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Me too. Nein, nicht #metoo … Nur ein Versuch, inmitten der vielfältig vielschichtigen Diskussion des Themas ein paar Aspekte zu ordnen, wenigstens für mich zu ordnen. Alle reden übers Wetter. Ich auch.
Was ist denn das Thema? #metoo ist klar. Beginnend mit einer Vielzahl von Starlets und Stars, die vom Filmmogul Weinstein sexuell belästigt worden waren, traten mit ihren Erfahrungen ins Licht der Öffentlichkeit. Mutig, namentlich. Andere Frauen schlossen sich an, erzählten von Übergriffen anderer Männer, von Hollywood bis ins EU-Parlament.
Dann die Affäre Pilz. Zwei österreichische Medien – „Die Presse“ und „profil“ berichteten praktisch zeitgleich über Interna bei den Grünen, wo sich eine Mitarbeiterin wegen Pilz an die Gleichbehandlungsanwaltschaft gewendet hatte. Die taufrischen Meldungen darüber veranlassten einen Banker, über einen anderen Vorfall zu twittern, bei dem Pilz im sturzbetrunkenen Zustand eine Mitarbeiterin der Europäischen Volkspartei in Alpbach handgreiflich und intensiv belästigt hätte. Im Tweet wurde auch gleich ein weiterer Zeuge benannt, ein SP-Abgeordneter, mit dem zusammen der Banker die Frau vor weiteren Belästigungen durch Pilz bewahrt hätte. Die Stinkmorchel, phallus impudicus.
Florian Klenk, dem zunächst die Geschichte aus dem grünen Klub noch nicht gehaltvoll genug gewesen war, sprach mit dem Tweeter am Telefon, sprach auch mit Peter Pilz, und dieser erklärte wenige Minuten nach dem Telefonat, sein Mandat im Nationalrat nicht antreten zu wollen.
Klenk schilderte ausführlich die Informationen, die er und eine Falter-Mitarbeiterin gesammelt und die ihn bewogen hatten, mit diesen Schilderungen unterschiedlichen Hörensagens an die Öffentlichkeit zu gehen. Wie „die Presse“ und „profil“ an ihren Zund gekommen waren, haben sie bislang mit dem Hinweis auf Informantenschutz nicht bekanntgegeben.
Die Diskussion, die sich seither entsponnen hat, ist in weiten Teilen bekannt. Einige Aspekte davon scheinen mir auch über die gegenständlichen Sachverhalte hinaus interessant – welche das auch sein mögen.
Da ist allem vor das Phänomen der Konstruktion von Wirklichkeiten, manchmal manipulativ, oft einfach nur als Spiel mit den gegebenen Möglichkeiten, die wenigen Brocken an belastbarer Information so zu verknüpfen, dass sie sich zu einem Ganzen fügen und mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen können.
Für alles, was da an Thesen und Beschuldigungen durch den Raum schwirrte, gab es nachvollziehbare Begründungen – und für das Gegenteil davon ebenso. Was genau geschehen ist und wann – wir wissen es nicht. Nicht mit jener Sicherheit, die genügen würde, einen Menschen zu verurteilen. Und das gilt uneingeschränkt auch für alles, was ich mir in dieser Angelegenheit (und anderen) zurechtlege. „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ heißt das lesenswerte Buch dazu von Peter L. Berger und Thomas Luckmann.
Bleiben viele Fragen. Und bleiben einige kritische Anmerkungen, die angesichts der zunehmenden Theatralisierung von Politik auch mit den sprachlichen Werkzeugen der Theaterkritik formuliert werden dürfen.
Da ist vor allem einmal zu sagen: Die Performance des Selbstdarstellers Pilz war und ist in dieser Rolle erbärmlich. Nichts und niemand (außer er selbst) hätte ihn daran hindern können, sich hinzustellen und zu sagen: „Ich nehme diese Vorwürfe sehr ernst – und bitte um Verständnis dafür, dass ich das alles genau prüfen möchte, bevor ich dazu Stellung nehme oder darauf reagiere. Solange das dauert, werde ich XY bitten, mein Mandat im Nationalrat wahrzunehmen. Wenn die Umstände geklärt sind, werde ich selbst gemeinsam mit meiner Partei entscheiden, ob ich eine Verantwortung wahrzunehmen habe und in welcher Form das geschieht.“
Tatsächlich agierte Pilz wie ein ertappter Schulbub. Oder ein beleidigter Narziss. Er könne sich nicht erinnern. Er könne im einen Fall (die inkriminierten Vorgänge innerhalb der Grünen) belegen, dass da eine Intrige gegen ihn gesponnen worden wäre. Und beim anderen Fall sei er gerade dabei, das Geschehene zu rekonstruieren. Beides auch nicht wirklich ein Rücktrittsgrund – es sei denn, man unterstellte Pilz, dass er damals schon weitere Berichte über eigenes Fehlverhalten befürchtete, denen er zuvorkommen wollte. Mit dem Bewusstsein weiterer „Leichen im Keller“ erscheint sein Herumeiern ebenso nachvollziehbar wie unverzeihlich. Ein souveräner Politiker sieht anders aus.
Rudimentär blitzte Selbstkritik durch, aber auch da abgehoben generalisierend … das klang weniger wie „ich habe mich leider ziemlich oft danebenbenommen, und das tut mir leid – so darf ein Mann mit Frauen nicht umgehen, egal, ob er nun in der Öffentlichkeit steht oder nicht. Ich lerne daraus und hoffe, dass ich mir das Vertrauen für weiteres politisches Wirken zurückholen kann.“ Nein, er bemühte Allgemeinplätze von den mächtigen alten Männern, als ob er quasi unausweichlich als Opfer seiner Sozialisierung gehandelt hätte.
Es ist freilich etwas dran an der These, dass Macht zum Missbrauch verführe … in vielerlei Hinsicht, nicht nur sexuell. Und das Verführerische an der Macht lockt de facto ja auch oft genug zu Abenteuern, Verführer wie Verführte … wie soll der arme Mann da noch unterscheiden, ob die ins Auge gefasste Beilage für die Nacht nun ein williges Groupie oder eine Frau ist, die nur ein interessantes Gespräch sucht?
Halten wir den Ball flach. Die überwiegende Zahl der Männer weiß in solchen Fällen selbstverständlich zu unterscheiden und verantwortlich zu handeln, ohne Ausreden. Es soll ja niemand die These von den "mighty old men" als selbstverfügte Generalabsolution benutzen, peinlich genug, dass eine Verteidigungs-Strategie wie die von Pilz gewählte dazu einlädt.
Die Zahl der belästigenden und missbrauchenden Mächtigen ist durchaus noch groß genug, und wer immer ein paar Jahrzehnte (nicht nur) österreichischer Politik halbwegs aus der Nähe kennt, wird mühelos ein Dutzend mehr oder weniger prominenter Politiker aus dem Handgelenk schütteln können, von denen hinter vorgehaltener Hand ebenso wie nun angeblich von Pilz bekannt ist, dass sie … sagen wir: den jovialen Körperkontakt zum anderen Geschlecht (oder zum eigenen) suchen. Und es braucht auch nicht immer Alkohol dazu. Es könnte spannend werden, ob #metoo weitere Kreise ziehen wird, auch in die Politik hinein. Das geht dann quer durch alle Parteien … und nebenbei stellen sich auch noch Fragen wie zum Beispiel die frauenfreundliche Anmutung eines Geilomobils.
Im konkreten Fall entschuldigt das freilich weder die inkriminierten Übergriffe noch den haarsträubenden Umgang mit den sich anschließenden Inszenierungen. Eine Intrige (und/oder deren Konstruktion als Verschwörungstheorie) funktioniert immer dann am besten, wenn man dabei so dicht wie möglich an der Wahrheit bleibt, was immer sich da als Wahrheit präsentieren lässt. In Summe stellt sich das alles so ähnlich dar wie in den Wochen vor der Wahl die Auseinandersetzungen ums Dirty Campaigning … die Instrumentalisierung von Informationen durch manipulatives Kontextualisieren. Wahrheiten gemischt mit Unwahrem, bis unterm Strich der Eindruck übrigbleibt: Alles Gauner. Wem ist damit geholfen?
Im Falle Pilz ist mit seinem Ausscheiden quer durchs politische Panorama vielen geholfen, und dass sich die Frage „cui bono?“ nicht eindeutig beantworten lässt, steht nicht im Widerspruch zu einer aggressiv intriganten Realität, in der sich die kaum vertuschte, desaströs dunkle Seite eines missliebigen Kontrahenten wie ein Selbstbedienungsladen offenbart, aus dem jede/r nach Belieben seine Schlammbatzen entnehmen und werfen kann.
Was, es sei noch einmal deutlich gesagt, nichts an der Einschätzung der Sachverhalte ändert, mit denen Pilz nun konfrontiert ist. Die Frage „Hat er nun – oder nicht?“ stellt sich ja nicht als Entweder-Oder zur Frage „Politische Intrige oder nicht?“ Beides steht in eng miteinander verquickten Wechselbeziehungen und wirft insgesamt ein ziemlich trübes und betrübliches Licht auf die schmutzige Wirklichkeit der #metoo-Szenarien hierzulande. Die im Übrigen kaum noch diskutiert werden, seit man ein Symbol gefunden hat, das man stellvertretend benutzen kann.
Es melden sich ja schon die Stimmen, die den sexuell attackierten Frauen die Schuld dafür geben, dass die Übergriffigen ihretwegen nun bisweilen Schwierigkeiten bekommen. Das ist von derselben Intelligenz und Empathie wie die sattsam bekannte „Selber schuld!“-Hypothese bei Vergewaltigungen.
Ebenfalls zu beobachten war, dass die derzeitigen Verhandlungen über die künftige Regierung und die Begleitmusik dazu – etwa die zügige Machtübernahme von Schlüsselpositionen der Republik durch türkise Vasall/inn/en – völlig in den Hintergrund getreten sind. Zufälle gibt’s …