Washington muss sich vor der internationalen Gemeinschaft erklären und zur Rechenschaft gezogen werden, wenn die USA tatsächlich an den Explosionen der North Streams beteiligt waren. Mit diesen Worten kommentierte das chinesische Außenministerium die Veröffentlichung des aufsehenerregenden Enthüllungsartikels von Seymour Hersh. Der renommierte Journalist gab unterdessen bekannt, dass er nicht ausschließt, nach Russland zu kommen und vor der Duma zu sprechen. Wie war die Reaktion auf seine Enthüllungen in Amerika selbst und bei den Partnern der USA in Übersee? Die Antworten gibt unser USA-Korrespondent.
Die offenste Administration in der Geschichte, wie sich Joe Bidens Administration selbst bezeichnet, ist so transparent wie möglich und bereit für alle Fragen. Aber weder die Pressesprecherin des Präsidenten noch irgendein Journalist aus dem Weißen Haus sprechen über die Sprengung der Nord Streams. Es ist, als ob sie sich abgesprochen hätten. Das US-Außenministerium hätte auch geschwiegen, aber es gab einen aufdringlichen Reporter, der dem Pressesprecher auf die Pelle rückte.
„Ich bin sicher, Sie kennen den neuen Bericht von Seymour Hersh darüber, wie Amerika die Nord Stream-Pipeline zerstört hat. Das Weiße Haus hat jegliche Beteiligung daran bestritten. Halten Sie die Leugnung einer Beteiligung der US-Regierung für glaubwürdig?“, fragte er.
„Ich bin mir dessen absolut sicher, und ich bin bereit, es zu wiederholen. Sonst noch Fragen?“, antwortet Ned Price, der Sprecher des US-Außenministeriums.
„Lassen Sie mich fortfahren, wenn ich darf. Hat das Außenministerium mit den Botschaftern von Deutschland, Norwegen, anderen Verbündeten oder deren offiziellen Vertretern über diese Frage gesprochen?“, folgt eine Nachfrage.
„Es wäre untypisch für uns,“ lacht Price, „Verbündete und Partner mit etwas zu behelligen, das völliger Unsinn ist und das von allen, die es objektiv betrachten, abgelehnt werden sollte.“
Ned Price‘ Lachen ist nervös. Jeder erinnert sich an die Drohungen von höchster Stelle in Washington gegen Nord Stream. Es waren nicht nur Erklärungen, sondern eher Versprechen sowohl von Victoria Nuland als auch von Joseph Biden, die ein Jahr zuvor versprochen haben, die Pipeline zu zerstören.
„Wenn Russland auf die eine oder andere Weise in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 nicht vorankommen“, betonte die Kekse-Verteilerin des Maidan Victoria Nuland.
„Sobald Panzer und russische Truppen die Grenze zur Ukraine überschreiten, wird es kein Nord Stream mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen. Ich verspreche Ihnen, wir können das tun“, hat US-Präsident Joe Biden offiziell gedroht.
Nach den Sprengungen haben die USA die Welt weiterhin mit absurden Nachrichten bombardiert: Sie haben Russland beschuldigt, seine eigene Gaspipeline gesprengt zu haben. Sie sagten: „Moskau hat sie sabotiert.“
„Hershs Geschichte zeigt: Die USA haben zugegeben, dass es für die USA sehr viel schwieriger wird, einen Stellvertreterkrieg gegen Russland zu führen, wenn Nord Stream funktioniert. Deutschland wird nicht einfach zustimmen und sich selbst von dieser billigen Energiequelle abschneiden. Die USA haben eine Lösung gefunden – sie haben die Pipeline in die Luft gesprengt“, baut der Journalist Aaron Mait eine logische Kette auf.
Wie Amerika Nord Stream 2 zerstört hat, hat Seymour Hersh in dem Artikel auf einem Portal berichtet. Seine Quelle bei den Geheimdiensten hat die Operation im Detail beschrieben. Der Bombenanschlag wurde von Marines vorbereitet, und zwar so, dass der Kongress nicht informiert wurde, schrieb Hersh.
„Es ist ein grundlegender Irrtum zu behaupten, dass unsere Nachrichtendienste keiner Aufsicht unterliegen. Wer so etwas schreibt, dem kann man nicht trauen. Er stellt die Tatsachen völlig falsch dar, wie er es schon in vielen anderen hochkarätigen Fällen getan hat“, betont Ned Price.
Ned Price erinnert sich sicher an seine Zeit im Weißen Haus im Jahr 2015, als er versuchte, ein weiteres skandalöses Hersh-Exposé im Zusammenhang mit der Ermordung Bin Ladens zu widerlegen. Der historische Schnappschuss aus dem Jahr 2011: Barack Obama sitzt im Situation Room, Joe Biden ist noch Vizepräsident und der derzeitige Außenminister Anthony Blinken lugt noch hinter den Rücken anderer hervor. Sie alle sehen zu, wie die tapferen amerikanischen Spezialeinheiten den wichtigsten Terroristen ausschalten. Nur ist die offizielle Version, so Hersh, nicht ganz ehrlich.
Dem investigativen Journalisten zufolge wurde Bin Laden von Pakistan, wo der Terrorist zu dem Zeitpunkt seit mehreren Jahren im Gefängnis war, den Amerikaner übergeben und lebte nicht, wie von Washington behauptet, in Freiheit.
„Es ist eine merkwürdige Geschichte: zwei Gruppen von US-Spezialkräften sind 70 Kilometer von Islamabad entfernt. Sie haben keine Unterstützung, keine Deckung aus der Luft und sie handeln angeblich allein. Klingt seltsam, oder?! Natürlich lassen die Pakistaner das zu. Der pakistanische Geheimdienst führte unsere Spezialeinheiten in das Gefängnis und sie töteten ihn. Erinnern Sie sich daran, dass da eine Stahltür war? Da war die Stahltür, weil er nicht im Haus, sondern im Gefängnis war“, hatte der Journalist Hersh zuvor behauptet.
Hersh war der erste, der die Welt über die Grausamkeiten informierte, die amerikanische Soldaten im irakischen Gefängnis Abu Ghraib begangen hatten. Er entlarvte die CIA in den 1970er Jahren, als der amerikanische Auslandsgeheimdienst im Inland Amerikaner ausspionierte, die gegen den Vietnamkrieg waren. Übrigens hat er auch über den Vietnamkrieg geschrieben. Er deckte das Massaker des Pentagons im Dorf Sangmi auf, bei dem über 500 Zivilisten erschossen wurden. Hersh wurde damals mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Sein Scharfsinn wurde von Richard Nixon bewundert, obwohl es eben jener zahnlose Journalist war, der während des Watergate-Skandals über ihn schrieb.
„Zum Teufel, diese Geschichte in der Times, die Hersh geschrieben hat… Normalerweise nimmt er nichts Falsches. Ich meine, er ist ein Hurensohn, ein Hurensohn, aber er hat meistens recht! Oder nicht?!“, stellte Nixon eine rhetorische Frage.
Hersh ist eine lebende Legende, aber Reuters schreibt den 85-jährigen Enthüllungsjournalisten in einem Kommentar über dessen Artikel über die Sprengung von Nord Stream zu einem Blogger herunter. Die New York Times, für die er viele Jahre lang gearbeitet hat, war nicht an seiner Geschichte interessiert. Die Zeitung nennt die Sprengung ein „Rätsel“, das sie offenbar nicht lösen will.
Das Schweigen der westlichen Medien wird von chinesischen Diplomaten auf deren Wissen oder deren Unwilligkeit, die Wahrheit zu finden, zurückgeführt.
„Die Nord-Stream-Pipeline ist eine wichtige transnationale Infrastruktur. Die Explosion hatte schwerwiegende negative Auswirkungen auf den weltweiten Energiemarkt und die weltweite Umwelt. Wenn die Untersuchungsberichte von Hersh wahr sind, ist das inakzeptabel. Und für derartige Handlungen muss die Verantwortung übernommen werden. Die amerikanische Seite muss vor der Welt zur Rechenschaft gezogen werden“, fordert der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Mao Ning.
Berlin verlangt keine Erklärungen. Dort erklärt man, man habe keine Informationen über eine Beteiligung der USA an der Sprengung von Nord Stream. Gegenüber diesem Partner aufzumucken, hätte Folgen. Deutschland kauft nun amerikanisches Flüssiggas zum dreifachen Preis und schweigt, und zwar gehorsam.