Das Schreiben fällt mir heute schwer. Ich bin müde, aber gleichzeitig hellwach. Die letzen Tage habe ich zuviel getrunken, zuviel geraucht, ich bin fahrig, in mir schreit alles. Gestern bin ich um vier Uhr morgens aufgestanden und habe meine Wohnung geputzt. Ich bin permanent auf Facebook, permanent am Lesen, Streiten, Toben. Nichts lenkt meine Gedanken von dem ab, was in Paris passiert ist. Trotzdem: Das hier wird kein Blog über Religion. Ich bin an Religion nicht interessiert, seit ich in diesem Fach vor vielen Jahren maturiert habe. Ich glaube an nichts außer an Herzenswärme und Menschenverstand. Jetzt sind die Kollegen von ‚Charlie Hebdo' tot – und ich muss einsehen: Nur weil ich kein Interesse an Glauben habe, egal ob katholisch oder islamisch, bedeutet nicht, dass nicht andere immer noch dafür töten würden. Das hier wird auch kein Blog über Politik. Mir ist klar, was die Hintergründe des feigen Attentates in Paris sind. Ich kenne die Wurzeln, mir ist klar, dass die Gotteskrieger auf dem Boden der unendlichen Gier gezüchtet worden sind.
Das hier wird vielleicht ein Blog über die Psychoanalytikerin und Kolumnistin Elsa Cayat. Ich kannte die Dame bis zu ihrem Tode nicht, aber sie schrieb in der ausgerotteten Redaktion den „Charlie Divan" eine Glosse, in der sie aktuelle Probleme der Erziehung und des Geschlechterverhältnisses thematisierte. Sie hat Bücher zu den Themen Sexualität und Begehren geschrieben. Sie war sicherlich gescheiter als ich. Jetzt ist sie tot.
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Seit ich denken kann, höre ich davon, wie Frauen wie Elsa klein gehalten wurden. Vor allem und immer noch durch Religion und durch die für den Strukturerhalt genehme Auslegung der Schriften durch die sogenannten Gläubigen. Nirgendwo ist sie was wert, die Frau, weder in der Bibel noch im Koran. Die minderwertige Stellung der Frau wird selbst im Judentum u.a. im Reinheitsprinzip deutlich. Und wir wollen mal nicht darüber reden, wie die lustig kiffenden Rastafaris über ihre Frauen denken. Anyway. Ich lasse mir von keinem Menschen, egal ob er das Kreuz schwenkt oder den Koran, weis machen, dass ich weniger Rechte habe, weniger wert bin, weil ich Brüste und eine Muschi habe. Das war mal. Heute lebe ich in einem Europa, in der eine Elsa über Geschlechterrollen und Sexualität schreiben darf. Frauen dürfen wählen, Autofahren, sie dürfen sogar vögeln wie ein Mann, so sie eine dicke Haut haben, um mit den Kommentaren dazu fertig zu werden. Frauen müssen keine Kinder mehr bekommen, sie müssen sich nicht verhüllen, sie müssen nicht dem Manne dienen, sie dürfen ihn lieben. Das ist alles keine Selbstverständlichkeit, das wurde erkämpft und erstritten. Für die Freiheit, die ich jetzt lebe, haben viele aufrechte Frauen und Männer gelitten. Für meine, für Elsas Freiheit.
Elsa geht also zur Arbeit, weil sie es gerne tut. Ihr Ehemann verdient auch, man lebt gut, man lebt gerne. Elsa ist die einzige Frau an dem Tisch, an dem Charlie seine Redaktionskonferenzen hält. Das macht nichts. Weil alle Anwesenden in erster Linie Menschen sind. Elsa schlägt Themen für das nächste Heft vor. Vielleicht raucht sie in der Küche eine Zigarette. Dann wird sie erschossen. Elsa stirbt und mit ihr ein Teil von mir. Ermordet von Menschen, die glauben, dass im Himmel Jungfrauen auf sie warten. Das ist so unendlich traurig.
Ich bin Elsa. Ich schreibe um Mut zu machen. Ich schreibe für all jene, die nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehören. Ich schreibe für Hausfrauen, die sich für ihre Lust immer noch schämen. Ich schreibe für Homosexuelle, die angefeindet werden, weil sie einem Kind ihre elterliche Energie und Liebe schenken wollen. Ich schreibe gegen alles, was uns schwach macht – zwar nur im Kleinen und nicht als große Kennerin der Weltpolitik oder der Wirtschaft. Ich schreibe über Liebe und Sex und über Rechte und über Freiheit. So wie Elsa es tat. Elsa ist tot. Sie hinterlässt einen Ehemann und eine 20-jährige Tochter. Ich lebe. In Freiheit. Und zum ersten Mal in meinem Leben, weiß ich, dass ich für diese Freiheit auch sterben würde.
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