Antje Hermenau war Mitgründerin und Politikerin der Grünen. Heute bekämpft sie alsUnternehmerin den links-grünen Kurs und erklärt, was mit der Energiewende zu tun wäre.
Beat Gygi
Temperamentvoll setzt sich Antje Hermenau in deutschen Fernsehsendungen für die normalen Leute ein, für Familien und Gewerbler, die unter Vorschriften und Kosten leiden. Sie vertritt eine unternehmerische Gegenposition zur herrschenden Bürokratie und Klimapolitik, auch zu den verbreiteten Vorurteilen gegenüber Ostdeutschland, wonach man da die neue Zeit nicht verstehe. «Wir sind die Deutschen mit Erfahrung», sagt sie im Gespräch, denn im Osten habe man seinerzeit zur Genüge Verhältnisse erlebt, in denen Gesinnung, Lenkung und Ideologie dominierten.
Antje Hermenau, 1964 in Leipzig geboren, ausgebildet als Diplom-Sprachlehrerin und Verwaltungswissenschaftlerin, war 1990 Mitgründerin der Grünen in Sachsen, sass ab 1994 zehn Jahre im Deutschen Bundestag, dann zehn Jahre im Sächsischen Landtag. 2014 stieg sie aus der Politik aus und ist heute als Publizistin und Beraterin unternehmerisch tätig. In ihrem Buch «Ansichten aus der Mitte Europas. Wie Sachsen die Welt sehen» (2019) legt sie dar, was Nüchternheit und Realitätssinn der Gesellschaft bringen können. Wir führen das Video-Gespräch mit ihr in der Woche der Bauerndemonstrationen.
Weltwoche: Frau Hermenau, in Deutschland prallen zwei grüne Welten aufeinander: die Landwirtschaft gegen das Grün der Ampelregierung. Was läuft da für ein Konflikt ab?
Antje Hermenau: Ich habe kürzlich die Forderungen der Bauern von damals im Bauernkrieg vor 500 Jahren nachgeschlagen. Da tauchen viele Themen auf, die heute auch wieder in der Debatte sind, die Übergriffigkeit der Obrigkeit etwa oder die Klage, dass vom Geld, das man erarbeitet hat, nicht genug zum Leben übrigbleibt.
Weltwoche: Sind die Vorwürfe begründet?
Hermenau: Ich verstehe die Proteste. Die Bauern haben ihr Bestes gegeben, haben sich wirklich ins Zeug gelegt und auch mal Massstäbe gesetzt für andere Branchen. Die Steuererstattung für Agrardiesel entspricht etwa der Summe, die in einer Woche für die Migration über den Tisch geht. Die Dinge stehen in keinem Verhältnis mehr zueinander. Den Bauern wird das Leben schwergemacht, während Projekte, die in meinen Augen völlig sinnlos sind, weiter finanziert werden.
Weltwoche: Zum Beispiel?
Hermenau: Etwa der Umstieg auf klimafreundliche, Grünen-freundliche Ziele in afrikanischen oder lateinamerikanischen Ländern, als ob die Welt dafür da wäre, das grüne Parteiprogramm umzusetzen. Das ist verrückt. Deswegen haben sich andere Branchen mit der Landwirtschaft solidarisiert. Dies ist ein Test für das Protestpotenzial in der Gesellschaft.
Weltwoche: Eigentlich stehen damit Umweltinteressen gegen Umweltinteressen, aus ganz unterschiedlichen Positionen.
Hermenau: In der Politik ist es so weit gekommen, dass Energieentscheidungen oft Umweltfragen übertönen. Beim Bau von Windrädern in Wäldern etwa wird der Umweltschutz in den Hintergrund gedrängt. Die Konfrontation zwischen Energiepolitik und Umweltpolitik nimmt zu.
Weltwoche: Ist das auch ein Konflikt von Utopie beziehungsweise Ideologie gegen Pragmatismus?
Hermenau: Ja, aber in Deutschland gibt es eindeutigen Vorrang für klimapolitische Massnahmen in der Art, wie die Grünen sie vorgeschrieben haben. Es gibt da weder Technologieoffenheit noch Kompromisse, es werden einfach Flächen überbaut, die wir eigentlich für Nahrungsmittel bräuchten. Zudem leiden die Bauern auch unter den ganzen Auflagen zu Dünger und Pflanzenschutz. Inzwischen enthält der Weizen ja so wenig Protein, dass man das Mehl gar nicht mehr richtig verbacken kann. Es entwickelt sich vieles ins Gegenteil dessen, was früher mal zur Absicht erklärt worden ist.
Weltwoche: Hat die Regierung so viel Einfluss auf den Gang der Dinge?
Hermenau: Die Regierung in Berlin will das alles durchziehen. Die Grünen gehen voran, die beiden Koalitionspartner SPD und FDP folgen und haben kaum eigenen Gestaltungswillen.
Weltwoche: Regierung, das heisst also im Prinzip grüne Ideologie?
Hermenau: Ja, die grüne Ideologie kennt keinerlei politisch konstruktive Kompromisse. Die FDP spricht von Liberalisierung, ist aber nur ein Schatten einer Partei. Die Leute geben sich da so urban und modern wie die Grünen, die Wirtschaft haben sie vernachlässigt. Das Festhalten an der Schuldenbremse ist noch das letzte Positive, was ich über die deutschen Liberalen sagen kann.
Weltwoche: Und die Sozialdemokraten?
Hermenau: Die SPD lebte ja lange Zeit vom Narrativ, dass sie den armen Arbeitern zur Seite stehe, damit diese zu mehr Freizeit und Geld kämen. Nun aber war der Kapitalismus in der Geschichte relativ erfolgreich, seit dem Mauerfall wissen das auch alle, und damit wurde es schwierig für die SPD. Sie suchte neue Opfer zum Betreuen und ist auf die Idee gekommen, die armen Migranten könnten in dieser Rolle sein. Nur ist es so, dass diese grösstenteils keinen deutschen Pass haben und nicht als Wähler dienen können. Wobei – ich glaube auch nicht, dass die alle automatisch linke Wähler wären und empfänglich sind für all die Gender- und Minderheitenthemen. Kurz: Der SPD sind einfach die Opfer ausgegangen, die sie betreuen kann.
Weltwoche: Wie sehen Sie es bei den andern?
Hermenau: Dasselbe trifft auf die Linke zu. Also versucht man, neue Opfer zu kreieren. Besonders erfolgreich sind in dieser Hinsicht jetzt die Grünen mit ihrer Klimapolitik. Die schaffen automatisch enorm viele neue Opfer, weil die meisten Leute sich das gar nicht mehr leisten können, was grüne Politik alles kostet.
Weltwoche: Aber das kann ein riskantes Spiel sein mit der Unterstützung der Wähler.
Hermenau: Meiner Ansicht nach ist es auch ein Stück weit Verzweiflung, die sich im Verhalten der Grünen ausdrückt. Die waren lange Zeit in der Opposition, sie haben immer nur ihre Geschichte weiter gepflegt, die aber aus den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammt und heute entsprechend verstaubt daherkommt.
Weltwoche: Woran zeigt sich das?
Hermenau: Man muss nur schauen, wie technologiefeindlich die Partei aufgestellt ist, etwa bei der Atomkraft. Es gibt so viele neuere, modernere Technologien im Bereich Kernkraft, die auch ohne das Risiko eines GAUs funktionieren, bei denen diese Gefahr gebannt ist. Da könnte man sich mal kundig machen. Man denke auch an neue Technologien zum Aufbereiten von Atommüll, mit Steigerung der Energieausbeute und Reduktion der Strahlung. Es ist verrückt, wie sich die Grünen zur Technologie stellen, wie sie zwei, drei Arten wie etwa Solar und Wind bevorzugen und alles andere völlig abwerten.
Weltwoche: In der Praxis müssen sie aber Abstriche machen.
Hermenau: Ja, so haben sie die Kohlekraftwerke wieder eingeschaltet, weil das mit der Gasenergie nicht funktioniert hat. Es ist ein Elend für Deutschland. Jeder deutsche Sonderweg innerhalb der Europäischen Union führt ins Chaos.
Weltwoche: Sie haben in der grünen Partei das Ganze von Anfang an politisch miterlebt und mitgestaltet. Wie war das?
Hermenau: Ich komme ja aus einem Land, aus der DDR, das war total schmutzig, war schrecklich, mit katastrophaler Umweltqualität. Ich bin in Leipzig aufgewachsen, ein Viertel der Leute in meiner Umgebung hatte chronische Bronchitis oder Neurodermitis, die waren wirklich Opfer von Umweltverschmutzung. Durch die Desindustrialisierung ist dann alles ziemlich schnell besser geworden in den neunziger Jahren.
Weltwoche: Auch ohne grüne Politik?
Hermenau: Diese Entwicklung konnte man nicht vorhersehen. Ich war aktiv, ich habe mich da nicht nur den Grünen angeschlossen, sondern habe sie mitgegründet in Sachsen. Weil ich der Meinung war, dass wir eine Umweltschutzpartei brauchen, weil die Umwelt unerträglich verschmutzt war. Und ich bin auch heute noch sehr für Umweltschutz, wo er sinnvoll ist und wo er funktioniert. Aber dieses eine Ziel zum Primat zu erheben und alles andere dem unterzuordnen, das lehne ich ab. Ich sehe eine Gleichberechtigung zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt, ein Dreieck, als sinnvoll und praktikabel an.
Weltwoche: Sie haben 2014 bei den Grünen die Führungspositionen und dann die Partei verlassen, weil sie mit der starken Fixierung auf links nicht einverstanden waren. Sehen Sie eine solche Spannung auch heute noch?
Hermenau: Ja, das ist das andere, was mich stört, nämlich diese Versteifung auf den Klimaschutz mit den dirigistischen Klimamassnahmen, die offensichtlich eine Art Konstruktion darstellen, unter der man marxistisches und unrealistisches Gedankengut weiterhin verbreiten und betreiben kann. Die Kommunisten haben sozusagen den Anzug gewechselt. Und dafür stehe ich nicht zur Verfügung.
Weltwoche: Als Unternehmensberaterin vertreten sie heute eine andere Welt.
Hermenau: Ich war 25, als die Mauer fiel, ich habe gute Gründe, gegen Sozialismus und Kommunismus zu sein. Ich weiss, wovon ich spreche. Ich war erwachsen und habe das erlebt, ich bin Zeitzeugin und lege grossen Wert darauf, dass das meinem Kind oder meiner Enkeltochter nicht passiert.
Weltwoche: Deutschland tritt als Vorreiter im Klimaschutz auf, aber bei genauer Betrachtung ist es eigentlich ein kleiner politischer Kreis, der diesen Kurs so vorantreibt.
Hermenau: Die Grünen versuchen, ihrer Linie immer treu zu bleiben und sich als Reformmotor zu verstehen. Dabei war und ist das nur sich selbst eingeredet, reine Autosuggestion. Denn die deutsche Wirtschaft ist zum grossen Teil mit sehr hohen ökologischen Standards unterwegs. In der Produktion haben wir im internationalen Vergleich mit die höchsten Standards überhaupt, was Umweltschutz betrifft. Wir sind an der Spitze dabei, und es gibt überhaupt keinen Grund, diese Spitze jetzt noch dünner nach oben zu treiben. Es wäre viel klüger, unten, in der Breite, wo noch viel Verschmutzung stattfindet, mitzuhelfen, dass das abnimmt.
Weltwoche: Zum Beispiel?
Hermenau: Zum Beispiel die Abscheidung von CO2 in der Kohleverstromung exportfähig machen, wo wir ja mit bereits erprobten Anlagen der Schwarzen Pumpe führend wären. Aber das wurde kassiert von Kanzlerin Merkel und den Grünen, die via Bundesländer immer um die Ecke mitregiert haben, um unbedingt Windkraft und Solar voranzutreiben. Ein Desaster, diese fehlende Technologieoffenheit.
Weltwoche: CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken wäre ein Umweltgewinn.
Hermenau: Ja, die Inder haben gerade kürzlich beschlossen, mehr auf Kohleverstromung zu setzen, die Pakistaner bereits vergangenes Jahr. Und die Ursache dafür war, dass die Deutschen zu horrenden Preisen weltweit Flüssiggas LNG aufgekauft haben und die Pakistaner aus dem Markt gedrängt wurden. Statt sich selber zu verfeinern und als moralischer Spitzenreiter daherzukommen, wäre es besser, technischen Fortschritt so zu entwickeln, dass er günstig wird und weltweit Anwendung findet.
Weltwoche: Die deutsche Energiewende ist engstirniger ausgerichtet.
Hermenau: Das Problem mit der Konzentration auf Solar und Wind ist, dass dies zum Aufbau sehr viel Fläche, Masse und knappe Materialien beansprucht und dass im Vergleich dazu die Ausbeute, die Energiedichte gering ist. Man fällt damit eigentlich ins vorindustrielle Zeitalter zurück, die Stromerzeugung ist flatterhaft, nicht verlässlich, kaum bezahlbar.
Weltwoche: Es bräuchte ein Back-up-System zur Stützung?
Hermenau: Ja, unter Merkel war das geplant mit dem Erdgas aus Russland, bezogen über die Pipelines. Dieses Back-up-System mit Gas ist nun zerschossen, im wahrsten Sinne des Wortes.
Weltwoche: Und was ist der Ersatz?
Hermenau: Den gibt es nicht. Die Speichertechnologie ist noch unterentwickelt, erreicht nicht die Grössenordnungen, die benötigt würden. Die Stromnetze sind zu schwach, der Ausbau ist zu langsam und teuer. Das ist alles nicht auf die neuen Energiepläne abgestimmt. Diese Energiewende sollte man stoppen.
Weltwoche: Warum trägt das Volk das mit?
Hermenau: Solange das Volk nicht durchschaut, wohin das führt, macht es mit. Aber viele merken jetzt, dass sie an der Belastungsgrenze sind und wie die Politik sie versetzt hat. Als die Ampelkoalition sich zusammenfand, war den treibenden Kräften klar, dass das Geld für die Energiewende, wie die Grünen sie haben wollen, in keiner Weise vorhanden ist. Man verfiel dann auf den Plan, dass die Bürger und die Wirtschaft das bezahlen sollen, über Steuern, Abgaben, Energiepreise, Stromtarife und so weiter. Also solidarische Umlagen zur Finanzierung von Kokolores, der nicht funktioniert.
Weltwoche: Der Strompreis ärgert die Leute.
Hermenau: Die Preissteigerungen schieben die Politiker jetzt auf die Ukraine, die Energiekrise und auf Putin. Aber das ist Ablenkung. Die mutwillige Schliessung von Kraftwerken ist es, welche die Probleme derart drastisch aufbrachte. Das begann schon weit vor dem Krieg in der Ukraine und geht auf die Ideologie zurück, die sture Fixierung auf Anti-Atomkraft. Die Grünen erschweren den Leuten das Leben derart, dass diese kaum mehr schlafen können – ist ihnen aber egal: Hauptsache, sie können ihre Ideologie umsetzen.
Weltwoche: Weckt das Erinnerungen?
Hermenau: Ja, ich habe das schon mal erfahren, dass Leute sich weiss was alles ausgedacht haben, was dann in der Praxis nicht funktioniert. Und das auf dem Rücken der Bürger, die täglich arbeiten. Ich kann mich noch erinnern, was haben wir damals nicht alles gebastelt und gefummelt, um irgendwelche Leitungen und Decken zusammenzuschustern, um die Wohnung warm zu kriegen. Alles auf unterstem Niveau. Ich weiss überhaupt nicht, worin der Sinn besteht, dass der Westen Deutschlands jetzt als seine Zukunft die DDR entdeckt.
Weltwoche: Aber der Widerstand, etwa gegen das Heizungsgesetz, zeigt doch auch Grenzen auf.
Hermenau: Meine Erfahrung aus 1989 ist, dass man einen Aufstand nicht herbeireden kann. Ein Aufstand entsteht, so etwas hat eine eigene Dynamik. Deswegen habe ich bei den Bauernprotesten jetzt auch von einer Art Testballon gesprochen. Mich beschäftigt die Frage: Warum muss all das den Menschen zugemutet werden? Gibt es einen grösseren konsistenten Plan dahinter?
Weltwoche: Strategien der EU?
Hermenau: Brüssel ist ja auch nicht in der Lage, besser zu entscheiden. Die kommen mit dem Green New Deal, mit Auflagen für Verbrennungsmotoren oder für grüne Finanzanlagen. Die EU-Politik ist ebenfalls dysfunktional.
Weltwoche: Brüssels Vorteil ist doch die Distanz. Je weiter die Politikentscheide von den Bürgern entfernt sind, desto eher kann man deren Interessen übergehen.
Hermenau: Ja, weil die Politiker mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen gar nicht konfrontiert werden. Am Ende der Nahrungskette sitzen dann die Bürgermeister und Landräte in den Gemeinden, die alles ausbaden müssen. Deswegen bin ich auch der Ansicht, dass die Demokratie regional begrenzt sein muss. Vertrauen entsteht nicht auf Distanz. Vertrauen entsteht nur in der Begegnung, der Berechenbarkeit. Unter diesen Bedingungen halte ich Demokratie für sehr tragfähig.
Weltwoche: Dann ist die EU ziemlich undemokratisch?
Hermenau: Ich glaube nicht, dass man demokratische Prinzipien auf der Ebene der EU wirklich transparent umsetzen kann. Vielmehr kommt es so immer wieder zu Machtkonzentrationen.
Weltwoche: Deutschland wurde ja föderalistisch aufgebaut. Hilft das gegen Zentralismus?
Hermenau: Mit unserem Mehrebenensystem von der regionalen Ebene über die Landes- bis zur Bundesebene wären wir gut aufgestellt. Dies umso mehr, als in Deutschland das sehr gute Prinzip der Subsidiarität etabliert wurde. Früher hiess das, dass alle Aufgaben, die auf unterer Ebene erledigt werden können, auch dort verbleiben sollen und im regionalen Wettbewerb umgesetzt werden. Es gibt in der Praxis ja fast immer mehrere Modelle.
Weltwoche: Warum sagen Sie «früher»?
Hermenau: Weil heute dieser Wettbewerb ausgeschaltet ist. Berlin ordnet an, Brüssel ordnet an. Das ist die Verkehrung der Subsidiarität. Das Wort wurde beibehalten, wird aber dann gebraucht, wenn die zentralen Obrigkeiten den untergeordneten Stellen bedeutungslosen Kleinkram zuschieben.
Weltwoche: Beim Klima kann man aber wohl wirklich sagen, es sei ein globales Problem, das nach zentraler Regelung verlangt. Damit haben die Zentralisten ein gewichtiges Argument für sich.
Hermenau: Genau deswegen haben sie dieses Thema als Mantel für ihre kommunistischen Ideen auch gewählt. Das ist meine feste Überzeugung. Das habe ich früher als junger Mensch so nicht gesehen, aber inzwischen glaube ich, dass sie diese Möglichkeiten gezielt genutzt haben. Wir reden da nicht mehr vom Kommunismus für den kleinen Mann, wie es vielleicht vor Jahren üblich war, es geht vielmehr um eine Art Kommunismus für Monopole, die grosse Industrie, weltumspannende Konzerne.
Weltwoche: Was passiert mit der Energiewende in Deutschland?
Hermenau: Die Energiewende kann man nur retten, wenn man grosse Korrekturen vornimmt, sie vom Kopf auf die Füsse stellt. Ich sehe aber keinen Akteur, der das macht. Regierung und Grüne werden ihren Kurs halten, auch wenn das in den Untergang führt. Die FDP hat keinen Plan, und von der Union habe ich auch keine brauchbaren Vorschläge gehört.
Weltwoche: Und was wäre Ihrer Ansicht nach zu tun?
Hermenau: Aus meiner Sicht ist die Wende nur möglich, wenn man jetzt radikal bremst, kein neues Geld für Ziele in 2030 oder 2045 verspricht. Dringlich wäre ein Vertrag mit den Kernkraftbetreibern, damit sie noch fünfzehn Jahre lang Energie liefern. Man muss zudem eigene Ressourcen anzapfen, unsere inländischen Erdgasreserven in der Nordsee und, via Fracking, in Norddeutschland. Die würden zwanzig bis dreissig Jahre lang reichen, um ohne Russen, Amerikaner, Chinesen und Araber zu genug Gas zu kommen und eigene Gaskraftwerke als Back-up-System zu betreiben. Wir wären in der Lage, das Problem selber zu lösen.
Quelle: "Die Weltwoche"