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Es war an einem Tag im Mai. Emsiges Treiben lag in der Luft. Es schwirrte und summte um mich herum, dass es eine Freude war. Meine kleinen Geschwister waren wieder aus der Winterstarre erwacht und füllten meine Gartenwelt mit Leben. Wer noch kein Nest hatte, um Nachwuchs großzuziehen, der baute sich jetzt noch schnell eines. Manch kleines Geschwisterchen trug einen Halm oder ein Hölzchen wie einen wichtigen Aktenkoffer mit sich davon. Geschäftigkeit pur! Was für ein Segen für meine kleinen Freunde, dass ich keinen penibel aufgeräumten Garten habe, sondern da und dort Natur so sein kann, wie sie sein will! Entfernt wird nur, was nicht verrotten kann. Der Verrottungsprozess ist für viele Lebewesen wichtig.
Ich überlegte, wo ich diesen Frühling meinen Arbeitsplatz im Garten einrichten sollte. Er ist immer an einer anderen Stelle, um die Natur zu schonen. Auf dem Platz wird viel herumgetreten, Kübel und Töpfe drücken das Gras nieder - das sollte nicht dauerhaft geschehen. Ich möchte aber unter freiem Himmel arbeiten. Hauptsächlich wird umgetopft. Dabei fällt viel frische Erde neben die Töpfe, was dem Platz auch wieder zugute kommt.
Ich wählte dieses Jahr eine gemütliche Ecke nahe meinem ersten Komposthaufen. (Ich habe inzwischen vier Komposthaufen.)
Wenn man nicht chemisch nachhilft, so dauert es doch einige Jährchen, bis sich aus "Bioabfall" nährstoffreiche Erde entwickelt hat. Diese Erde ist fast schwarz. Ich nehme es aber nicht so genau mit der Reihenfolge der Komposthaufen, sondern bediene alle vier gleichzeitig, je nachdem, welcher gerade in der Nähe liegt, wenn etwas zu "entsorgen" ist. So ist der Umwandlungsprozess am ältesten Komposthaufen wegen meiner "Faulheit" nie ganz abgeschlossen.
Und so kam es zu einem beeindruckenden Erlebnis beim ältesten Komposthaufen meines Gartens. Ich war gerade damit beschäftigt, ein Usambara-Veilchen in einen größeren Topf zu setzen, als mich etwas sanft und zärtlich am linken Unterarm berührte. Ich sah hoch - EINE HORNISSE! Erschrocken ließ ich den Veilchentopf fallen und lief ins Haus. Das hatte ich noch nie erlebt. Das war eine Art natürliche Grenzüberschreitung! Zwanzig Minuten später wagte ich mich wieder in die Nähe des Komposthaufens, wo das arme Veilchen ohne Topf und Erde auf dem Boden lag.
Ich setzte meine Arbeit in fliegender Eile fort und zu Ende. Als das Veilchen wieder auf seinem Platz stand, kehrte ich zum Ort des Geschehens zurück. Die Hornisse kam immer wieder, berührte mich aber nicht mehr. Sie war allein unterwegs. Offenbar handelte es sich um eine Königin, die mit dem Nestbau begonnen hatte und im Komposthaufen viele wertvolle Utensilien für ihr Nest fand.
Warum hatte die Königin mich am Unterarm berührt? Das konnte kein Zufall sein, da sie mit ihren feinen Sensoren jedes Hindernis leicht hätte umfliegen können und ich auch gar nicht in ihrer Flugbahn stand. Zwischen mir und dem Komposthaufen waren gut drei Meter Platz.
Hat sie mich abgetastet, mich beschnuppert? Hat sie festgestellt, ob ich Freund oder Feind bin? Hat sie vielleicht auch etwas gesagt? Dass wir uns friedlich den Platz teilen könnten? Ich war jedenfalls froh und dankbar, dass sie mich nicht gestochen hatte. Doch warum hätte sie das tun sollen? Ich tat ihr doch nichts? Ich ließ ihr ihr Recht.
Sie kam täglich wieder. Der Fund zwischen dem morschen Gehölz am Komposthaufen muss sehr ergiebig für sie gewesen sein.
Eines Tages, es war schon hoher Sommer, kamen zwei bis drei Hornissen an dieselbe Stelle. Es waren vermutlich Arbeiterinnen. Sie setzten die Suche im Komposthaufen fort, hatten ihr Nest aber woanders, worüber ich sehr erleichtert war. Dort, wo das Nest sich befindet, müssen sich aktuell Hunderte von Hornissen aufhalten. Ich hätte vorübergehend ausziehen müssen, denn eine Entfernung des Nestes wäre nicht in Frage gekommen. Die Tiere stehen unter Naturschutz und eine Umsiedlung ihres Nestes muss ihnen nicht gefallen.
Ich werde die sanfte Berührung der Hornissenkönigin nie vergessen, scheint es von rationaler Seite her auch banal. Nicht alles ist über die Ratio erklärbar. Die Hoffnung ist gering, dass ich die freundliche Königin im Herbst wiedersehen werde. Wir werden uns vermutlich nie wieder begegnen. Im Nest wird eine neue Königin geboren. Wenn der Staat erfolgreich ist, wird sie es dann sein, die Neue, die im fahlen Licht des Novembers einsam das Haus anfliegen und gegen die Fensterscheiben pochen wird. Das alte Volk lebt dann nicht mehr. Sie ist allein. Sie muss im Frühjahr ein neues Volk gründen. Auf ihren "Schultern" lastet die ganze Verantwortung für neues Hornissenleben. Sie muss daher unversehrt durch den Winter kommen. Ich werde ihr dann öfters helfen müssen, wenn sie sich ins hell scheinende Haus verirrt. Darin habe ich schon Übung, aber nie war mir das so bewusst wie jetzt, wo sich die Zeit der langen Nächte nähert und ich an die Berührung zurückdenke.
War das die Botschaft? Hilf der neuen Königin! Töte sie nicht! Rette sie, wenn sie in Gefahr ist, denn sie steht für uns alle! Überlebt unsere neue Königin den Winter nicht, gibt es kein neues Volk für uns!
Und so warte ich in diesen Tagen auf die neue Königin, die noch vom alten Volk bestimmt wird, sobald die Temperaturen unter 15 Grad fallen. Wenn sie gegen meine Fenster klopft, werde ich das Licht abschalten, das sie verwirrt. Verirrt sie sich ins Haus, werde ich sie durch Abschaltung aller Lichtquellen wieder hinausgeleiten. Hornissen fliegen auch noch Lichtquellen von 0,01 Lux an, finden sich also draußen schnell zurecht. Sie sind Nachtflieger und Tagflieger. Wann sie schlafen, hat die Hornissenforschung herausgefunden: Das Volk fällt mehrmals pro Nacht in einen Sekundenschlaf. Danach sind die Tiere wieder topfit. Das erinnert mich an mein geliebtes Powernapping, nach dem ich mich auch wieder wie neu geboren fühle.
Man sieht, wir Lebewesen ähneln uns in vielerlei Hinsicht.