Oberarzt befürchtet: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis etwas Schlimmes passiert“

Ihr Aufbegehren in Wien, Innsbruck und Klagenfurt ist nur die Spitze. Wer sich ein objektives Bild über die Arbeitsbedingungen heimischer Ärzte macht, stößt nicht nur in diesen drei Städten auf überlastete, unterbezahlte und frustrierte Mediziner. Eine gefährliche Mischung, die sich dieser Tage in Versammlungen und Ärztestreiks entlädt und mittelfristig Österreichs Gesundheitssystem von innen aufzufressen droht. Jene Menschen, die uns helfen und heilen wollen, können schlichtweg nicht mehr.

Um zu erfahren, warum das so ist, habe ich für fisch+fleisch mit einem Oberarzt aus einem großen Spital in Ostösterreich gesprochen. Seinen richtigen Namen will er in dieser Geschichte nicht lesen. Zu groß ist die Angst vor Konsequenzen. Nennen wir diesen Oberarzt aber Dr. Hubert. Was Dr. Hubert beschreibt, macht einem Angst.

„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis etwas Schlimmes passiert“, sagt Dr. Hubert. Dass ein akuter Ärztemangel herrsche, sei kein Geheimnis. Unter welchen Bedingungen die Kollegenschaft aber schufte, sei der Öffentlichkeit nur in Zügen bekannt. Dr. Hubert sagt: „Die Gesundheit hat keinen Wert mehr in diesem Land, es ist beschämend.“ Mit „Schlimmes passiert“, meint Dr. Hubert, dass ein Patient in einem Spital möglicherweise nicht ausreichend behandelt wird und sterben könnte. „Die Rahmenbedingungen werden wohl erst besser, wenn einem Prominenten etwas geschieht“, sagt Dr. Hubert.

Dr. Hubert kritisiert, dass kleine Krankenhäuser Operationen ablehnen müssen und Ärzte in größeren Spitälern in Arbeit untergehen. Dass aber auch sie wegen des neuen Arbeitszeitgesetzes nur begrenzt arbeiten können. Dr. Hubert sagt, dass in seinem großen Spital der Schockraum gesperrt wird, weil zu wenige Ärzte im Haus sind. Er erzählt, dass bei elektiven Eingriffen, also nicht wirklich notwendigen Operationen und in der Ambulanz eine längere Wartezeit bestehe. Dass die Behandlungsqualität deutlich abnehme, weil erfahrene Ärzte die Ausbildung der Jungen im Alltagsstress nicht mehr übernehmen können. In einer Branche, in der Erfahrung so manches Leben gerettet hat. Er erzählt von Gehaltseinbußen von bis zu 20 Prozent in einem Jahr und horrenden Abgaben an Ärztekammer, Wohlfahrtsfonds und einem Leben am Existenzminimum. Er kritisiert die miese Überstundenbezahlung. Dass ab 35 Dienststunden für jede weitere Stunde nur fünf Euro bezahlt werden würden, weniger als eine Putzfrau verdiene. „Auf der Strecke bleibt der Patient und wir können nichts dagegen machen, auch wir wollen würden“, klagt Dr. Hubert. Wer sich fortbildet, müsse die Kosten selbst zahlen. Bei Fortbildungen im Bereich der Chirurgie wären 1.000 Euro plus Spesen keine Seltenheit. Finanziell schier nicht bewältigbar in einem Gehaltssystem, das mit relativ niedriger Basis startet.

Wie Dr. Hubert hanteln sich wohl Hunderte Spitalsärzte in ganz Österreich frustriert durch ihre Dienstpläne. Betreuen Patienten, bis sie selbst nicht mehr können. Akzeptieren Gehaltseinbußen. Und vermeiden Fehler, so gut es geht.

Doch Dr. Hubert sagt, er und seine Kollegen haben abgschlossen Sie würden heute nicht mehr den Arztberuf ergreifen, wüssten sie, welcher Stress, welche Ausbeutung und welche Bezahlung für die sehr hohe Verantwortung auf sie zukomme. Das ist das größte Armutszeugnis für ein Fach, dessen Hilfe jeder von uns früher oder später beanspruchen wird.

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