Ein Hauptpropagandist der Terrormiliz ISIS auf Twitter wurde als Werber aus Bangalore geoutet. Der Mann, der zig tausende verherrlichende Tweets über die Schlächter geschrieben hatte und zumindest indirekt an der Rekrutierung westlicher Jihadisten beteiligt war, genoss ein Leben mit Pizzas und Partys fernab jeglicher Kämpfe. So weit, so skurril.Das Problem: "Shamiwitness" ist bei weitem nicht der einzige, der so manipuliert und dabei auch Medien in die Irre führt.Noch nie war es so leicht, so viele Informationen über noch so entlegene Kriegsgebiete - vom sicheren Büro aus - zu erhalten. Aber noch nie war es auch so leicht, falschen Informationen aufzusitzen. Zeit für eine selbstkritische Reflexion.Als die Revolution in Libyen startete, twitterten unzählige Libyer in perfektem Englisch. Wer den Wüstenstaat kannte, wusste, dass nur sehr wenige in Gaddafis Terrorstaat tatsächlich Fremdsprachen beherrschten. Ein Großteil der Informationen - die weltweit in Medien weiter transportiert wurde - stammte von Exillibyern in London, Paris, New York. Sie allesamt hatten wenig mit der Realität vor Ort zu tun. Als die Journalisten schließlich am Schauplatz waren und verschämt von Enthauptungen auch durch Rebellen berichteten, war das (falsche) Narrativ längst besetzt. Dafür hatten auch "traditionelle Medien" wie Katars Sender Al Jazeera bereits gesorgt - immer schön die ominösen "Aktivisten" zitierend.Auch Gaddafis elektronische Verteidigungsarmee saß übrigens großteils im Westen.Ähnliches spielte sich in Syrien ab. Wer das Bürgerkriegsland 2012 etwa besuchte, konnte bereits deutlich erkennen, was dort wirklich los war: eine unendlich leidende Zivilbevölkerung, die von Assad und auch von den - sorry - überwiegend radikal islamistischen Rebellen getötet wurde und wird. Das (falsche) Narrativ zu korrigieren, dauerte bis 2013.Egal, ob Ukraine-Krise oder Gaza-Krieg, noch nie wurden so viele falsche Informationen durch die unendlichen Weiten des Internet geschwemmt. Und noch nie verließen sich so viele Journalisten auf "Experten" und angebliche "Aktivisten" vor Ort. Twitter-Stars aus Kriegsgebieten werden perfekte und medientaugliche Bios verpasst. Und wir wählen den einfachen Weg oft, viel zu oft. BBC musste sich etwa im Sommer dafür entschuldigen, Fotos aus Syrien als Fotos aus Gaza gebracht zu haben. Bilder aus Syrien tauchten auch als "Fotos aus der Ukraine" auf.Vielleicht bewirkt die Enttarnung des Mannes aus Bangalore (einer der elektronischen Hauptpropagandisten von ISIS) ja ein Umdenken. Dass wir Medien zwar weiter die Vorzüge der Social Medias nützen, aber stets bedenken, dass hinter dem angeblich ach so gut informierten Aktivisten eben irgendein Angeber (oder bezahlter Manipulator) aus Indien, Deutschland oder wo auch immer sitzen könnte.Und,vielleicht zeigt die Manipulation durch falsche Aktivisten ja auch, warum Medien (egal, ob online oder Print) eben nicht durch Social Medias ersetzt werden können - zumindest dann nicht, wenn die Reporter selbst vor Ort sind, statt sich auf die "Shamiwitness"-Typen dieser Welt zu verlassen.Damit wir eben nicht zu (unbewussten) Propagandisten von Terroristen oder Despoten werden.