EP-Alkoholinitiative: Lasst den Jungen doch ihr Bier!

Nachdem dem Tabakqualm nun endgültig politisch der Garaus gemacht wurde, droht schon dem nächsten liebgewonnenen Laster Gefahr: am Dienstag schreitet das EU-Parlament (EP) zur Abstimmung über einen Antrag, der neben Warnhinweisen nach dem Vorbild der gesetzlich vorgeschriebenen Motive auf Zigarettenpackungen auch ein Verkaufsverbot von Alkohol an unter-18-Jährige potentielle Konsumenten forciert. Akute Gefahr ist allerdings noch nicht im Verzug: das EU-Parlament besitzt schließlich kein Initiativrecht für Gesetzesvorschläge und kann durch ein Mehrheitsvotum lediglich die Kommission dazu auffordern, in der jeweiligen Sache aktiv zu werden. Was den Boulevard freilich kaum daran hindern dürfte, die verbale Keule gegen Brüssel zu schwingen und den vermeintlichen Angriff auf die heimische Trinkkultur zu lamentieren.

Abseits des üblichen undifferenzierten Brüssel-Bashings, das nun einen neuen Konjunkturschub erleben dürfte, gibt es aber gute Gründe, den Vorstoß des Europäischen Parlaments kritisch zu beäugen. Einerseits dürfte sich das EP, dessen Ansehen ohnehin schon am zweifelhaften Ruf eines vom ursprünglichen Subsidiaritätsgedanken heillos abgekommenen Gouvernantengremiums laboriert, durch diese Initiative noch stärker dem Vorwurf aussetzen, es verkomme zunehmends zu einer bevormundungsbeflissenen Zusammenrottung von überspannten Aposteln des erhobenen Zeigefingers, die es offenbar als ihre Berufung ansehen, die Bürger durch Züchtigung mit der Gesetzesgerte zu mustergültigem Benehmen zu erziehen. Dadurch stößt es aber auch liberale Milieus vor den Kopf, die dem europäischen Projekt grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehen, und untergräbt seine eigene Akzeptanz.

Schwerer noch wiegt aber die zweifelhafte inhaltliche Notwendigkeit des Vorschlages. Das Trinken wird man den Menschen kaum austreiben können, zumal es eine Angewohnheit darstellt, die viel stärker als das Rauchen kulturelle Akzeptanz genießt und nicht nur von einer zwanghaft substanzabhängigen Minderheit ausgelebt wird. Zudem besitzt Alkohol nachweislich geringeres Suchtpotential als Zigarettenqualm (ca. 10% aller Konsumenten verfallen dem Alkoholismus), fordert weniger Todesopfer und schränkt die Lebenserwartung bei mäßigem Konsum im Verbund mit einer ansonsten gesundheitsbewussten Lebensführung nicht ein. Ein weiterer Unterschied besteht in der Tatsache, dass im Regelfall die Schäden durch exzessive Aufnahme alkoholischer Getränke dem Konsumenten selbst anheim fallen, von Verkehrsunfällen unter Alkoholeinfluss einmal abgesehen (von 37.957 Verkehrsunfällen war aber 2014 in "nur 2.213 Fällen Alkohol im Spiel) - beim Rauchen werden umstehende Personen hingegegen ebenfalls beeinträchtigt.

Freilich lässt sich die mangelnde sachpolitische Notwendigkeit einer Maßnahme bequem mit dem pathetischen Appell überspielen, dass man doch für die Kinder handle und man den Nachwuchs vor dem korrumpierenden Einflüssen des Trinkens schützen müsse - eine Ansicht, die längst nicht nur in altmodisch-verstockten, sondern vor allem auch in nur vorgeblich weniger repressiven, sich fortschrittlich gerierenden links-progressiven Kreisen Einzug gehalten hat, die seit Neustem vor allem in Verboten und Restriktionen ihr Heil suchen, wie die Grünen regelmäßig vorführen. Ironischerweise stemmten sich daher vor allem die Konservativen im EU-Parlament gegen die geplante Anti-Alkoholkampagne, konnten die Verabschiedung im zuständigen Ausschuss aber auch nicht verhindern.

Sind Jugendliche denn tatsächlich überproportional gefährdet, den Gefahren der Trinksucht zu verfallen? Dies scheint zumindest im Falle Österreichs, das in puncto Alkoholkonsum mehr oder weniger den EU-Durchschnitt repräsentiert, mehr als fraglich: laut Angaben des "Verein für den verantwortungsfollen Umgang mit Alkohol" sind die österreichischen Jugendlichen "hinsichtlich des Alkoholkonsums nicht die Hauptproblemgruppe." Die trinkfreudigste Altersgruppe entspricht (zumindest bei Männern, die 70% aller Alkoholkranken ausmachen) der Klasse der 45-54-Jährigen. So weit zum Argument, dass die Jugendlichen ob ihrer altersbedingten Torheit die wenigsten Hemmungen beim Griff zur Pulle an den Tag legen.

Es mag stimmen, dass der Alkoholkonsum unter Jugendlichen in jüngster Vergangenheit im Zeitverlauf einen Anstieg erfahren hat. Doch auch hier gilt es, den Kontext zu betrachten, anstatt marktschreierisch Alarm zu schlagen und eine neue Gesetzesflut zum Schutze der Jungen zu fordern: das Einstiegsalter in den Alkoholkonsum sinkt nicht zuletzt deshalb beständig, weil die biologischen und sozialen Determinanten sich ebenfalls verändern - durch Emanzipation (Frauen schließen im Trinkverhalten zu Männern auf, weil die gesellschaftlichen Erwartungskulturen an das Verhalten sich angleichen) und Akzeleration (Kinder treten früher in die Pubertät ein, unterlaufen eine schnellere körperliche Entwicklung und einen beschleunigten Reifeprozess hin zur Selbstständigkeit) ergibt sich daher eine Tendenz, die auf den ersten Blick beängstigend wirken mag, aber einiges an Schrecken verliert, wenn man die dahinter liegenden Gründe betrachtet.

Auch jetzt schon dürfte darüber hinaus jedem, der mit offenen Augen durchs Leben (oder zumindest durch abendliche Lokalmeilen) schreitet, klar sein, dass die wenigsten Jugendlichen durch das geltende Recht davon abgehalten werden, schon vor ihrem 16. Geburtstag einschlägige Erfahrungen mit Alkoholkonsum gemacht zu haben. Mit der Anhebung auf ein Mindestalter von 18 würde man diese Problemlage bestenfalls um zwei Jahre nach hinten verschieben, und selbst das scheint zweifelhaft. Wie auch in anderen Belangen ist es nur natürlich, dass Heranwachsende damit beginnen, mit Dingen zu experimentieren, die unter Erwachsenen zur gängigen Praxis zählen, und der Konsum von Alkohol zählt nun einmal zu den kulturellen Konventionen, an denen sie sich dabei orientieren. Auch das ist eine Form von Selbsterfahrung, die, ohne die Thematik verharmlosen zu wollen, nicht nur negativ, sondern auch als Teil eines Reifeprozesses betrachtet werden sollte.

Zuletzt: der Genuss von Alkohol gilt gerade in Österreich als Kulturelement, das auch eine soziale Komponente besitzt und, wie allabendlich volle Bierzelte, Gastgärten und Pubs beweisen, das fröhliche Zusammensein befördert. Dass heranwachsende Jugendliche daran teilhaben und sich in diese Lebenswelten einfügen wollen, ist verständlich und durch das Handeln der Erwachsenen quasi vorgezeichnet. Wichtig ist, dass man ihnen im Rahmen von Schule und Elternhaus einen maß- und verantwortungsvollen Umgang mit dem Trinken lehrt, ohne dieses mit moralinsaurer Miene zu verteufeln - Verbote und noch mehr Vorgaben zur korrekten Lebensführung aus der Brüsseler Besserungsanstalt braucht es dafür hingegen nicht.

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