Ich bin die Kavallerie.

Contenance ist wichtig, auch im Netz. Man kann nicht einfach nach Herzenslust toben, gifteln und drohen, weil man sich vor dem Bildschirm stark vorkommt. Leider gelingt mir das nicht immer. Als ich am Sonntag meinen Laptop aufklappte, um zu sehen, was ich am diesjährigen Life Ball alles verpasst hatte, sickerte eine tiefschwarze, gallertartige Flüssigkeit an menschlicher Grausamkeit aus dem Social Web in mein Wohnzimmer. Dass Ballvater Gery Keszler sich in seiner Ansprache als HIV-Infiziert geoutet und ebenso den Tod von U4-Servicelegende Horst betrauerte hat, habe ich schon in der Nacht davor mitbekommen.

Ich war stolz und traurig zugleich. Dass Gery Keszler seit Jahren den Virus in sich trägt, habe ich gewußt – aber es war irgendwie immer nebensächlich. Außer in jenen Momenten, in denen er mit dem Tod und Verfall anderer konfrontiert wurde. Dann sagte er ungewohnt leise „Warum lebe ich und warum sterben die anderen?" Gery hatte ein schlechtes Gewissen. Das muss er nicht haben. Immerhin leben dank seinem Engagement unendlich viele Menschen weiter, in Österreich, in Russland, im fernen Afrika. Wenn sich die ewige mockierende Öffentlichkeit die Mühe machen würden, sich mit den Tätigkeiten des Vereins AIDS LIFE auseinanderzusetzen, und nicht immer nur darüber onanieren würde, daß das Event Life Ball an sich ein Schrilles ist, müsste ich das nicht erwähnen.

Vielleicht habe ich deswegen überreagiert, gestern – als wiedermal angezweifelt wurde, wohin die Gelder gehen. Dass Gery Keszler in Saus und Braus leben würde und sein HIV_Outing nur ablenken soll. Vielleicht habe ich sogar dem einen oder anderem eine Watschen angedroht. Das ist natürlich falsch. Haters gonna hate – dagegen kann man wenig tun. Und Hass ist offensichtlich ansteckend – ebenso wie HIV. Er isoliert und er tötet. Er vergiftet uns von innen.

Vor Jahren verbrachte ich mit einer Freundin einen lauen Sommerabend in einem Gastgarten beim Karlsplatz, als gegen 23h Uhr ein leicht betrunkener Mann über den Zaun happte um schneller bei uns zu sein. Er war kein Unbekannter, im Gegenteil.  Beim Versuch über den Zaun zu springe, riß er sich die Wade auf und blutete, anfangs sogar recht stark. Der Mann hat HIV, seit Jahren. Damit kann er leben. Womit er nicht leben konnte, waren die Blicke der Menschen. Niemand wollte uns helfen, ihn zu verarzten. Niemand wollte ihn anfassen. Als meine Freundin und ich endlich ein Pflaster organisiert hatten, weinte er und zwar nicht, weil ihm sein Bein so weh tat.

Ich kann mit diesem Hass nicht leben. Und auch nicht mit dieser Angst. Das soziale AIDS, von dem Gery Keszler so oft spricht – und ich habe den leisen Verdacht, dass sehr viele nicht kapieren, worum es da überhaupt geht – tötet ebenso wie der Virus an sich. Es grenzt aus und isoliert. Der Mensch braucht den Menschen. Stark zu bleiben, den Hass nicht sein Herz zu lassen, scheint mir die größte Aufgabe. „Ah, da kommt die Kavallerie"; schrieb ein Ex-Kollege, der auf Facebook Gery Keszler indirekt der Selbstbereicherung beschuldigte – und ich darauf hin mit einigen wenigen Worten aufklärte, dass dem nicht so sei. Gut. Dann bin ich halt die Kavallerie. Passt ja auch irgendwie. Denn wer versucht, sein Herz rein zu halten und sich nicht vergiften zu lassen – vom Hass, von der Angst, vom Neid – der braucht wahrhaftig ein schnelles Pferd.

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Herbert Erregger

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irmi

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fischundfleisch

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