"Die mörderische Gleichgültigkeit", titelte die französische Tageszeitung Libération unlängst. Seitdem der Artikel erschienen ist, sollen weitere 400 Menschen im Mittelmeer ertrunken sein - Tendenz steigend. Die Kriege, der Terror im Nahen Osten und Teilen Afrikas vertreiben immer mehr Menschen. Frauen, Männer, Kinder, die um Ihr Leben rennen und es am Ende erst recht verlieren.
2014 erreichten 170.000 Menschen die italienische Küste. 218.000 hatten (laut Frontex) insgesamt versucht das Mittelmeer "illegal" zu passieren, um in Europa zu überleben. Dem Kontinent, der für Freiheit, für Gleichheit, für ein menschenwürdiges Leben steht.
Immer wieder werden hunderte von diesen Verzweifelten, die sich üblen Schleppern anvertrauen, die Geld mit der Not machen, vor der Küste von Lampedusa von der italienischen Küstenpolizei gerettet. Immer wieder sterben aber auch hunderte Flüchtlinge aus Libyen, Syrien und afrikanischen Ländern in den überfüllten Booten.
Es ist eine Schande für Europa und eine für die Welt.
Es ist unsere Schande, weil das Budget von Frontex - der EU-Agentur für die Zusammenarbeit an den EU-Außengrenzen - de facto um zwei Drittel gekürzt wurde. Eine Kürzung, die Leben kostet, weil die Überwachungsschiffe nur noch bis zu 55 Kilometer von der italienischen Küste ausfahren können. Viele ertrinken bereits wenige Meter nachdem sie vom libyschen Hafen abgelegt haben.
Es ist eine Schande, weil wir das kleine Lampedusa im Stich lassen und meist wegschauen. Es ist ein Grauen, dem wir uns nicht stellen wollen.
Es ist aber auch eine Schande, weil wir die Gründe für diese Flucht ignorieren: In Libyen werden Afrikaner aus Kenia, Somalien, Mali, die in Libyen einst arbeiteten, rassistisch verfolgt, ausgebeutet oder überhaupt gleich getötet.
Der 16-jährige Eritreer Filmon erzählte etwa Libération: "Die Libyer sind sehr grausam. Sie geben uns keine Nahrung. sie schlagen und töten uns. Und, die Boote auf die sie uns pressen sind zu klein. Sie stopfen 300 Menschen darauf. Am Ende überleben 30". Auch dieser Wahrheit muss man sich stellen.
Donnerstagabend berichtete die italienische Polizei, dass auf dem letzten Flüchtlingsboot ein schreckliches Verbrechen passiert sei: Islamisten hätten die Christen, die mit ihnen am Flüchtlingsboot waren, ins Meer geworfen - in den sicheren Tod.
Sehr viele Moslems flüchten freilich auch vor den fanatischen Islamisten, die ihre Länder ins Verderben stürzen. Unsere "mörderische Gleichgültigkeit" weitet sich auf verfolgte Minderheiten vor Ort, auf Menschen sämtlicher Religionen und Abstammungen, die keine unheiligen Kriege ausfechten, sondern einfach nur leben wollen, aus.
Jene Menschen, egal ob aus Libyen, Syrien oder Somalien sind die Herausforderung unserer Generationen. Schauen wir weiter weg? Ignorieren wir weiterhin die Gründe für ihre Flucht? Bleiben wir auch in Zukunft gleichgültig, wenn immer weitere Menschen in den Meeren vor unserem Kontinent ihr Leben verlieren?
Dann wird es die große Schuld unserer Zeit werden. Und, die Geschichtsbücher werden dereinst fragen: Wieso? Wer war für diese mörderische Gleichgültig verantwortlich?