Derzeit leide ich unter einem kleinen Helfersyndrom. Meine Synapsen arbeiten auf Hochtouren, weil ich mir einbilde, jemand bräuchte meine Hilfe. Es ist schon ewig her, dass ich mir einredete, ich müsste die barmherzige Samariterin spielen. Seit ich die Geschichte "Der Muff" von Marie von Ebner-Eschenbach gelesen habe, weiß ich schließlich, was hinter so mancher barmherziger Ader steckt: Nichts Gutes. Das Ego wird auffrisiert. Gerne verausgaben sich Helfer und Helferinnen für andere Menschen, um daraus ein besseres Selbstwertgefühl zu beziehen. Wer das Buch "Die hilflosen Helfer" von Wolfgang Schmidbauer gelesen hat, wird wissen, was ich meine. Helfen kann auch pathologische Züge annehmen.

Der Mensch, dem ich helfen will, wird ausgenutzt. Das geht mir gegen den Strich. Es verletzt meinen Gerechtigkeitssinn. Es macht mich bisweilen sogar wütend. Das macht es mich deshalb, weil der Ausgenutzte ein guter Mensch ist, ein lieber Mensch, ein fleißiger Mensch, ein tüchtiger Mensch. Das hat er sich nicht verdient!

Als ich "meine Männer" fragte, ob sie einen gut bezahlten Job für einen Migranten hätten, zweifelten sie an meinem Verstand. Migrant? Viel zu stressig! Die Stimmung ist politisch aufgeheizt und die Unternehmer sind ambivalent eingestellt. Jeder will sie haben, weil sie weniger kosten und will sie gleichzeitig loswerden, die Migranten. Nur wer Abzocke im größeren Stil plant, nimmt Zuwanderer mit offenen Armen auf. Die anderen bleiben skeptisch. "Wir würden ihm ja gerne mehr zahlen, aber was ist, wenn er sein Geld nicht wert ist? Was hat er denn gelernt? Was kann er denn?"

Früher, als die Wirtschaft noch nicht so am Boden lag, war alles einfacher. Da kam es auf einen Angestellten mehr oder weniger nicht an. Das konnte man sich leisten. Das lief mit. Heute ist alles schwieriger geworden. Es bleibt kaum Luft nach oben, wenn man seriös arbeitet. Im Gegenteil muss man Angst haben, pleite zu gehen! Immer wieder schließen Filialen von größeren Unternehmen. Nur die ganz Großen, die Konzerne, dürften keine Sorgen haben. Ihre neuen Zweigstellen sprießen wie Pilze aus dem Boden. Gehört die Zukunft den Konzernen?

Vielleicht könnte ich einmal bei einem Konzern nachfragen, ob sie einen tüchtigen Migranten brauchen, der vom Regalbetreuer zum Marktleiter aufsteigen kann? Ja, das hätte sich mein Migrant verdient! Marktleiter! Dann kann er ein paar faule Einheimische zur Räson bringen!

Er ist schon acht Jahre in Wien und spricht gut Deutsch. Sogar den Wiener Schmäh beherrscht er! Also warum nicht?

Während ich mir den Kopf zerbreche, wie ich einem geschundenen Sklaven helfen könnte, pfeift dieser fröhlich vor sich hin und freut sich schon auf seinen Urlaub in fünf (!) Monaten. Würde er wissen, welche Gedanken mich umtreiben, würde er sich sehr wundern.

Ich sage mir, dass ich gerne in ein glückliches Gesicht sehen würde und übersehe ganz, dass dieses Gesicht die ganze Zeit glücklich ist. Ich will es nur nicht wahrhaben, dass dieser Mensch auch ohne meine Hilfe glücklich sein kann.

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berridraun

berridraun bewertete diesen Eintrag 14.12.2019 10:59:19

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