Natur- versus Kunstschnee: Über die Gier im künstlichen Winter.

Dicke Flocken schneite es vom Himmel, kleine, große und der Wind wirbelte sie wild durch die Lüfte. Von vorne schossen sie mir ins Gesicht, von der Seite und ich sah keine fünf Meter weit. Eine Stunde lang dauerte dieses Spektakel, zurück blieb eine weiße Oberfläche am Berg, wie ich sie gar nicht mehr kannte. Ich schnallte mir mein Brett an und bewegte mich mit leichten Bewegungen talwärts. Es fühlte sich an wie eine Fahrt auf Federn, so leicht und sicher, so anders als die restlichen Abfahrten in dieser Saison. In der Gondel zurück auf den Berg fragte ich mich nicht, warum es im April so intensiv schneite. Nein, vielmehr dachte ich nach, wie lange ich nicht mehr auf Naturschnee gefahren war. Es müssen Jahre gewesen sein. Ich wurde sentimental.

Der Trend am Berg heißt Kunstschnee, schleichend hat das künstliche Gemisch die Alpen erobert. Abfahrten auf Naturschnee wie dieses Wochenende sind nur noch eine Seltenheit. Der Kunstschnee aus den Schneekanonen ist das Ergebnis einer gierigen Tourismuswirtschaft, die die Wünsche der Gäste über alles stellt und sich leere Sessellifte nicht mehr leisten kann. Skifahren muss von Dezember bis April möglich sein, so will es der Gast. Unabhängig, ob die Natur es zulässt. Sogar am Gletscher gehen sie auf Nummer sicher und jagen auf über 3.000 Meter noch Kunstschnee über die Wiesen. Doch muss das so sein?

Der Preis ist hoch. Weil Kunstschnee wegen der gleichförmigen Flocken einen härteren Untergrund erzeugt und die Sportgeräte mit den Jahren schneller werden, ist das Verletzungsrisiko auf den Pisten extrem. Naturschnee ist weicher, die Flocken unterschiedlich groß, die Griffigkeit besser, der Fahrspaß höher und das Verletzungsrisiko geringer. Nur: Naturschnee-Pisten sind viel seltener, die harte Kunstschnee-Piste dominiert in den meisten Skigebieten. Viele Skifahrer weichen deshalb ins freie Gelände aus, dort wo sie noch ungestört im „echten Schnee“ gleiten können. Sie missachten oft die hohe Lawinengefahr. Aus Liebe zum Sport. Aus Gier nach mehr. Auch ökologisch ist die Sinnfrage zu stellen: Muss denn das sein? Die Kosten für Kunstschnee sowie der Wasser- und Energieverbrauch sind unverhältnismäßig hoch. Laut OECD wird alleine durch Schneekanonen in ganz Europa jährlich das Wasser einer Kleinstadt verbraucht.

Doch darf das der Mensch, darf er so in die Natur eingreifen? Ich weiß es nicht, ich bin wohl längst auch Teil dieser Industrie, weil ich das Spiel der Skigebiete und des Tourismus teils mitspiele. Ich selbst habe für mich noch keine Lösung gefunden. Ich werde weiter regelmäßig in die Berge fahren, vielleicht öfter mal in Skigebiete mit Naturschnee. Denn das Gefühl vom vergangenen Sonntag, das wird mich noch lange fesseln.

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Herbert Erregger

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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