Er ist ein sehr ansprechender Typ. Er schafft es, für Minuten den Herbstblues zu verdrängen, der sich an kühlen, nassen Novembertagen in das Herz schleichen möchte.
Wenn er lacht, zaubert ein Engel Grübchen in seine Wangen. Eine schwarze Locke hängt ihm in die Stirn und verdeckt ein wenig den spitzbübischen Ausdruck in seinen Augen. Er muss den fröhlichen Haarschopf dann jedesmal nach hinten schupfen. Das beherrscht er mühelos zwischen Milchaufschäumen und Eingießen der aufgeschäumten Milch.
Er macht den besten Kaffee von Wien. Tag für Tag zaubert er seine Herzen darauf. Wie viele mögen es sein jeden Tag? Schaumbilder zu malen ist nicht seine Pflicht. Er scheint dies gerne zu tun und freut sich selbst über seine Bilder.
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Danke!
Herz ist auch sonst bei ihm sehr gefragt. Eines Tages betrat eine sehr alte Dame das Lokal. Er kam hinter der Kaffeemaschine hervor und schritt forsch auf die Dame zu mit den Worten: "Komm, Mama, lass dir helfen von mir!" Er nahm die leicht gebrechliche Dame unter den Arm und führte sie zu einem Tisch, wo sie in Ruhe Platz nehmen konnte. Es gibt genug Kaffee für alle.
Diese Hilfsbereitschaft ist nicht seine Aufgabe. Dafür gibt es das Servierpersonal. Sein Platz ist hinter der Kaffeemaschine.
Das Gesehene hat mich tief beeindruckt, obwohl es nicht ungewöhnlich war. Wie oft helfen Kellner älteren Menschen? Was so ungewöhnlich war in diesem Augenblick, kann ich nicht erfassen. Manchmal galoppieren die Gefühle mit uns davon und lassen die Ratio weit zurück.
Nach der Hilfeleistung drückte er meinen Kaffee herunter und malte wie immer ein Herz darauf.
Wie er heißt und woher er kommt, weiß ich nicht. Natürlich ist er kein Wiener und kein Österreicher. Oft frage ich die Leute nach ihrer Herkunft, weil ich eine neugierige Person bin, die immer alles wissen will. Bei meinem netten Barista habe ich jedoch Hemmungen, danach zu fragen. Ich tippe auf ein Land im Nahen Osten, aber es ist egal, woher er kommt. Bei ihm zählen nur die Herzen.
Öfter als sonst habe ich nun in der Stadt zu tun, um mir zwischendurch den Kaffee mit Herz zu gönnen. Natürlich gebe ich ihm Trinkgeld auch, wie sich das in einem Dienstleistungsberuf gehört. Er bedankt sich stets freundlich.
Und dann kam der Tag, der mir unvergesslich bleibt. Nein, es bahnte sich keine Romanze an, sondern etwas ganz anderes geschah. Wieder zauberte der freundliche Kerl ein Herz auf meinen Kaffee, nahm das Trinkgeld und sagte plötzlich: "Danke, Mama!"
Ich drehte mich um, aber hinter mir stand niemand!
Mama? Ziemlich irritiert verließ ich das Lokal. Er hatte "Mama" zu mir gesagt und sofort fiel mir die alte, gebrechliche Dame ein, die er auch Mama genannt hatte. Verheerend!
Ich blickte an mir herunter: Rosa Sportschuhe, eine schwarze Sporthose mit reflektierenden Seitennähten, ein rosa Sweater mit Kapuze und eine olivgrüne Steppjacke. Sah so eine Mama aus? Eine junge Mama könnte so aussehen, eine alte Mama auch?
Was bedeutete das "Mama"? Dreimal nannte er mich so. Das auch noch! Dreimal. Drei ist eine heilige Zahl (Ziffer). Was dreimal passiert, gehört genau untersucht. Kommt er aus einer patriarchalischen Kultur? Ist jede Frau ab Dreißig für ihn eine Mama? Hat er gar einen Mutterkomplex?
Und dann kam der heutige Tag. Er sagte nicht "Mama" zu mir und ich bekam auch kein Herz von ihm. Herzen malen braucht seine Zeit.
Das Lokal war in aller Frühe schon gesteckt voll. Die Maschine jagte einen Kaffee nach dem anderen herunter. Nicht einmal zum Milchaufschäumen blieb richtig Zeit.
Aber als ich mich für den Kaffee bedankte, sagte er freundlich "Gerne" und das fühlte sich ebenso nett an wie das Schaumherz auf dem Kaffee.
Ich hoffe, ich verliebe mich nicht in ihn, einen Barista aus dem Nahen Osten! Ich muss meinen Männern sagen, dass sie mich nicht den ganzen Tag alleinlassen sollen! Man kommt auf die verrücktesten Ideen bei diesem grauen Wetter!
Doch nein, das wird nicht geschehen. Nichts wird geschehen. Liebe, dieses wundersame Ding, braucht kein Objekt, um glücklich zu sein. Wir können Liebe ohne Objektbezug fühlen und dann ist sie ein wahrhaft himmlisches Gefühl. Es handelt sich dann um diese Liebe, wie sie außerhalb von Raum und Zeit existieren muss und gerne Gott zugeordnet wird. In unserem Raum müssen wir der Liebe einen Bezug geben, müssen ihr ein Objekt, einen Menschen zuordnen, weil wir frei flottierende Gefühle auf Dauer nicht ertragen können. Jedes Gefühl sucht sich daher einen Bezug. Auch die Angst tut das. Frei flottierende Angst fühlt sich furchtbar an.
Mit dieser Zuordnung an Menschen oder Dinge verliert die Liebe einen Großteil ihrer magischen oder göttlichen Kraft.
Ja, ich liebe meinen Barista mit Herz so wie ich auch den herrlichen Kaffee liebe und alle netten Menschen liebe und die Tiere und die Blumen liebe und ich hoffe, diese Liebe hört niemals auf!