Adeles Freude war groß. Endlich hatte sie ein gemütliches Kuschelhäuschen gefunden, zu einem erschwinglichen Mietpreis von 600 Euro inklusive aller Gemeindeabgaben, nur fünf Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Mit dem Auto war sie schnell in der Stadt.

Der Mietvertrag wurde auf fünf Jahre abgeschlossen.

Adele putzte, plante, malte alle Räume neu aus (dafür wurde ihr von der Kaution etwas nachgelassen) und war überglücklich.

Das Grundstück war chillig angeordnet: Von der Straße betrat man durch ein verziertes, hellgraues Gartentor einen kleinen Vorgarten mit Blumenbeeten und einer romantischen Sitzbank. Zwei große Fenster zeigten in den Vorgarten. Hinter ihnen befanden sich Wohnzimmer und eine große Küche mit Eßecke.

Auf der rechten Seite des Hauses führte ein schmaler Weg nach hinten in einen schattigen Garten, dort befand sich auch der Eingang ins Haus. (Adele und ich haben das später unzählige Male analysiert. Nach der Feng-Shui-Lehre sind Haushintereingänge problematisch, da die Energie nicht geradlinig von der Straße ins Haus fließen kann. Der Eingang in ein Haus sollte frontal oder seitlich liegen, nicht "um die Ecke".) Eine hohe Mauer trennte den Zugangsweg vom rechten Nachbargrundstück, das einem Wald glich. Der schon sehr betagte Grundstückseigentümer hatte einen Nadelbaum nach dem anderen wachsen lassen, sodaß auf der Liegenschaft alle zwei bis drei Meter eine Fichte oder Tanne in den Himmel ragte. Adele gefiel das. Sie fühlte sich von den hohen Bäumen beschützt. Anrainer spotteten über den eigentümlichen Wald, es würde sich bei allen Bäumen um ehemalige lebende Christbäume handeln, die die Familie ins Freie gesetzt hätte. Diese Christbäume waren zwischenzeitig dreißig Meter hoch geworden.

Auf der linken Seite wohnte eine nette vierköpfige Familie, mit der sich Adele bald anfreundete.

Das erste halbe Jahr verlief reibungslos. Doch dann machte sich erstes Unbehagen breit: Adele bekam Anfälle von Herzklopfen und Herzrasen in dem Haus. Bei Tag, bei Nacht, ohne ersichtlichen Grund. Das verstörte sie. Sie schob es auf die Ernährung. Vielleicht vertrug sie irgendwelche Substanzen nicht mehr. Auch dem Rooter gab sie die Schuld, der sich in ihrem Zimmer befand, sowie sie das WLAN ebenfalls zu verdammen begann. Als das Internet einmal für ein paar Tage ausfiel und es ihr in der Zeit besser ging, stellte sie eine Verbindung zwischen ihrem Herzrasen und Elektrosmog her, was sich aber nie verifizieren ließ. Heute ist sie von WLAN geradezu "umzingelt" und hat keine Beschwerden.

Adele begann zu fasten. Sie hatte Angst, noch irgendetwas zu essen, weil sie auf jede Nahrung reagierte. Sofort nach den ersten Bissen erhöhte sich ihr Puls und sie wurde panisch. In den folgenden Monaten nahm sie 20 Kilo ab. Sie war inzwischen ein seelisches Wrack, ängstlich, panisch. Im Morgengrauen saß sie im Vorgarten und rief mich an, sie würde jeden Moment sterben. Ihr Herz raste und pochte und sprang ihr fast aus der Brust. Ich vermute, sie hatte zu dem Zeitpunkt schon arge Elektrolytstörungen, was wirklich lebensbedrohlich werden kann. Außer Maiswaffeln aß sie nämlich nichts mehr.

Adele lief zu ihrem Hausarzt und ließ sich durchchecken. Aber man fand nichts. Keine Diagnose. Alles psychisch? Alles psychisch! Was denn sonst? Der Hausarzt beäugte sie mit schräger Kopfhaltung und streute ins Gespräch, dass er sich auch mit Psychosomatik auskenne. Es sei doch wunderbar, dass Adele jetzt so "schlank" sei! Sie möge es doch genießen!

Aber Adele fühlte sich wie zum Sterben. Wenn sie nach Hause kam, in dieses Haus, hatte sie das Gefühl, etwas bedrohe sie. Etwas warte schon auf sie, um sie anzuspringen. Sie sprach es auch laut aus. Sie sagte: "Etwas in dem Haus bedroht mich!"

War sie verrückt geworden? Begann bei ihr eine Psychose? Sie wirkte ansonsten aber normal, konnte klar denken und ihre Pflichten erfüllen. Es ging ihr nur erbärmlich und keiner konnte ihr sagen, warum. Oft hatte sie 180 Blutdruck, was für eine kleine, zierliche Frau mit nunmehr 43 Kilogramm Gewicht viel zu viel war.

Ich half ihr "analytisch" beim Suchen nach der Ursache der "Bedrohung" .

Schimmel? Von Schimmel kann man sehr krank werden. Schimmel gab es im Keller, aber die Schimmelbedrohung überzeugte uns nicht.

Schadstoffe? Die großen Blätter des Gummibaumes rochen nach Formaldehyd, wenn man mit einem feuchten Lappen über sie wischte. Adeles Freund ist Raucher, wohnte auf der Hinterseite, im Zimmer mit dem Gummibaum, fühlte sich aber ganz normal und schüttelte über Adeles "Eskapaden" den Kopf. Er fand sie hysterisch, fast schon psychotisch. Sie bildete sich etwas ein, das nicht existierte, meinte er. Von welcher Bedrohung faselte sie immer?

Einmal musste Adele die Rettung rufen, weil das Herzrasen nicht mehr aufhörte. Im Krankenhaus wurde sie an einen Tropf gehängt, der ihr Nährstoffe zuführte. Am nächsten Morgen konnte sie nach Hause gehen. Mit letzter seelischer Kraft sagte sie der Vermieterin, dass sie ausziehen werde, weil das Haus sie krank mache.

Adele plauderte oft länger mit der Nachbarin am Gartenzaun. Renate dachte sich schon längst ihren Teil, weil Adele so abgemagert war.

Eines Tages, Adele war schon bei der Suche nach einem anderen Haus, erzählte sie Renate von ihrem gravierenden Problem, dass sie nichts mehr essen könne, dass sie etwas bedrohe und dass sie fix und fertig sei.

Da schoß es aus Renate förmlich heraus: "Das wundert mich alles überhaupt nicht. In deinem Zimmer, wo du jetzt schläfst, ist der Karl gestorben. Sein Bett stand dort an der Wand, wo deines jetzt steht. Sie haben den Karl elendig sterben lassen, sind einstweilen zum Heurigen gegangen, und als sie nach Hause kamen, war der Karl tot."

Adele fiel aus allen Wolken. Warum hatte Renate das nicht früher erzählt? Und wer war Karl? Karl war irgendein Verwandter der Vermieterin und Hauseigentümerin. Ich weiß nicht mehr, ob es der Mann oder der Bruder des Mannes war, aber es bestand eine familiäre Verbindung zur Vermieterin.

Gereizt ging Adele zur Vermieterin und sprach sie auf den Todesfall an. Da meinte die Vermieterin: "Aber das ist doch 12 Jahre her!"

In Adeles Ohren klang das wie eine Rechtfertigung. Was sind 12 Jahre für einen Toten? Für ihn steht die Zeit still.

Adele war überzeugt - es war ihr letzter Strohhalm, bevor sie überschnappte - dass der wütende Karl sie aus dem Haus vertreiben wollte. Vielleicht wollte er sie sogar umbringen, nicht nur vertreiben?

Wie bitter muss es sein, wenn man einsam stirbt, während die Familie beim Heurigen sitzt, trinkt und lacht?

Adele entschuldigte sich bei Karl, bevor sie das Haus für immer verließ. Sie redete ganz laut zu ihm, wie sie mir erzählte. (!) Sie erklärte ihm, dass sie nichts dafür könne, nicht sie hätte ihn bitter gekränkt, das waren andere.

Ob Karl das gehört hat?

Ich las einmal im Internet, dass Immobilien innerhalb von drei Jahren nach einem Todesfall nicht vermietet werden, weil.. ja, was? Niemand weiß etwas Genaues und in der Praxis ist von einer "Schonzeit" für "Todeshäuser" auch nichts zu bemerken. Viel zu wichtig ist schneller Gewinn.

Können Gedankeninhalte und Emotionen zurückbleiben, wenn jemand stirbt? Kann sich das zu einer Energie ballen, die krank macht?

Adele wohnt jedenfalls jetzt woanders. Es geht ihr gut. Sie hat wieder fleißig zugenommen und schüttelt heute den Kopf über diese Sache. War es Karl oder waren es krankmachende Schadstoffe - sie weiß es nicht. Und es ist ihr auch egal. Sie ist wieder frei.

https://www.t-online.de/heim-garten/bauen/id_54398004/schadstoffe-im-haus-wie-sie-die-krankmacher-finden-und-beseitigen.html

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