Amerika, Putin und das Haager Tribunal: Der Haftbefehl gegen Russlands Präsidenten zeigt die Wirkungslosigkeit dieses Gerichts. Die Grossmächte akzeptieren es nicht

Wolfgang Koydl

Die Welt ist klein geworden für den russischen Präsidenten Wladimir Putin, seit der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hat. Jeder Mitgliedstaat des Tribunals muss den Kremlchef nun festnehmen, falls dieser sich auf seinem Territorium befindet. Wie ein beflissener deutscher Streber hat Marco Buschmann, Justizminister in Berlin, als einer der Ersten schon mit den Handschellen gewunken.

Moralische Selbstbefriedigung

Da kann Putin von Glück reden, dass es noch die USA gibt. Ob Alaska, Alabama oder Arizona – in den Vereinigten Staaten ist er sicher vor dem langen Arm der Ankläger. Denn Washington erkennt den Gerichtshof nicht an, der sich zur Aufgabe gemacht hat, die vier schwersten Menschheitsverbrechen zu verfolgen und zu ahnden: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen. So stellt man sicher, dass kein US-Bürger vor den Schranken des Gerichts steht.

Das allein zeigt die ganze Impotenz dieses Tribunals.

Es dient vor allem, wie so vieles in der heutigen Zeit, der moralischen Selbstbefriedigung der Europäer: Hier urteilt Richter Harmlos. Seitdem das Gericht vor zwanzig Jahren seine Tätigkeit aufnahm, hat es lediglich eine Handvoll Fälle verhandelt, dafür aber Milliardensummen ausgegeben. Da die meisten Angeklagten aus afrikanischen Staaten stammten, mussten sich die Richter zudem dem Vorwurf des Rassismus aussetzen lassen. Auch die Zusammensetzung des Richterkollegiums ist mitunter fragwürdig. So verdiente sich der derzeitige Vizepräsident seine ersten juristischen Sporen als Militärstaatsanwalt im Zaire des Diktators Mobutu.

Befürworter des Gerichts heben gerne hervor, dass stattliche 123 Staaten das Statut des Gerichtshofes ratifiziert oder unterzeichnet haben. Das freilich lässt 70 Nationen übrig, die nicht kooperieren. Auch damit könnte man vielleicht leben, doch unter den Verweigerern befinden sich politische Schwergewichte: Neben den USA sind dies unter anderem Russland, China, Israel, Saudi-Arabien, Indien, der Iran oder Pakistan. Mit anderen Worten: Staaten, die – anders als etwa die Schweiz oder die Seychellen – die Fähigkeit oder die Absicht haben könnten oder unter Beweis gestellt haben, entsprechende Vergehen zu begehen.

Angriffskriege führen auch andere, nicht zuletzt die USA, Saudi-Arabien und der Iran.

Staaten kann das Internationale Strafgericht freilich nicht anklagen, sondern nur Personen. Es anerkennt zudem den Vorrang des nationalen Rechts und wird daher nur aktiv, wenn ein Verdächtiger in seinem eigenen Staat nicht angeklagt wird.

Dann aber kann es aus eigenem Antrieb tätig werden – wie jetzt im Fall von Putin. Merkwürdig finden Beobachter allerdings, was man dem russischen Präsidenten vorwirft: nicht etwa einen Angriffskrieg, sondern die Deportation von ukrainischen Kindern, die wesentlich schwerer zu beweisen ist.

Aber Angriffskriege führen auch andere, nicht zuletzt die USA im Irak, auf dem Balkan und in Afghanistan oder Saudi-Arabien und der Iran im Jemen. Tatsächlich fällt der Tatbestand der Aggression erst seit 2018 in den Zuständigkeitsbereich des Gerichts. Obwohl kein Signatarstaat, versuchten die Vereinigten Staaten mit allen Mitteln zu verhindern, dass der Ankläger in Den Haag auf eigene Faust feststellen und ermitteln kann, wann er einen Angriffskrieg zu erkennen meint. Diese Definition wollte man sich augenscheinlich selber vorbehalten.

Auch im gegenwärtigen Fall hat es den Anschein, als ob die USA vermeiden wollten, dass Parallelen gezogen werden zwischen Russlands Angriffskrieg und amerikanischen Angriffskriegen. Für Erstaunen sorgte in diesem Zusammenhang, dass das Pentagon intervenierte, als das Weisse Haus dem Gericht Beweise über russische Kriegsverbrechen übergeben wollte. Die Militärs erinnerten den Präsidenten daran, dass er sich damit nach US-Recht strafbar gemacht hätte.

Denn die 2002 auf Drängen des Pentagons verabschiedete American Service-Members’ Protection Act verbietet US-Behörden jede Zusammenarbeit mit dem Gericht.

Das Gesetz ist eine einzige Kampfansage an die internationale Menschenrechtsjustiz.

So ermächtigt es den Präsidenten, in Den Haag inhaftierte US-Bürger notfalls mit Gewalt zu befreien. Und 2019 verhängte Donald Trump Einreiseverbote und Finanzsanktionen gegen Staatsanwälte und Richter. Ihr Vergehen: Sie hatten sich erdreistet, Ermittlungen gegen US-Bürger aufzunehmen.

Russland sieht der Anklage übrigens gelassen entgegen. Ex-Präsident Dmitri Medwedew kommentierte den Haftbefehl lapidar mit dem Emoji einer WC-Papierrolle.

Link:https://weltwoche.ch/daily/amerika-putin-und-das-haager-tribunal-der-haftbefehl-gegen-russlands-praesidenten-zeigt-die-wirkungslosigkeit-dieses-gerichts-die-grossmaechte-akzeptieren-es-nicht-in-den-usa-ist-jede-mithilfe-str/

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