Regierungswechsel in Argentinien
Der Libertäre Javier Milei wurde zum neuen Präsidenten des Landes gewählt
Die Welt hat einen neuen Gottseibeiuns gefunden. Die Lücke, die Donald Trump hinterlassen hat, füllt ein Argentinier, der mit Kettensäge auftritt, Linke als „Parasiten“ bezeichnet und der Fantasie einer alkoholisierten Ayn Rand entsprungen sein könnte.
Mit Javier Milei haben die Libertären, die national wie international stets als ein randständiges Anhängsel des konservativ-liberalen Lagers galten, ein Aushängeschild gefunden. Er hat dem jahrzehntelangen Würgegriff linker bis linksradikaler Parteien, die Argentinien unterjochen, den Kampf angesagt.
Der Sieg des 53 Jahre alten Ökonomen aus Buenos Aires hat den politischen Gegner kalt erwischt. Außerhalb Argentiniens war das „Framing“ wohl noch nicht klar: da war von einem Anarcho-Liberalen, einem Anarcho-Kapitalisten, einem Ultraliberalen, einem Rechtspopulisten, einem Ultrakonservativen, einem Ultrarechten, einem Rechtsradikalen die Rede. Die Welt wachte am Montagmorgen auf und plötzlich sollte der Mann mit der Kettensäge Präsident der einst wichtigsten Wirtschaftsmacht Lateinamerikas sein.
Bleiben wir bei der Kettensäge. Denn eines kann Milei auf jeden Fall: sich in Szene setzen. Seine Äußerungen verbreiten sich rapide im Internet, weil er nicht nur zu provozieren weiß. Er scheint genau zu wissen, wie Internet-Memes funktionieren. Seine Auftritte regen Assoziationen zu popkulturellen Phänomenen an. Dazu gehört ein viral gehendes Video im Netz, in dem er publikumswirksam ankündigt, ein Ministerium nach dem nächsten abzuschaffen. Auch die Zentralbank soll weg, wenn es nach Milei geht. Der Nachfahre italienischer Einwanderer ist überzeugter Vertreter der Österreichischen Schule.
Der Brasilianer Jair Bolsonaro ist gefallen, der Argentinier Javier Milei kommt – mag man meinen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn Milei ist eben kein Konservativer, wie es Bolsonaro war, sondern gehört einer Strömung an, die bis dato nur als Theorie von Hayek-Anhänger bestand.
Womöglich ist das der Grund, warum eine Wahl am anderen Ende der Welt die internationale Presse so stark dominiert. Denn es ist für die woke Bewegung ein Paukenschlag, dass im linken Argentinien, wo der Kirchner-Clan über ein Jahrzehnt lang die Macht in Händen hielt, plötzlich der Antipode an die Spitze drängt.Sieht man von dem kurzen Intermezzo unter dem zentristischen Präsidenten Mauricio Macri ab, haben seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahr 1983 durchgehend links der Mitte verortete oder in mindestens peronistischer Tradition stehende Parteien regiert. Vielleicht ist Argentinien noch nicht ganz verloren.
Quelle:
https://mailchi.mp/tichyseinblick/20112023-argentinien?e=737fb53c22