Mit einiger Genugtuung habe ich in den vergangenen Tagen verfolgt, wie man sich in den deutschsprachigen Leitmedien plötzlich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzte, warum der „Rechtspopulismus“ so beliebt geworden ist: Wie es denn möglich sei, fragte man sich allerorts, während man sich überrascht gab, wie ein Donald Trump nur gewählt werden kann. Ein dummer, gefährlicher, „rassistischer“, „homophober“ und „sexistischer“ Mensch ist plötzlich Oberbefehlshaber der größten Wirtschafts- und Militärmacht der Welt. Und dass er dazu zudem demokratisch legitimiert ist, bedarf dringend einer Erklärung.
Und zwar einer, die auch ins linke Weltbild passt. Da man ja schlecht 50 Prozent der wählenden Amerikaner als Neonazis bezeichnen kann – wie man das vielleicht in Deutschland getan hätte, etwa dort, wo Frauke Petry oder Lutz Bachmann umtriebig sind – musste es eine Erklärung sein, die mit dem Links-Universum halbwegs kompatibel ist: Folgerichtig zog man als Erklärungsmodell die einzige Motivation heran, die nun wirklich jeder Linke seit 1968 geistig auf die Reihe bekommt: Die „Rebellion gegen die herrschenden Eliten und das Establishment“ – das funktioniert in Amerika gut, bietet aber auch eine Erklärung für Brexit und Le Pen.
Das bot natürlich vor allem den Kollegen der Medien zunächst Gelegenheit, sich selbst, aber auch die Politik insgesamt zu hinterfragen. Zumal ja auch in Europa ganz ähnliche „Argumente“ zu ziehen scheinen, wie in den USA.
Was hatte man falsch gemacht? Hatte man es mit Tugendterror und der Eindimensionalität des Denkens gar übertrieben? War vielleicht doch das schlichte Erklärungsmodell des gesamtstaatlichen, aber auch des durch Steuergeld sanft gelenkten Medien-Selbstverständnisses, wir alle seien weltweit gleich, gleichberechtigt und gleichwertig, zu wenig? Zumindest für die, die in ihrem Leben nie Gelegenheit hatten, Platons, Campanellas, Rousseaus, Marx’, Gramscis oder Menasses und Misiks Schriften zu studieren? Also für die, deren Klassenbewusstsein sich auf die Formel „Du hast Geld und ich Probleme“ reduzieren lässt?
Die Antwort fiel, wenig überraschend, eindeutig aus: Hui, ja, doch – man hatte wohl die Schlichtheit der Gemüter unterschätzt. Man hätte ihnen „besser zuhören“ müssen, bevor man sie Faschisten, Rassisten, Sexisten, Homophobiker etc. schimpft. Nicht, dass man es als aufrechter linker Antifa- und Widerstandskämpfer nicht trotzdem hätte tun müssen, aber zumindest zuhören hätte man ihnen vorher können.
In der Tat. Vielleicht hätte man auch das eine oder andere Detail der politischen Prioritäten besser erklären können. Warum es zum Beispiel so wichtig war, wochenlang publikumswirksam den Nachweis politischer Arbeit dahingehend zum Ausdruck zu bringen, dass man auch die Töchter in die Bundeshymne hineinreklamierte. Oder sich Gedanken um das Adoptionsrecht homosexueller Paare und den Pograpsch-Paragrafen machte.
Um kurz allen Zynismus beiseite zu lassen: Wer sich über den Aufstieg der Rechtspopulisten in Österreich Gedanken macht, der darf ruhig die Schuld in einem eklatanten Mangel an Empathie suchen: Fast 400.000 Menschen in Österreich, die in der Arbeitslosigkeit und ein guter weiterer Teil, die in prekären Arbeitsverhältnissen versumpfen, verdienen ein wenig mehr Einfühlungsvermögen als die Denker und Lenker zwischen Naschmarkt und Spittelberg es an den Tag gelegt haben. Denn dass man wenig Lust hat, sich mit den Utopien linker Traumtänzer auseinander zu setzen, wenn man zu den 1,5 Millionen Menschen gehört, die armuts- oder ausgrenzungsgefährdet sind, liegt auf der Hand.
Empathie ist allerdings nicht nur mit den Armen angebracht, sondern auch mit der sogenannten Mittelschicht. Wer da einmal drinnen ist, hat erst recht Grund, sich zu fürchten: Die Definition von Mittelstand beginnt ja dort, wo die Armutsgrenze aufhört, das ist derzeit so ca. bei 1100 Euro netto und endet etwa bei 2500 Euro netto. Fast 60 Prozent der Haushalte gehören zu diesem Einkommensband und es ist müßig zu sagen, dass mehr Menschen so um die 1.100 Euro netto verdienen als 2.500. In dieser Einkommensgruppe muss nur einmal eine Kleinigkeit passieren, damit sich die latente Klassen-Abstiegsangst der Mittelschicht als berechtigt erweist: Der Konkurs von Lehmann Brothers zum Beispiel, ein Terror-Anschlag auf Symbole des amerikanischen Imperialismus, die Annexion der Krim durch Russland, der unverschuldete Konkurs des Arbeitgebers, eine Naturkatastrophe oder schlicht und einfach eine böse Krankheit. Ein schwerer Unfall, ein unerwarteter Todesfall oder eine ungeplante Schwangerschaft. Von gesicherter Existenz ist auch die Mittelschicht weit entfernt: Zwischen Armutsgefährdung und auskömmlichem Einkommen ist hier der Grat ein sehr, sehr schmaler.
So. Versetzen Sie sich mal in diese Menschen hinein! Wird ja wohl gehen. Sie schaffen das, immerhin können Sie sich ja auch in anatolische Bergbauern soweit hineinversetzen, dass Sie Voraussagen über die Integrationschancen seiner Nachkommenschaft wagen dürfen. Sie haben sich also hineinversetzt? Gut.
Und jetzt erklären Sie diesen Millionen Armen und Ängstlichen einmal, wie toll es ist, dass zigtausende fremdkulturige, bildungsferne, sicherheitsrelevante, muslimische Migranten, die nichts zu verlieren haben und aus dem finstersten Mittelalter kommen, die Grenzen überrennen. Jene Grenzen nämlich, innerhalb derer sich die, die schon immer da waren, auf ein sicheres Sozialsystem verlassen können müssen. Das sie mit aufgebaut haben. Oder darauf, dass Sie zumindest einen Aushilfsjob bekommen, wenn’s ganz scheiße läuft.
Erklären Sie denen, dass die Politik es jetzt gerade als vordringlich erachtet, eine Frauenquote in den Vorständen staatsnaher Konzerne einzuführen. Erklären Sie denen die Bedeutung von sauteuren LGBT-Referaten an den Universitäten, die auf genderneutrale Klos hinauslaufen. Erklären Sie denen, welcher Fortschritt für die Gesellschaft das Adoptionsrecht homosexueller Paare ist, wiesehr wir Ampelpärchen brauchen und das im Augenblick nichts wichtiger ist, als den flächendeckenden Nichtraucherschutz in Wirtshäusern und Cafes durchzusetzen.
Und wenn Sie schon dabei sind, dann erklären Sie denen auch, warum TTIP und CETA so schlecht sind. Am besten dann, wenn Ihr Gegenüber nach der Familienpackung Hormonfleisch im Supermarkt greift. Weil drei Kilo Koteletts nur 4,90,- Euros kosten und die sich so easy einfrieren lassen.
Ja, machen Sie mal: Erklären sie denen, warum Sie sich so gerne zum Anwalt der gerade am effizientest lobbyierenden Minderheiten machen, während Sie nicht imstande sind, Probleme der Mehrheiten – etwa die kalte Progression, den Arbeitsmarkt, die Bildung, die Sicherheit – in den Griff zu bekommen!
Wenn Sie als Mitglied des Establishments und der Eliten Ihre Glaubwürdigkeit verspielen wollen, dann machen Sie genau das.
Dann zeigen Sie den Menschen, denen Sie weismachen, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, berührende Bilder von Booten voller Afrikaner am Weg nach Europa und mahnen Sie Barmherzigkeit ein. Vielleicht mit den Worten „Wir schaffen das“.
Dann leugnen Sie, dass bei den abertausenden Muslimen vielleicht der eine oder andere Terrorist mit dabei ist und fordern Willkommenskultur, vielleicht mit dem Schlagwort „refugees welcome“.
Dann erklären Sie die Tatsache, dass in Köln und Resteuropa sexuelle Massenbelästigungen stattfinden, für irrelevant, weil am Oktoberfest ja auch hunderte Frauen und Mädchen belästigt werden. Wenn Sie mal wen sehen wollen, der sich gründlich verarscht vorkommt, dann tun Sie das.
Wenn Sie Ihren letzten Kredit verspielt haben, weil Sie immer noch von den Vorzügen einer offener Gesellschaft, wie Sie sie verstehen, faseln, dann …
… ja, dann ist es Zeit, sich zu wundern: Ja, Himmelfixlaudon! Was ist denn da passiert?
Gehen Sie also kurz in sich, lesen Sie den Rechtsextremismusbericht von Walser und erklären Sie dann doch kurz der breiten Masse, dass Sie es nicht nur für falsch, sondern für grundsätzlich unmoralisch, schlecht und dämlich halten, wenn diese Menschen beginnen, Sie in Frage zu stellen. Wenn Sie es schon nicht tun, weil Ihr vom Gänseleberessen verfettes Herz vielleicht eher am Klimaschutz oder der Einstellung einer Fahrradbeauftragten für Verhüllungsbefürworterinnen hängt, als an der Lösung der Mehrheitsprobleme.
Kurz, Sie vermitteln der Mehrheit der Wähler das Gefühl, dass Sie bereit sind, sich zum Anwalt jeder Lächerlichkeit behaupteter gesellschaftlicher Ausgrenzung zu machen. Nur nicht zum Anwalt der ganz durchschnittlichen, in den 1970er und 1980er Jahren sozialisierten Mitglieder unserer Gesellschaft. Machen Sie's wie die Schweden: Diskutieren Sie mitten im Schneechaos die Notwendigkeit gendergerechten Schneeräumens.
Wenn dann der nächste Rechtspopulist an die Macht kommt, dürfen Sie sich dann wieder dumm stellen und fragen: Wer ist denn das, diese „Elite“? Was hat er denn gegen das „Establishment“, derdiedas gemeine Wähler_in_x? Und wieso sollen die auf einmal schuld sein an der Popularität der Rechtspopulisten?
Dass Ihnen die Antwort – ”alle die, die gebildet und gefragt genug sind, um ihrer linken Überzeugung im TV, in den sozialen Medien und den Zeitungen Ausdruck zu verleihen“ – nicht leicht über die Lippen kommen wird, ist verständlich. Zu sehr sind Sie als Teil dieser Elite ja damit beschäftigt, bei jeder Gelegenheit mit einer ihrer Halb-Bildung geschuldeten Überheblichkeit gnadenlos jeden verbal niederzuknüppeln, der gegenüber linken Ideen einen gewissen Skeptizismus an den Tag legt.
Wenn Sie halbwegs bei Verstand sind, werden Sie allerdings irgendwann feststellen: Rechtspopulisten sind keine Zufallsprodukte. Sondern das direkte Ergebnis einer Gesellschaftspolitik, die permanent damit beschäftigt ist, mit ihren Umgestaltungsversuchen zu provozieren. Einer politischen Klasse, die augenscheinlich die bevorzugt, die am jeweils lautesten ihre Befindlichkeiten zum Thema machen. Und ganz nebenbei sind Rechtspopulisten auch das Ergebnis effizienter Hetze der begabteren unter den Linkspopulisten gegen harmlosen Konservativismus; ebenso, wie sie das Ergebnis des Diffamierens diskussionswürdiger Ideen außerhalb des linken Meinungsspektrums und des existenziellen Ängsteschürens ist. Aber das ist eine andere Geschichte. #bpwahl2016 #HofervsVDB #Rechtsruck #linke