Irgendwann? Gegenwärtig sieht es nicht so aus. Das stimmt mehr als nur nachdenklich. Geht die Gesellschaft zugrunde?
Rechts wäre eigentlich der rechte Weg - zieht man Vergleiche von früher her. Rechts, das waren Anstand, Bildung, gutes Benehmen, Wissenschaft, Wirtschaft und auch - karitatives Wesen. Meine konservative Mutter war nicht nur einmal bei der Caritas und hat dort geholfen. Das gehörte einfach zum Leben anständiger, rechter Frauen dazu.
Links, das waren die Proletarier, die Arbeiter, die Ungebildeten, die pöbelnden, raufenden Massen, die Betrunkenen in den Wirtshäusern.
Eine erste Veränderung dürfte in den 1970er-Jahren stattgefunden haben, unter Bruno Kreisky. Als ein Physikbuch plötzlich nicht mehr 200 Schilling kostete, sondern gar nichts mehr, erfolgte ein Ansturm der Arbeiterklasse-Kinder auf Höhere Schulen und Universitäten. Ich erinnere mich noch, wie ich mich geärgert habe, wenn andere Kinder die Gratis-Schulbücher beschmierten und zerrissen, weil sie nichts kosteten. Ein Buch war für mich ein Heiligtum. Ein Buch stand für eine ganze Welt, die es zu besitzen galt, eine Welt des Wissens, der Bildung - und des Anstandes.
Weiters ist mir in Erinnerung, dass in den 1970er-Jahren erstmals Akademiker die Seiten wechselten. Es gab einen bekannten Psychologen in Wien, der ein Sozialist war, was wie ein "Stilbruch" schien. Akademiker waren für gewöhnlich Konservative. Sie wählten ÖVP.
Ab da ging es Schlag auf Schlag und dauerte satte 40 Jahre. Immer mehr wanderten Anstand, Bildung und Wissen nach links, was ich nie gut, sondern entsetzlich fand. Bildung und Anstand in linker Hand - wie sollte das klappen? Links war immer ein Unding. Die Arbeiterkinder waren plärrende Rotznasen, die zu dumm für das Einmaleins waren. So hat man das früher wahrgenommen. Dementsprechend saßen die Arbeiterkinder in Sonderschulen oder im B-Zug der Hauptschulen. Inklusion war ein Fremdwort. Inklusion hätte nur das Weiterkommen der Begabten verhindert.
Alles hat sich gedreht, gründlich, um 180 Grad, hat sich buchstäblich auf den Kopf gestellt. Rechts findet man heute jene, die früher links waren. Deshalb kann ein anständiger, gebildeter Mensch nicht mehr rechts sein. Rechts ist schlichtweg eine Katastrophe: Mangelhafte Bildung, pöbelhaftes Benehmen, ordinäre Sprache. Dazu kommen Rassismus, Lüge, Hetze, Gewaltverherrlichung. Die heutigen Rechten sind die früheren Linken. Ist man rechts, kann man das nicht mehr offen sagen, ohne sich zu blamieren beziehungsweise kann man gar nicht mehr rechts sein. Es widerspräche der Selbstachtung.
Meine Beobachtung erstreckt sich nicht nur auf die sozialen Netzwerke, in denen ein polternder Rechtsmob die Oberhand gewonnen hat, sondern ich schaue auch woanders, ob ich noch irgendwo einen vernünftigen Rechten erspähe. Vergeblich.
Was ist ein vernünftiger Rechter? Das ist ein Mensch, der mit seinen Gaben und Fähigkeiten in jeder Hinsicht den rechten Weg vorgeben kann und die Gesellschaft kann ihm gefahrlos folgen. Sie kann sich auf ihn verlassen. Früher konnte man sich auf viele Menschen verlassen, heute auf keinen einzigen mehr.
Was ist nur los? Was geschieht mit uns gerade? Jemand, der schon ein halbes Jahrhundert oder länger lebt, versteht die Veränderung nur schwer. Oben irgendwo, am Mittelpunkt unserer Erde, muss ein böser Gnom mit einem Spaltbeil sitzen und unablässig die Erde bearbeiten. Durch die Spaltung fliegen die Teile durcheinander und einiges dreht sich auf den Kopf. Soll man sich davon täuschen lassen?
Oder soll man klaren Verstand behalten und weiterhin Ausschau nach einem vernünftigen Rechts halten, einem Rechts, das dem Links wieder die Hand geben kann, sodass beide in Zukunft kooperieren können, auf einem neuen Weg, fernab von diesem falschen, scheinheiligen Rechts der letzten Tage, das sich nur die Wunden leckt wie ein verletztes Tier?