1. Lektion: Stein des Anstoßes - das generische Maskulinum

Die Reaktion auf meinen ersten Blog auf dieser Plattform "Mehr Gendergerechtigkeit durch Gendern von Sprache?" hat eine überwältigende Resonanz gefunden. Offenbar ist das ein Thema, das viele beschäftigt. Allerdings wurde auch klar, dass die Diskussion in alle möglichen Richtungen ausgeufert ist und dass zum Teil auch persönliche Fehden ausgetragen wurden.

Ich will mit der Fortsetzung des Blogs die Aussprache auf inhaltliche Punkte konzentrieren. Es soll um die Sprache gehen, nicht (nur) um Meinungen zu irgendwelchen anderen Fragen, so interessant sie auch sein mögen. Die Diskussion über das Gendern wird allzu oft zwar meinungsstark, aber argumentationsschwach geführt. Über Anregungen, Kritik, Ergänzungen würde ich mich freuen. Die intelligenten Trolle bitte ich, sich zu mäßigen, die anderen werden einfach gelöscht.

Ich möchte als Sprachwissenschaftler denjenigen Argumentationshilfe leisten, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen und den Befürwortern des Genderns sachliche Argumente entgegensetzen wollen. Mir ist bewusst, dass es sich um ein emotional aufgeladenes, teilweise auch ideologisches Minenfeld handelt. Dennoch halte ich es für notwendig, den Diskurs aufzunehmen und dem moralischen Druck der Sprachfeministinnen nicht widerstandslos nachzugeben.

1. These: Gendern verkennt den Unterschied zwischen grammatischem „Geschlecht“ (Genus) und biologischem Geschlecht (Sexus)

Genus maskulinum:

der Baum, der Tisch, der Storch, der Mond, der Sex, der Tod, der Büstenhalter, der Feminismus ...

Genus femininum:

die Blüte, die Vase, die Amsel, die Sonne, die Geburt, die Sexualität, die Mannschaft, die Polizei ...

Genus neutrum:

das Blatt, das Hemd, das Leben, das Weltall, das Ende, das Desaster, das Bett, das Alibi ...

Sexus männlich:

der Mann, der Junge, das Männchen, der Star, die Flasche (im übertragenen Sinn :)), die Niete, die Landplage ...

Sexus weiblich:

die Frau, das Girl, das Mädchen, die Herrin, das Weibchen, der Star, der Dummkopf, die Niete, der Neuling ...

Sätze wie "Er ist eine Flasche" oder "Sie ist ein Dummkopf" sind normgerechte Sätze der deutschen Sprache. Niemand (außer Sprachaktivistinnen?) käme von selbst auf die Idee zu sagen "Er ist ein Landplag" oder "Sie ist eine Dummköpfin".

Gute Beispiele für die notwendige Unterscheidung zwischen Genus und Sexus sind "die Person" und "der Mensch". Das Genus ist femininum bzw. maskulinum , aber es sind natürlich alle Geschlechter und sexuelle Orientierungen eingeschlossen. Niemand (außer Sprachaktivistinnen?) käme auf die Idee, dass mit "Personen" nur Frauen und mit "Menschen" nur Männer gemeint sein könnten.

Was wird hier sichtbar?

Die grammatischen „Geschlechter“ (Genus, pl. Genera) folgen nicht der Logik des Sexus, des biologischen Geschlechts, sondern sie sind historisch gewachsen, sie sind sprachliche Übereinkünfte. Bis heute hat die Sprachwissenschaft keine plausible Erklärung für die Entstehung der Genera gefunden.

Der deutsche Begriff „Geschlecht“ für das lateinische „Genus“ ist im Übrigen eine unglückliche Übersetzung und stiftet Verwirrung, ebenso die Begriffe "männlich", "weiblich" und "sächlich". Besser wäre Genus 1, 2, 3. Es spricht einiges dafür, dass diese eigentlich irreführenden Bezeichnungen die Sprachfeministinnen erst auf die Idee gebracht haben, die deutsche Sprache sei eine "Männersprache" (L. Pusch) und müsse zu einer "Frauensprache" (S. Trömel-Plötz) umgeformt werden.

Genus und Sexus haben jedoch nur in wenigen Fällen direkt miteinander zu tun, zum Beispiel dann, wenn Lebewesen allgemein oder Menschen und ihre Funktionen/Rollen/Tätigkeiten/Berufe bezeichnet werden. Die meisten Nomen stehen im Deutschen übrigens im Femininum, weil alle Nomen auf die Suffixe (Endungen) -e, -ei, -ung, -heit, -keit, - igkeit, -nis, -schaft, -tion, -lichkeit, -ligkeit „weiblich“ sind (z. B. die Mannschaft). Nomen mit der Endung -ismus sind dagegen alle „männlich“ (z. B. "der Feminismus";). Autos sind „männlich“ (der Opel), Schiffe „weiblich“ (die Andrea Doria), Verkleinerungsformen (Diminutive) sind alle „sächlich“ (z. B. "das Männchen" ).

Die folgende Zusammenstellung zeigt, dass die existierenden Formen der deutschen Sprache eine angemessene Ansprache aller Personen unterschiedlichen Geschlechts erlauben:

Bei einzelnen Personen: "der/ein Wähler" (m),"die/eine Wählerin" (f)

Bei mehreren Personen beiderlei Geschlechts: "die Wähler" (m) und /oder "die Wählerinnen" (f), in der Anrede: "Liebe Wählerinnen und Wähler ..."

Bei unbestimmer Anzahl von Personen und bei unbekannter Verteilung der Geschlechter wird das generische Maskulinum verwendet: "der Wähler", "die Wähler", "Wähler"

Der Sexus spielt beim generischen Makuslinum keine Rolle (!) Es ist nicht von Bedeutung, ob es sich um Männer oder Frauen handelt.

Beispielsätze:

"Der Wähler hat gesprochen.", "Wähler sind manchmal unberechenbar." ,"Die Wähler werden aufgefordert, die Kabinen zu benutzen."

aber auch die Doppelform ist akzeptabel: "Die Wählerinnen und Wähler werden aufgefordert ..."

Wo ist hier das Problem?

Der Zankapfel ist seit den Anfängen des Genderns das GENERISCHE MASKULINUM. Die feministischen Sprachwissenschaftlerinnen und die Befürworterinnen des Genderns behaupten, im generischen Maskulinum "die Wähler", "(der) Wähler" "Wähler" würden die Frauen „unsichtbar gemacht“. Bei einem Ausdruck wie "die Wähler" würden (ausschließlich) Männer angesprochen, die Frauen würden lediglich "mitgemeint". Die Sprachfeministinnen wirken deshalb darauf hin, dass zukünftig von Wählenden (oder Wähler*innen) gesprochen wird. In der substantivierten Partizipform "Wählende" oder mit dem Gender-Stern seien alle Geschlechter angesprochen. (Dazu mehr in einer der nächsten Lektionen).

Diese Sichtweise ist aber nur nachvollziehbar, wenn man wenig Wissen über das Sprachsystem und die Gender-Brille (s. u.) auf der Nase hat. Sprachwissenschaftlich gesehen sind generische Pluralformen wie z. B. die Wähler oder (der) Wähler im Hinblick auf den Sexus neutral. Es sind Sammelformen, sie bezeichnen einfach nur Personen, die wählen. Es werden weder Frauen noch Männer gemeint oder "mitgemeint", sondern wählende Menschen/Personen, unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht.

"Wählerin" kann nur "weibliche Person, die wählt" bedeuten, weil das zugrunde liegende Wort "Wähler" "Person, die wählt" bedeutet und nicht "männliche Person, die wählt". Für Frauen hält die deutsche Sprache eine eigene grammatikalische Form bereit: "Wählerin". Der Vorwurf, die Frauen würden im generischen Maskulinum „unsichtbar“ gemacht, läuft ins Leere.

Die Gender-Theorie hat jedoch in den letzten Jahren die Wahrnehmung einiger Aktivistinnen (und ihrer Nachahmer) so verändert, dass sie im generischen Maskulinum ein Feindbild sehen, das bekämpft werden müsse. Genus wird mit Sexus gleichgesetzt, so dass alles, was an der Sprache irgendwie "männlich" klingt oder aussieht, abgelehnt wird. Ich nenne diese Verschiebung der Wahrnehmung "Gender-Brille".

In der geschriebenen, gegenderten Sprache sind mehrere Varianten im Umlauf:

Wähler(innen), Wähler/innen, WählerInnen, Wähler_innen, Wähler*innen, Wählx, Wählas.

Diese Schreibweisen sind streng genommen Verstöße gegen die deutsche Rechtschreibung. Ein Problem ist auch die Aussprache. Wie sollen z. B. der Gender-Stern, das Binnen-I, der Gender-Gap oder das x gesprochen werden? Nehmen die Befürworter des Genderns (z. B. Anatol Stefanowitsch) im Ernst an, dass sich bei der Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher der deutschen Sprache der stimmlose glottale Verschlusslaut für die Aussprache des Gender-Sterns oder des Gender-Gaps durchsetzen werden?

Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass die deutsche Sprache an einigen Stellen „männerlastig“ ist.

Dass bei Ausdrücken wie "Ingenieur", "Arzt", "Experte" vorwiegend Männer assoziiert werden, liegt jedoch nicht an der Sprache oder der Boshaftigkeit der Männer, sondern an den historisch entstandenen (aktuellen) Realitäten. Das wird sich erst dann ändern, wenn sich die Realitäten ändern, wenn also Frauen in nennenswerter Anzahl zum Beispiel den Ingenieursberuf ergreifen.

Bei "Erzieher" werden fast immer Frauen assoziiert. Auch das wird sich nur ändern, wenn mehr Männer sich für den Erzieherberuf entscheiden.

Die Sprache wird sich dann über den Gebrauch ebenfalls ändern, falls die Sprecherinnen und Sprecher eine Änderung für nötig und praktikabel halten.

Fazit:

Dass Sprachfeministinnen das generische Maskulinum verteufeln

- offenbart Unkenntnis der sprachlichen Gundtatsachen,

- hat keine sprachwissenschaftliche Grundlage,

- baut überflüssigerweise falsche Fronten auf,

- führt zur Spaltung der Sprachgemeinschaft und

- ist für die Sache der Frauen kontraproduktiv.

Leider geschieht es allzu häufig, dass nicht nur das generische Maskulinum als Feindbild aufgebaut wird, sondern die Männer oder alles Männliche gleich mit. Dann wird es vollends ideologisch. Ich stelle mir dann allerdings die Frage, ob es die feministischen Aktistinnen für möglich halten, männerfeindlich zu sein, ohne gleichzeitig menschenfeindlich zu sein.

Aber das ist wieder eine andere Baustelle und Stoff für einen neuen Blog.

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