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Ich wünsche mir eine gerechte Gesellschaft. Eine verteilungs- aber auch leistungsgerechte wäre schön. Eine, in der unsere Schwachen die Möglichkeit zur Partizipation finden und ihre Anliegen vertreten sehen. Aber auch eine solche, die dafür sorgt, dass jene, die gewillt sind viel beizutragen, einen entsprechenden Lohn dafür erhalten. Ich frage mich, ob es womöglich naiv ist, sich eine politische Entsprechung dieses Ansatzes zu erwarten.
Ich habe vernommen, dass im öffentlichen Diskurs ein der linken Reichshälfte zuordenbarer Mensch – ich glaube Herr Fußi war es – folgenden Befund erstellt hat: „Die Sozialdemokratie ist längst keine Arbeiterpartei mehr. Das sagen uns die Umfragen. Das macht aber nichts, weil es ohnehin immer weniger Arbeiter gibt.“ Nun, das glaube ich nicht. Es verliert vielleicht der alte Typus des schwer manuell arbeitenden Bürgers an Bedeutung. Auch in der modernen Arbeitswelt gibt es jedoch viele, die sich wohl der Bezeichnung „Arbeiter“ zugehörig fühlen. Und ich sehe nicht, dass diese Gruppe gegenwärtig oder in den letzten Jahren politisch entsprechend vertreten wurde. Bis in die späten 70er Jahre gab es eine Sozialdemokratie (sozialistisch nannte sie sich damals noch), die diese Aufgabe wahrnahm. Heute tut sie das längst nicht mehr. Sie vertritt vorwiegend ein urbanes Bürgertum, das nichts weniger will, als sich mit den Arbeitern aus Simmering gemein zu machen. Die Verachtung dieser Lebenswelt ist kaum zu übersehen. Und nicht nur die durchschnittlichen Wähler, auch die politischen Akteure können nicht verleugnen, wie weit sie sich von der ehemals starken Basis entfernt haben. Nun ist es jedoch so, dass man von Wahlniederlage zu Wahlniederlage eilt. Der Weg in die Bedeutungslosigkeit droht. Es erstaunt mich zunehmend, dass man den Zusammenhang nicht sieht.
Aber, und das ist die wichtigste Frage, wie konnte es dazu kommen? Was ist falsch gelaufen? Die alten Sozialisten haben um Bildung, auch für die Arbeiterkinder, gekämpft. Die, die eine solche erhalten haben, haben nun nichts Eiligeres zu tun, als sich von ihren Wurzeln zu distanzieren. Wie kommt das? Verdienen die einfachen Menschen es nicht, ordentlich vertreten zu werden? Schauen die gut gebildeten Arbeiterkinder zurück und denken: „Ihr habt das was euch gebührt. Wir kennen euch ganz genau.“? Ist es diese Geringschätzung des Eigenen, die sie dazu bewegt sich zu entfernen? Oder macht einfache Herkunft besonders korrumpierbar? Sind die Verlockungen zu groß? Die Erkenntnis, dass eigener Vorteil – einer der nicht auf Leistung beruht – dann am Besten erreichbar ist, wenn viele dabei draufzahlen. Den Kaffeeautomaten in der Firma stellt der auf, der dem Gewerkschafter freundliche Zuwendung versichert und nicht der, der den besten günstigsten Kaffee für die Arbeiter anbietet.
Aber Egoismus, Korruption und Charakterlosigkeit sind nur ein Teil des Problems der verratenen Arbeiter. Ein, wie ich meine, ebenso wichtiger, ist diese unselige Ideologisierung.
Das Leid der Welt, der Zackenbarsch im indischen Ozean und die sprachliche Korrektheit sind keine vordringlichen Themen der Regalbetreuerin im Supermarkt und des Straßenarbeiters. Die interessieren sich für die Lage am Arbeitsplatz, die Schule der Kinder und für ihre Wohnsituation. Die Selbstverwirklichungsbestrebungen der Sektion 8 sind ihnen sehr egal.
Ich sehe ein unglaubliches Wählerpotential, das nur darauf wartet abgeholt zu werden. Bespielt wird es gegenwärtig hauptsächlich von den Freiheitlichen. Ich halte das für gut und richtig. So ist gewährleistet, dass die Themen der Menschen sich auf der tagespolitischen Agenda finden. Ich weiß, wie ungehalten die Menschen sind, wenn ihnen von den „Reflektierten“ unterstellt wird, sie hätten die Probleme nur, weil sie von der F erfunden wurden. Was für eine ungeheuerliche Überheblichkeit! Eine Geringschätzung sondergleichen. Die Leute wissen ganz genau, was sie täglich bekümmert; das muss ihnen keiner einreden.
Genau diese permanente Abwertung führt dazu, dass sich die Wähler abwenden. Die erste Hürde ist für sie, die Probleme besprochen zu sehen. Da geht es noch gar nicht um die Abarbeitung. Man ist bescheiden geworden.
Die, die „es besser wissen“ überschlagen sich darin zu erklären, dass die Menschen zu blöd seien, ihr selbst gewähltes Unglück zu erkennen. Geifer und Verachtung scheinen ein probates Mittel zu sein; für die intellektuellen Eliten.
Nun ist mir völlig klar, dass der Hackler der F kein echtes Anliegen ist. Sie verwendet ihn lediglich. Die Damen und Herren am Akademikerball haben mit der Kassiererin beim Billa schon wirklich gar nichts zu tun. Ich denke aber, dass die Wähler das zumeist wissen, und dass sie das in kauf nehmen. Mangels Alternative. Die Sozialdemokratie scheint völlig reformunfähig zu sein. Die, die dort glauben zu wissen wie der Hase läuft, würden den Untergang eher noch beschleunigen – noch mehr an Ideologie die sich für links hält, mit einfachen Arbeitern aber nichts zu tun hat und haben will.
Die diversen linken Kleinparteien können von den ohnehin geschundenen Leuten, maximal als gefährliche Drohung empfunden werden. Werden sie aber mangels Relevanz nicht. Da verwirklichen sich alternde 68er und der postpubertäre Auswuchs eines Bürgertums, der die politische Betätigung vorwiegend als späte Rebellion gegen das Elternhaus und Abenteuerspielplatz betrachtet, selbst. Der Segen der bunten Gesellschaft soll den Simmeringern und Favoritnern aufoktroyiert werden. Ob sie wollen oder nicht. Es ist ja zu ihrem Besten. Das brauchen die jedoch so nötig wie einen Kropf. Wenn die was Buntes wollen, dann kaufen sie sich einen Wassermalkasten oder ein Sackerl Bunte Smarties.
Auch neue alte Umverteilungsphantasien sind dort nicht so gefragt. Man weiß genau wie der eigene Lohnzettel aussieht. Da bleibt nicht viel Netto vom Brutto. Geldverschieberei in der Mitte der Gesellschaft, die vor allem den Einfluss der Verschiebenden festigt und zu einem schönen Teil in der Maschinerie hängen bleibt, sind ein gewichtiges Argument die „Möchtegernlinken“ nicht in Betracht zu ziehen.
Aber, bei all dem: Wieso formiert sich keine ehrliche, authentische Bewegung genau aus diesem Bevölkerungskreis? Keine für, sondern eine aus dem Kreis der Vergessenen. Ich würd da nicht zwischen Arbeitern und etwa kleinen Selbstständigen trennen. Das sind alte Grenzen die keine Gültigkeit mehr haben. Es wäre höchste Zeit, dass sich die Verratenen selbst vertreten. Sonst tut es ja keiner. Sie machen es jedoch nicht. Wie kann man so lange erdulden? Ich meine, das hat etwas mit dem anerzogenen Akzeptieren der eigenen Unzulänglichkeit zu tun. Komm du mal in die Schule, und erlaube dir deine eigene Sprache zu verwenden – speziell wenn es der Dialekt der Vorstadt ist. Da wird dir schnell klar gemacht, dass etwas, das ein Teil von dir ist, mit dem du am Besten deine Gefühle ausdrücken kannst, zutiefst minderwertig ist. Du hast die Sprache „der Anderen“ zu verwenden. Die ist einfach besser. Im Zuge deines Erwachsenwerdens erkennst du, dass auch der Rest deiner Lebenswelt nix wert ist. Deine Ernährungsgewohnheiten sind schrecklich: Fett und unraffiniert! Leicht (Lahicht) ist angesagt. Wer isst denn schon aus Hunger. Dein Kunst- und Kulturgeschmack – wenn man das überhaupt so nennen kann – ist unter jeder Sau. Wenn’s ganz arg kommt: Gabalier – der alte Nationalist. Und Urlaub im Klub wo ihr euch mit euren ebenso indiskutablen Eltern wieder das Fressen reinschaufelt? Schrecklich! Urlaub hat eher ein Abenteuertrip zu sein. Selbstfindung durch neue Eindrücke. Versteht ihr das nicht?
Man hat euch so klein gemacht, dass wenn euch auf der Straße mal einer ein Mikrofon ins Gesicht steckt, ihr so unsicher werdet, dass ihr krampfhaft versucht euch selbst zu verleugnen. Ihr verwendet die fremde Sprache und macht euch zum Kasperl. Gerne zeigt man euch dann im Denunzianten-TV.
Die, die euch seit Jahren verachten, werden aber grad ein bissl böse. Sie bemerken einen grassierenden Antiintellektualismus; den kennen sie natürlich schon vom Herrn Hitler. Auch den. Sie kommen nicht auf die Idee, dass ihr Pseudointellekt, der sich vor allem im versierten Dampfgeplauder gezeigt hat, als Waffe gegen die einfachen Leute gebraucht wurde. Und irgendwann haben die dann mal genug davon.
Also ich wünsch mir jetzt mal was. Ich wünsch mir die Sprache der einfachen Leute in der Politik. Wieso sollte die dafür nicht geeignet sein? Ich wünsch mir einen Minister, der eine Jogginghose und ein Dreiknopf-T-Shirt trägt; die oberen zwei Knöpfe offen! Und ich hätte gerne, dass er „Simmering“, „Favoriten“ oder „Ottakring“ auf seinem Unterarm tätowiert hat. Wieso zum Teufel sollte das, was in der Bevölkerung vorhanden ist, auf politischer Ebene undenkbar sein? Und wer möchte mir erklären, dass Begabung und Tinte unter der Haut nicht korrelationsfähig sind? Da haben mir diverse Krawattenzumpferln diesen Verdacht schon viel eher nahegelegt: Krawatte ist gleich Hang zur Korruption. Wahrscheinlich würde diese Behauptung weit öfter zutreffen.
Aber „Links“ würde ich all diese Überlegungen nicht nennen. Dieser Begriff ist gegenwärtig von den falschen Leuten okkupiert.