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„Wir sind das Volk!“ skandieren die WutbürgerInnen gern, und oft im Brustton der Überzeugung. Nun ist Volk ein wenig eindeutiger Begriff. Wenn man nicht näher beschreibt, welchen Aspekt von „Volk“ man eigentlich meint, weiß man auch nicht, wovon man redet.

Was kann die Mathematik zur Klärung beitragen, wer das Volk sei? Ich beginne damit im Ausland, das seit einigen Tagen noch ausländischer geworden ist, ich beginne mit den Briten. Mit einer Mehrheit von 52 % haben sie per Volksentscheid den Brexit beschlossen.

Volksentscheid? Die Wahlbeteiligung lag bei plusminus 72 Prozent. Da genügt nun ein wenig Hauptschulmathematik, um sich vor Augen zu führen, wie tief im Volk verankert die Brexiter nun wirklich sind. Wie es der Brauch ist in der Demokratie, werden nur die abgegebenen gültigen Stimmen der Wahlberechtigten gezählt. Die ungültigen Stimmen und die Nichtwähler fallen unter den Tisch. Und vom Zeitpunkt der Verkündigung des Wahlergebnisses weg heißt es landauf und medienlandschaftab, es hätten 52 % der Briten für den Brexit gestimmt und 48 % dagegen. Was ist mit den 28 % der Wahlberechtigten, die überhaupt nicht abgestimmt haben?

Denen war’s eh egal, wie die Sache ausging, ließe sich argumentieren. Oder sie haben sich nicht durchringen können zu einer Entscheidung. Oder sie waren der Meinung, für die Lösung kniffliger Fragen hätten sie eh schon eine Regierung gewählt. Dennoch verändert sich das Gesamtbild erheblich, wenn man die Nullwähler einbezieht. Vor allem verändern sich die Stimmanteile von Pro und Contra. Für den Brexit haben dann nämlich nicht 52 % der Gesamtbevölkerung gestimmt, sondern lediglich 52 % jener 72 %, die zur Wahl gegangen sind.

Machen wir’s plastischer: Von hundert Briten haben 37 und ein halber für den Brexit gestimmt, 34 und ein halber waren für Leave und für 28 war die Wahl nicht der Mühe wert. Oder sie konnten/wollten sich nicht entscheiden. Da schaut es mit dem „Volkswillen“ schon ein wenig anders aus – 37,5 erklärten Brexitern stehen 62,5 Briten gegenüber, die bleiben wollten oder die sich nicht deklariert haben.

Freilich, nach den vereinbarten Regeln, nach denen der Volksentscheid tickt, zählen nur die abgegebenen Stimmen. Ob sich darin wirklich die Haltung „des Volkes“ ausdrückt, mag hinterfragt werden.

Es könnte uns auch egal sein, stünden wir nicht selbst vor der Neudurchführung der Stichwahl des Bundespräsidenten. Also zwar nicht Ja oder Nein, aber genauso eine Frage der Entscheidung zwischen zwei Alternativen.

Wie verankert waren die Kandidaten bei der ersten Stichwahl in der Bevölkerung? Wir hatten eine Wahlbeteiligung von 68,5 %. Hofer mit seinen 49,7 % wurde demnach also von 34,04 % der wahlberechtigten Bevölkerung gewählt, Van der Bellen erhielt von 34,46 % der gültigen Stimmen den Zuschlag, 31,5 % trafen keine Wahl … alle drei Wählergruppen zusammen ergeben 100 % der Wahlberechtigten.

Wir liegen damit – übern Daumen – im Bereich einer Drittelung, wobei freilich im Endeffekt „übern Daumen“ nicht genügt und die Zehntelprozentpunkte entscheidend sind.

Ein Drittel der WählerInnen wäre also abzuholen. Oder aber – und das ist eher die Einschätzung, zu der ich neige – die Querelen um die Wahlwiederholung werden das Lager der NichtwählerInnen weiter vergrößern. Der nächste Bundespräsident wird noch weniger Rückhalt in der Gesamtbevölkerung haben.

Machtpolitisch ist das freilich egal. Bei hoher Wahlenthaltung genügt ein Drittel oder weniger der abgegebenen gültigen Stimmen, um die absolute Mehrheit zu behaupten. So sind die Regeln. Ob das irgendwen berechtigt, daraus ein „Wir sind das Volk!“ abzuleiten? Wohl kaum. Der künftige Präsident wird allen Anlass haben, mit seiner (wenn überhaupt) Drittelverankerung in der Bevölkerung sehr maßvoll und zurückhaltend umzugehen. So oder so, vom größeren Teil der Bevölkerung wird er nicht gewählt sein. Wer sich für „das Volk“ hält, bleibt immer in der Minderheit.