Alle Jahre wieder - das Fest der (Schein)heiligkeit

Es weihnachtet. Ok, draussen nicht unbedingt. Von Schnee, wieder einmal, an Heilig Abend keine Spur. Für uns Wiener sind Grüne Weihnachten leider schon zur Gewohnheit geworden. Die verschiedenen Weihnachtsbeleuchtungen in den Einkaufsstraßen der Stadt versuchen, allen Unwirtlichkeiten zum Trotz, Weihnachtsstimmung zu verbreiten. Um zumindest daran zu erinnern, dass es an Weihnachten ja auch zum guten Ton gehört, Geschenke zu kaufen. Je mehr, umso besser. Um zumindest die Kassen des Handels klingeln zu lassen. So hetzen wir gestresst durch die Stadt, auf der Suche nach den passenden Präsenten für Omas und Opas, Tanten und Onkels, Kousins, usw. Und bitte, nur ja niemanden vergessen. Das würde mit ziemlicher Sicherheit einen kaum noch gutzumachenden Fauxpas bedeuten.

Wie gut, dass wir regelmäßig von gutmeinenden Medien, und anderen Gurus, daran erinnert werden, dass es zu Weihnachten ja eigentlich um ganz etwas anderes geht: zu Weihnachten sollten wir doch, bitte schön, zur Besinnung kommen. Wir sollten kostbare Zeit mit unseren Lieben verbringen. Unschöne Ereignisse, die zu Streit innerhalb der Familie oder unter Freunden führten, sollten vergeben und vergessen werden, wir sollten lieb und nett zueinander sein. Und außerdem sollen wir auch an jene denken, denen es nicht so gut geht wie uns. Von allen Sünden kann man sich reinwaschen, wenn man brav für Licht ins Dunkel spendet, oder irgendein altes Handy aus den Untiefen des Abstellraums hervorkramt und in einer Papiertüte an den Staatssender schickt. Und überhaupt, zu Weihnachten ist doch Geben seliger als Nehmen. Und dann ist doch eigentlich eh alles Friede-Freude-Eierkuchen. Oder nicht?

Jetzt stellt sich für mich, als aufmerksame Beobachterin, folgende Frage: warum versuchen wir immer, ausgerechnet zu Weihnachten die ganzen Verbrechen, die wir im Laufe des Jahres begangen haben, wieder gutzumachen? „Wenn Weihnachten das Fest der Liebe ist, warum ist dann Weihnachten nur an Weihnachten?“ fragte schon der deutsche Autor Engelbert Schinkel. Sind wir plötzlich geläutert? Bedeutet das etwa, dass jetzt der Startschuß für ein humaneres Leben gefallen ist, bei dem man die Bedeutung von Nächstenliebe nicht mehr googeln muss? Wo gegenseitige Akzeptanz und Respekt gelebt, und auch an die nächste Generation weitergegeben werden? Tja, schön wärs. Aber wir scheitern ja schon daran, Kinkerlitzchen-Neujahrsvorsätze einzuhalten.

Wieso versuchen wir nicht einfach, das ganze Jahr nach gewissen Vorsätzen zu leben? Und nein, ich rede jetzt nicht davon, endlich mit dem Rauchen aufzuhören, oder drei mal in der Woche eine Runde um den Häuserblock zu laufen. Es geht mir um nachhaltigere Dinge. Womit man in der Lage wäre, tatsächlich viel Leid zu verhindern. Denn es gibt zum Beispiel auch heute, im 21. Jahrhundert, noch immer viel zu viele Menschen, die Hunger leiden müssen. Überall auf der Welt. Da mutet es geradezu bizarr an, wenn in der EU pro Jahr 88 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll landen! Davon gehen 53 % auf das Konto privater Haushalte. 30 % des Lebensmittelmülls verursachen Landwirtschaft und Produzenten, und 5 % Gastronomie und Handel. Eine Spezies, die eine derartige Dekadenz zu ihren Charaktereigenschaften zählt, hat die Bezeichnung „Höheres Säugetier“ nicht mal annähernd verdient. Das ist einfach nur krank. Liebe Leute, da könnt ihr noch so stolz eure Spendenurkunde von Licht ins Dunkel, gut sichtbar, an der Klotüre platzieren, das hilft nichts mehr.

Und warum sehen wir manche unserer Verwandten nur zu Weihnachten? Warum lassen wir die Oma im Altersheim versauern, und beehren sie immer nur kurz vor Weihnachten mit dem obligatorischen Pflichtbesuch? Oder die alte Tante, die eh nur im Nachbarbezirk wohnt, aber wo man vor lauter selbstgemachtem Pseudostress wieder und immer wieder keine Zeit findet für einen Besuch. Warum schauen wir nicht einfach übers Jahr verteilt öfters vorbei? Und machen ihr damit eine echte Freude, und zeigen, dass wir denkende Wesen sind, die auch die Fähigkeit des Mitfühlens beherrschen, und sich somit tatsächlich von anderen Lebewesen abheben.

Warum können wir das Fest der Liebe, wie Weihnachten manchmal auch genannt wird, nicht ganz einfach auf das ganze Jahr ausweiten? Wäre das wirklich zu schmerzhaft für uns? Schaffen wir es tatsächlich nur einmal im Jahr, Nächstenliebe zu zeigen, und auch auf die zu schauen, denen es, aus welchen Gründen auch immer, nicht so gut geht wie uns? Es muss doch auch möglich sein, von unserem egoistischen, selbstverliebten hohen Ross runter zu steigen, und zwar auch dann, wenn gerade keine Tannenbäume in den Wohnzimmern stehen, oder nicht gerade „Stille Nacht“ gesungen wird. Oder ist das doch zu illusorisch?

Da ich grundsätzlich trotzdem ein lebensbejahender Mensch bin, der irgendwo, ganz weit im Hinterkopf, doch noch an das gute im Menschen glaubt, wünsche ich hiermit allen Leserinnen und Lesern ein Frohes Fest und einen guten Rutsch ins Jahr 2017.

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Spinnchen

Spinnchen bewertete diesen Eintrag 24.12.2016 13:06:51

Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 24.12.2016 07:17:10

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