Die Zeiten ändern sich schnell, vor allem für Medienwissenschaftler. Gerade erst hat Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, sein Buch „Die große Gereiztheit“ veröffentlicht, als ihn das auch schon eingeholt hat, was er gerade noch als eher unwahrscheinlich eingestuft hat: Die gezielte und bewusste Instrumentalisierung von Social Media in großem Maßstab für politische Zwecke. Dann kam Cambridge Analytica. Nach heutigem Stand 97 Millionen Facebook-Accounts sind betroffen. Und man weiß nicht wirklich wie und in wessen Auftrag. Bekannt ist, dass Cambridge Analytica weltweit aktiv dazu beiträgt, Wahlergebnisse durch Meinungsmanipulation zu beeinflussen. Der gewöhnlich gut informierte Erich Möchel hat es zusammengefasst: http://fm4.orf.at/stories/2902850/
Pörksen beschreibt in seinem Buch – illustriert durch sattsam bekannte Fälle aus jüngster Zeit – die Mechanismen, mit denen der „Swing“ der öffentlichen Meinung gelingt. Seien wir genauer – nicht der öffentlichen Meinung schlechthin, sondern spezieller Sektoren der öffentlichen Meinung. Das Geheimnis des Verbiegens von Wirklichkeitswahrnehmung und Gefühlen hat ja mit sehr gekonnter Zielgruppenarbeit zu tun. Ein beliebtes Verfahren ist die Verstärkung: Man sucht sich in den öffentlichen Räumen der Social Media jene Personen heraus (und ja, das geht inzwischen auf Personenebene), die erkennen lassen, dass sie einem bestimmten Denkmuster verhaftet sind. Diese Zielpersonen werden mit Postings gefüttert, die an diese Denkmuster andocken – und fühlen sich bestätigt: „Ich bin nicht allein! Gut, dass Andere meine Meinung teilen!“ Dass diese Anderen oft erst einmal Bots sind, die nach präzisen Algorithmen ihr Gift ins Netz spritzen, nehmen die Adressaten nicht wahr. Und es ist auch schwer wahrzunehmen, die Technik ist perfektioniert. Bis zum Auffliegen von Cambridge Analytica wurde rasch als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt, wer solche Mechanismen beschrieb.
Die Saat geht rasch auf – viele (re)agieren so wie unser Vizekanzler und posten „Interessant … ich habe gelesen …“. Das Schneeballsystem macht aus ein paar gezielten Nadelstichen rasch Shitstorms, Fake-Lawinen oder Bewegungen. Das Gefühl, einer von vielen zu sein, verdichtet sich rasch zur sicheren Gewissheit, die Mehrheit (mit) zu bilden. Was oft genug behauptet wird, wird zur Wahrheit. Bis hin zur Apotheose: „Das will das Volk!“
Das genial angerührte Gebräu aus ein paar Körnchen Faktizität, perfekt ziselierten Umdeutungen für die Raster der liebevoll gehegten Vorurteile, vorgekauten Sprachregulierungen, die dem Denken (oder was man so nennen mag) seine Richtung weisen und aus endlosen Selbstverstärkungsmechanismen erweist sich weltweit als äußerst effizient, um Meinungen nach Belieben zu gestalten. Und vor allem die emotionale Basis hinter solcher Meinungsprägung ordentlich zu füttern. Wer sich erst einmal gut fühlt mit seiner Meinung, weil sie ihm vielfach bestätigt wird, der hält sich nicht lange mit lästiger Realitätsprüfung auf. Im Gegenteil – der Spin folgt mehr und mehr dem Uraltwitz „Leute, esst Exkremente – Millionen Fliegen können sich nicht irren!“
Die Realitätswahrnehmung wird ganz erheblich von sozialen Konstrukten geprägt, die einer kritischen Realitätsprüfung nicht standhalten würden. Die manipulative Impfung durch die Filter Bubbles der Social Media sorgt zudem verlässlich dafür, dass alle kritischen Instanzen von vornherein diskreditiert werden. Die Haltung „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ gehört seit jeher zum Repertoire dumpfer, ideologisch vereinnahmter Haufen. Man möchte keinen klärenden Dialog, man möchte Bekenntnisse, man möchte Menschen, die die eigenen Litaneien mitbeten.
Die Sprache, so wirkungsvoll sie zur Formierung von ferngelenkten Meinungskonglomeraten ist, verrät zugleich auch, wer sich zum nützlichen Idioten der Manipulatoren machen hat lassen. Oft fällt es schwer zu unterscheiden, ob bei den aufgesagten Meinungsmustern ein Web-Bot im Hintergrund werkelt oder ob tatsächlich ein denkender Mensch an der Produktion solcher Phraseologien beteiligt ist.
Meinungsfreiheit? Wenn man die Mechanismen sieht, mit denen weltweit Meinung hergestellt wird, bekommt der Begriff einen Hautgout. Gleichgeschaltete Meinung ist keineswegs frei, sondern in den Dienst einflussreicher Interessenslagen genommen. Auf tausend Bots kommen – über den Daumen – hunderttausend nützliche Idioten, die ihre Dienste gratis und franko leisten. Und keine Idee haben, wem sie eigentlich dienen.
Und das ist letztlich auch die Frage – wer steht jeweils dahinter? Welche Interessen werden verfolgt? Cambridge Analytica arbeitet wohl kaum ohne Auftrag. Und dann die Frage: Was tun angesichts der Versuchung, sich solcher Mechanismen zu bedienen, wenn es doch die anderen auch tun? Die reichlich unklare und bis heute nicht wirklich aufgeklärte Sachlage rund um Silberstein im letzten NR-Wahlkampf in Österreich hat letzte Reste an Vertrauenskapital zerschlagen. Und was sich heute an Möglichkeiten abzeichnet, demokratische Wahlen zu manipulieren, ohne sich etwas für die Stimmenauszählung einfallen zu lassen, stimmt äußerst nachdenklich.
Es geht ja auch nicht nur um Wahlkämpfe, es geht ums permanente „Verkaufen“ von Politik. Die von interessanten Zielgruppen geteilte Meinung darüber, was denn nun die aktuelle Politik sei, ist wichtiger als die reale Politik selbst. Das ist nichts wirklich Neues. Neu sind die noch vor wenigen Jahren undenkbaren Möglichkeiten, Meinungen über Politik zu steuern. Wir brauchen keine Diktaturen mehr, Demokratie genügt.
Lösungen? Idealistisch gedachte gibt es freilich, real chancenreiche hingegen … ich fürchte, der Zug ist abgefahren. Allenfalls fällt mir ein Spruch aus den 1970ern ein: „If you cannot be part of the solution, you should be part of the problem.” Aber ich fürchte, zu viele sehen eh kein Problem.
Rike/Pixelio.de