heraus zu bringen, damit die Russen nicht einen toten Selenskyi durch eine Marionette ersetzen konnten und zumindest ein Restwiderstand im Westen möglich wäre.
In dieser Stunde entschied Wolodymyr Selenskyi allein, wie der ganze Krieg sich entwickeln sollte. Es war der Churchillmoment dieses Mannes, der ihn unsterblich machen wird. Was Sir Winston mit "Blood, Toil, Tears and Sweat" gelang, seiner Nation den unbedingten Durchhaltewillen einzuimpfen, das waren Selenskyis Worte „Der Kampf ist hier; ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit.“ Er verband unrevidierbar sein eigenes Leben mit dem Ausgang des Krieges, wie schon zuvor die Klitschkos und führte das Land von der Front in Kiew aus. Damit nahm die Kampfmoral der Ukrainer, bis zum letzten Atemzug mit allen Mitteln den Feind zu bekämpfen, ihr faszinierendes Ausmaß an. Ein flüchtender Präsident hätte mit Sicherheit in diesen ersten Tagen Auflösungserscheinungen zur Folge gehabt.
Wie Churchill ist Selenkskyi ein politischer Außenseiter. Ein Comedian, den der Überdruss des Volkes an der Korruption in sein Amt gebracht hatte, den Putin nutzen wollte, die Ukraine wieder unter seine Fittiche zu nehmen, in der Routine des Amtes kein besonders herausragender Mann, der auch der Korruption nicht wirklich ans Leder rückte. Es gibt Menschen, deren ungeheure Persönlichkeit erst in der Katastrophe sichtbar wird. Auch Oskar Schindler war ein solcher Menschentyp.
Wie Churchill hat Selenskyi nur ein Ziel, den Sieg. Sieg um jeden Preis, denn ohne den Sieg gibt es kein Überleben. Nur das bewegt ihn, nur jene, die ihn auf diesem Weg hilfreich begleiten, sind seine Partner. Im Kampf auf Leben und Tod, das eigene inklusive, ist die erwähnte Schroffheit wegbegleitend, ist keine Zeit für diplomatische Empfindsamkeiten jener, die im warmen Nest sitzen und bis zum 24.02. noch das Geschäft des Feindes betrieben hatten.
Wie groß die Parallelen sind, wurde mir schlagartig kürzlich klar, als ich erneut "die dunkelste Stunde" über Churchiills Anfangstage sah, auch und insbesondere da, wo er am Telefon Roosevelt um Waffen anflehte.
Wolodymyr Selenskyi hat sich als eine epochale Gestalt gezeigt, ein Mann, ein wahrer Mann, einer der ein außergewöhnlicher Glücksfall für jedes Volk ist, wenn er im Moment des Krieges und des Chaos an der Spitze steht. Von der Art Churchills eben, ohne den die Welt heute eine andere wäre. Falls es zu einem Sieg, einer Befreiung der gesamten Ukraine kommen würde, dann würde es ein anderes, ein besseres Europa geben, mit einer großen und wichtigen Nation im Osten, die im Blut zusammengeschweißt wurde, der Ukraine. Dieses Europa wäre Selenskyis Werk.
Viele, vielleicht überwältigend viele Deutsche ertragen solche Menschen nicht, ihr Neid lässt sie sich dann klein fühlen, weil sie sich der eigenen Feigheit bewusst sind, sie suchen akribisch nach allem, um an Helden Flecken zu finden. Sie sind die spießigen Kleingeister, die sie immer schon waren.
(Waldemar Alexander Pabst)
Es ist kein Neid derer, die da immer etwas suchen, sondern Angst. Schiere Angst. Da ist jemand, der tatsächlich für seine Überzeugung Tag und Nacht in Gefahr ist und sich davon nicht zerbrechen lässt. Jemand, der aussieht wie "der kleine Mann", aber sich nicht unterkriegen lässt, seine Leute motiviert und sich nicht von seinem Siegeswillen abbringen lässt. So einer übernimmt Verantwortung. Der sieht nicht weg, wenn etwas unangenehm ist. Und er lässt sich nicht bestechen, davon abzurücken. Das vertragen einige nicht, so jemand ist ihnen verdächtig. So einer ist zu gut. Nein, ist er nicht. War auch Churchill nicht. Aber Churchill war genauso in seinem Pflichtbewußtsein. Bei Selenskiy ist es ähnlich.