Aus Achgut von Thilo Schneider

Mein Pizza-Ausflug in die Bio-Welt

Man hat das ja manchmal. Zwei Berufstätige, die sich fürs Einkaufen auf den jeweils anderen verlassen haben und dann feststellen, dass auf Andere kein Verlass ist. Da hockst Du dann da, guckst in den Kühlschrank und stellst fest, dass das Abendessen aus der abenteuerlichen Kombination von einem halben Glas Gewürzgurken, einem Joghurt, einer abgelaufenen Mayonnaise und den übrigen Buchstabennudeln der Buchstabensuppe letzte Woche bestehen wird. Das geht natürlich nicht.

„Schatz“, hat der Schatz vorgeschlagen, „wir könnten uns doch eigentlich eine Pizza bestellen. Wir sind reich genug. Wir wohnen doch nicht mitten in der Stadt, damit wir Gurken mit Nudeln essen!“ Die Idee fand ich gut und legte sogar noch eine Pizza obendrauf, weil ich erstens nicht gerne teile und zweitens gerne meine halbe Pizza mit der anderen halben Pizza vom Schatz tausche, so hat jeder etwas davon. Zumindest in der Vergangenheit. „Wir könnten“, so sprach der Schatz, „doch bei der neuen Bio-Pizzeria bestellen, die machen so Bio-Pizza, das ist dann auch noch total gesund, und wir tun was für die Umwelt und alle, mit denen ich bisher geredet habe, waren total begeistert und es ist auch nur ein bisschen teurer als der ewig gleiche Fraß vom „Influenza con Salmonelle“.“

Ich wurde hellhörig. BIO-Pizza? Aus welchen chemischen Kampfstoffen sollte denn bisher meine Pizza bestanden haben? „Mit wem hast Du denn gesprochen?“, fragte ich vorsichtshalber nach. „Mit der Dings, der, die wo da, Du weißt schon, ist doch egal“, wiegelte der Schatz ab, und so begann mein Pizza-Ausflug in die Bio-Welt. Flugs hatte der Schatz sein Handy angeworfen, war auf die Website vom Bio-Pizza-Laden gegangen und hat verkündet, dass er schon weiß, was er isst. Das war schön für den Schatz. Für mich nicht. Ich nahm das Handy und wurde gleich von der Speisekarte angequatscht: „Hallo, schön, dass Du hier bist. Unsere Bio-Pizza besteht zu 100 Prozent aus biologisch angebauten Produkten ohne Zusatzstoffe oder Allergenen. Such Dir einfach aus, was Dir schmeckt, wir bringens Dir dann vorbei!“ Coole Jungs, da. Und was sich so einfach ausnahm, wurde zu einer Mammut-Aufgabe.

Das ist alles ziemlich traurig. Eine Trauerpizzakarte.

Ich sage es mal so: Ich kenne und liebe so die Klassiker. Pizza Margherita, Pizza Salami, Pizza Meeresfrüchte und die große BBQ-Pizza mit 32 cm Durchmesser, dem Partyknaller, wenn nur Gürkchen im Haus sind. Mag ich. Kenne ich. Derart primitive Pizzen sind jedoch die Sache von Bio-Pizza nicht. Es gibt eine „Pizza Blanca“, das ist der nackige Pizza Teig, angefeuchtet mit Bio-Olivenöl (handgeschöpft) und Bio-Rosmarin („handgepflückt aus den sonnigen Rosmarinanbaugebieten der Toskana“). Da kann ich mir auch das Gurkenwasser über die beiden restlichen Knäckebrotscheiben schütten. Ich kann auch eine Pizza Tomata oder eine Pizza Zwiebel oder eine Pizza Gurke oder eine Pizza Pepperoni oder eine Pizza Diavolo (mit sonnengereiften Bio-Chilischoten aus echt fairem kubanischen Anbau) haben. Dazu reicht der umweltbewusste Gourmet und Pizzabäcker stets das freihändig geschöpfte Bio-Olivenöl. Im Grunde dampft sich die Pizza-Karte auf jeweils den entsprechenden Gemüsebelag mit Olivenöl ein. Ich habe in meinem Leben kreativere Currywurstbuden kennengelernt.

Der Schatz hat meinen Unmut und meine Ratlosigkeit gesehen und sich erkundigt, ob ich denn nichts fände. „Nein“, habe ich gesagt, „ich finde nichts. Das ist alles ziemlich traurig. Eine Trauerpizzakarte. Da ist überhaupt nichts mit Fleisch oder Muscheln oder diesen kleinen Tieren mit den acht Armen dabei. Nicht einmal irgendwas mit Käse gibt es da auf den Bio-Teig aus garantiert biologischem Gelüge. Auf der Karte steht mehr Prosa als Essen.“ Der Schatz hat kurz nachgedacht und dann „Nimm doch stattdessen einfach einen Salat, wenn Du nichts findest“ vorgeschlagen. Aber wenn ich Salat hätte essen wollen, dann hätte ich mich auch über das halbe Glas Gewürzgurken hermachen können. Das habe ich dem Schatz auch gesagt. Und dann ist mir eine Idee gekommen.

„Was nimmst denn Du?“, habe ich den Schatz gefragt. „Die große Pizza ganz unten. Pizza Verdure. Also Gemüsepizza. Da ist von allem was drauf. Mit Olivenöl ist das.“, hat der Schatz überflüssigerweise zusatzerklärt. Und da habe ich beschlossen, dass ich heute lieber mit ihr keine Pizzahälfte tauschen will. Ich war enttäuscht. „Ich hätte gerne etwas mit Fleisch gegessen, meinetwegen Bio-Fleisch von zu Tode gestreichelten Rindern oder an Altersschwäche gestorbenen Schweinen, kann meinetwegen auch nach Tofu aussehen, eben irgendetwas, was mir schmeckt. Aber die haben da nicht einmal Salamischeibchen.“, habe ich mich beschwert.

„Ich bestell woanders was anderes“

„Schau“, hat der Schatz mir gezeigt, „da gibt es doch auch eine Pizza Gourmet mit selbst gestrichenen Honigkrustenchampignons nach Landfrauenart drauf. Probiere die doch mal!“ Und ich habe mir die Nachfrage „…mit Nachtigallenzungen? Sind da Nachtigallenzungen drauf?“ verkniffen. Sie meinte es ja nur gut. Aber ich habe noch nie Landfrauen Honigkrusten streichen sehen. Sowas macht doch kein Mensch. Erst recht keine Landfrau. Da hätte sie viel zu tun, den lieben langen Landtag. Allerdings sah es mir wirklich so aus, als wollte der Schatz ganz dringend und unbedingt eine Bio-Gemüse-Pizza mit Alles und handgeschöpftem Olivenöl essen, weil doch die Dings, die-wo-da, ich-weiß-schon, is-doch-egal, davon geschwärmt hat.

„Ach“, habe ich gesagt, „bestell doch einfach Deine Pizza und ich bestelle mir woanders etwas anderes.“ „Ab zwanzig Euro kriegen wir aber einen Bio-Wein dazu“, hat mich der Schatz aufgeklärt. „Ich weiß schon – aus von übertariflich bezahlten Osteuropäern mit Arbeitsvisum handgepflückten Trauben gekeltert.“, habe ich ergänzt, „ich bestell woanders was anderes.“ Und dann hat der Schatz bei dem Bio-Pizza-Laden angerufen und erfahren, dass die heute den letzten Tag offen haben und nichts mehr liefern, weil „der Konkurrenzdruck so stark ist“.

Da war zur Abwechslung der Schatz enttäuscht. Ich nicht. Ich habe die Älteste angefunkt und bei ihr einen Familieneimer ungesunde, maschinenfrittierte Hähnchenteile von verdammt unglücklichen, aber dank Medikamenten kerngesunden Hühnern bestellt, den sie uns später im Tausch gegen zwei abgehackte Hühnerbeine vorbeigebracht hat. Ich danke Gott, den Amerikanern und Ludwig Erhard für die Marktwirtschaft.

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