Stimme der Vernunft, flexible Version
Dem Volke aufs Maul zu schauen hat schon Martin Luther empfohlen. Wobei er mit Volk kein nationales oder kulturelles Konstrukt meinte, sondern so etwas wie „das einfache Volk“ anpeilte, das kein Latein sprach und keine elitären Privilegien genoss – also in etwa das, was Norbert Hofer für sein Volk hält. Jene knapp unter 50 %, die gegen die Hautevolée gewählt haben.
Diesem Volk hat man vor allem auch lange genug eingeredet, dass die EU zu den Wurzeln vieler Übel gehöre. Und dieses Volk war guter Hoffnung, stellte NoHo doch noch vor kurzem in Aussicht, dass binnen Jahresfrist das Volk zum Öxit gerufen würde, sollte sich nicht Gravierendes ändern an der EU. „First we take Manhattan, then we take Berlin“ sang Leonard Cohen. “Zerscht zeig’ ma’s dem Sascha, dann da gonz’n Wöd!“ freute sich schon fast halb Österreich.
Ja Schnecken. Über Kronenzeitung und ORF ließ „da Hofa“ aus heiterem Sommerhimmel – und gewiss nur zufällig unter dem Eindruck des Brexit und des ihm folgenden Chaos – verlauten, dass Österreich und die EU aber schon so was von zusammengehören, und überhaupt nur dann, wenn es zu einem EU-Beitritt der Türkei kommen sollte, also eher im übernächsten Jahrzehnt, wäre eine Volksbefragung angesagt …
Eine so rasante 180-Grad-Wende mit angezogener Handbremse sieht man sonst nur im Kino, in den Stunts der Action-Piloten. Immerhin, es bleibt den EU-Hassern ja noch ihr verlässlich europhober Bumsti HC, sofern der in den kommenden Tagen nicht auch noch entdeckt, dass die EU-Fahne blau ist. Und sich an die Paulskirche erinnert, als der Nationalismus Mitte des 19. Jahrhunderts die Überwindung der Kleinstaaterei forderte … was auf heute übersetzt ja auch bedeuten könnte, nationale Egoismen zugunsten transnationaler Identitäten zu schubladisieren. Aber gut, wir wollen ja niemand überfordern …
Alles Schurken außer … hm …
Griffiger ist die Vermutung, wonach jeder jeden bescheißt, wenn er nur die Möglichkeit dazu hat. Das Volk rebelliert nicht gegen diese selbstschädigende Einschätzung seitens seines Führers, es applaudiert. Man kennt ja einander. Und weiß sich eins in der Gewissheit, dass immer nur die anderen die Halunken sind.
Man klagt also. Nicht per Lamento, sondern vor Gericht. Wohl wissend, dass die anhängigen Klagen nicht vor dem 2. Oktober entschieden sein werden. Jetzt sind erst einmal Gerichtsferien, und dann … geht Zeit ins Land. Inzwischen bliebt die Beschuldigung, bleibt der Verdacht, wächst der völlig unbewiesene Vorwurf, die Niederlage Hofers bei der Stichwahl im Mai sei nicht mit rechten Dingen zugegangen.
Sozusagen eine Linke. Eine infame Strategie: Man operiert mit schamlosem Sumpfgeblubber, das man mit dem Anschein der ausschließlich rechtsfreundlichen Ordentlichkeit parfümiert. Es wird interessant zu beobachten sein, wie es rechtlich jener nicht geringen Zahl der FP-Wahlbeisitzer ergehen wird, die zwischen Skylla/Falschbeurkundung und Charybdis/Meineid lavieren und von Rechts von Amts wegen zu verfolgen sein werden. Die müsste man gar nicht erst klagen müssen, und falls doch, so wird es hoffentlich jemand tun.
Oida, dich kauf ich mir aus der Portokasse …
Bislang kaum diskutiert wurde allerdings – derzeit wohl auch noch mangels Beweisen – die zynisch-materielle Hintergrundmusik zur Wahlanfechtung. Aus guten Gründen verweigert die NoHo-Truppe den Beitritt zu einem Fairness-Abkommen für die dritte Wahlkampf-Phase … fair sei man sowieso, und es käme überhaupt nicht in Frage, dass man sich in die Kassen schauen ließe. Hofer verweigerte auch im Ö1-Interview jedwede Aussage über die Finanzquellen seines Wahlkampfs.
Offenes Geheimnis ist, dass Van der Bellen sich schwertut, auch noch eine dritte Wahlkampfwelle zu finanzieren. Unendlich viele Spender werden sich nicht einfinden. Und es war eine durchaus schlüssige, taktische Überlegung bei der blauen Anfechtung des Stichwahlergebnisses, dass man für den dritten Wahlgang auf die größere finanzielle Potenz setzte in der Hoffnung, den Gegner quasi auszuhungern. Man musste nicht einmal plausibel machen, dass Van der Bellen zu Unrecht die Wahl gewonnen hätte. Es genügte, einen weiteren Durchgang vom Zaun zu brechen. Den Rest würde das liebe Kapital entscheiden … war schon bei George W.Bush gegen Al Gore so, ist jetzt hierzulande wieder so.
Der Rubel rollt, die (Marionetten-)Puppen tanzen
Umso interessanter stellt sich die Frage, woher die FPÖ ihre Wahlkampfmillionen bezieht. Schon für die erste Stichwahl war die Rede von russischen Oligarchen, die finanzkräftig bei den Hoferschen Plakatfluten zugebuttert hätten. Man darf Ähnliches auch für die dritte Stichwahl vermuten … der Rubel wird rollen, und österreichweit werden wir zugelächelt werden.
Was hätte ein russischer Oligarch davon? Er selbst vermutlich wenig außer ein bisserl Dankbarkeit - wir hatten das ja schon, gerichtlich in Klagenfurt abgehandelt, dass unter freiheitlicher Patronanz russische Zuwendungen zum Beispiel die Verleihung der Staatsbürgerschaft als „part of the game“ mitbrachten.
Die Verschwörungstheorien lassen sich aber auch durchaus weiter treiben, und erst dann werden die Milionen-Investitionen ins Kornblumenblaue erklärbar – wenn man nämlich hinter dem Oligarchen-Kapitalismus auch ein politisches Interesse Russlands an der Destabilisierung Europas zu erkennen meint. Kein ungewöhnlicher Schachzug, sozusagen die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wie sie im Übrigen ja weltweit von allen Seiten betrieben wird, sofern sie dazu in der Lage sind. Man sucht sich, je nachdem, nützliche Idioten oder Komplizen, kauft sie und benutzt sie. Ein bisserl Spielgeld wurde ja zum Beispiel in einem Panama- Briefkasten geortet, und wer glaubt, dass ein Putin-Freund damit wertvolle Musikinstrumente ankaufen wollte, der hält auch eine umtriebige Twitter-Blondine für eine Künstlerin von Weltruf.
Ein Hinweis mehr jedenfalls auf die engen Verbindungen zwischen Freiheitlichen und brutalkapitalistischen Strategien. Nötigenfalls wird halt neuerlich angefochten, ist ja schon angeklungen. Mit vollen Hosen ist gut stinken. Jeder Gegner verhungert da am ausgestreckten Arm. Solange das Volk mitspielt. Die Doppelfinte Hofer-Strache, einer pro, der andere contra EU, wird jedenfalls plausibler. Der eine will die Wahl gewinnen, der andere seine Rubel nicht verlieren. Wird spannend, wie sich das ausgehen kann …
Jakob Ehrhardt jake@jake.at