Den Blinddarm lass ich gleich da, oder?

27.6., ich freu mich. Wir packen unsere sieben Zwetschken und die Hunde ins Auto. Meine Frau und ich haben uns gegenseitig zum 30. Hochzeitstag eine Woche Urlaub geschenkt. Wir waren schon öfter dort. In der Almhütte am wilden Gebirgsbach. Vor der Türe, im eigenen Garten - zwei Fischteiche. Wer mag darf sich das Abendessen angeln. Der Griller steht neben der Bank und dem Tisch, die wie aus einer einzigen Tanne gehauen wirken, bereit. Wir lieben den Ort. Von Wien geht es in die Steiermark ins Pölstal. Dort wühlen sich viele Einschnitte weit in die gebirgige Landschaft. Meist enden die am Fuße eines der 15 Zweitausender, die dort majestätisch über die verstreuten Höfe der Bauern wachen. Einer dieser „Gräben“ genannten Einschnitte ist unser Ziel. Vom Bauern holen wir uns den Schlüssel und fahren weiter, unserer Hütte entgegen. Es hat sich nichts verändert. Etwas Besseres kann in diesem Fall nicht geschehen. Hier sind auch meine Hunde ausdrücklich willkommen, wobei mancher Gastgeber wahrscheinlich, angesichts des Formates meines Willi, seine Meinung zur Hundefreundlichkeit seiner Unterkunft geändert hätte. Hier ist das nicht so. Man ist größere Tiere gewöhnt und die 73 kg meines Hündchens regen niemanden auf.

Ich trage das Gepäck über die Brücke die den Wildbach überspannt, freue mich, und spüre ein Ziehen im Bauch. Mir ist auch etwas übel. Nachdem alles verstaut ist, drehen wir eine erste Runde und begrüßen den vertrauten Ort. Wir gehen den Wildbach entlang. Vor drei Tagen ist ein Unwetter runtergegangen und hat den halben Weg weggerissen. Ein alter Mann, der mit bedächtigen Bewegungen Steine wegschaufelt und Rinnen ausgräbt, damit kommendes Wasser ablaufen kann, erzählt uns das. Der Tag klingt langsam aus. Die Kühe die auf der Weide vis a vis unseres Esstisches grasen, stellen sich geordnet hinter der Melkhütte an. Eine nach der anderen wandert durch und wird vom Bauern gemolken. Die Sonne geht unter und im Schlafzimmer aus rohem Holz unter dem Hüttendach wird es dunkel und zwar richtig. So, dass es keinen Unterschied macht ob du die Augen geschlossen hast oder sie offen lässt. Naturdunkel und nicht Stadtdunkel. Der Bach plätschert nicht, er rauscht. Er schießt mit einer Urkraft, die mich bislang in eine demütige Kontemplation geschickt hat, an meinem Bett vorbei. Wie klein wir doch sind. Wie unbedeutend unsere Probleme angesichts der Gewalt der Schöpfung. So empfand ich das bisher. Doch diesmal bleibt ein Problem bedeutend: Mein Bauch zieht verdammt stark, mir ist schlecht und ich kann mich kaum Bewegen.

Die Sonne geht auf. Ein neuer Tag ein neues Glück. Wir werden mit dem Auto, soweit das irgendwie geht, lichte Höhen erklimmen. Mit uns ist auch „Bulldogge Ozzy“ unterwegs, 7 Jahre alt und kein Luis Trenker vor dem Herrn. Ich hab zwar einen Bollerwagen gekauft um ihn, wenn er gar nicht mehr kann, den Berg rauf zu ziehen, nur: Das kann ich im Moment sicher nicht. Wir fahren bis auf 1.500 Meter. Die Sennerin begrüßt uns mit individueller Freundlichkeit. Mein Gegensatz zur Touristenfreundlichkeit. Wir gehen eine Runde, nicht sehr weit, essen ein Speckbrot – schwerer Fehler – und kaufen einen „bröslerten Käse“. Den und die Butter macht sie hier oben selbst. Ich bin schon ziemlich schwach und die Schmerzen werden jetzt wirklich böse. Aber irgendwann muss das doch vergehen. Tut es nicht. In der Nacht pendle ich zwischen Klo und Bett. An Schlaf ist nicht zu denken. Es wird Morgen und ich bleibe auf den kühlen Fließen des Badezimmerbodens liegen. Das ist etwas ganz anderes. So was hatte ich noch nie. Ich kenne Husten, Schnupfen, Magenverstimmung und diese Sachen. Aber im Augenblick glaube ich dem Tode nahe zu sein. Meine Frau versucht Ruhe zu bewahren und wählt den Notruf: Kein Netz. Nämlich gar keines. Weder 112 noch 144. Wir sind alleine. Keine Hilfe in Sicht. Mich und die Hunde zum Auto zu bringen ist kaum vorstellbar. Das wird es wohl gewesen sein.

Aber halt: Der Bauer kommt vorbei. Er versorgt ja seine Kühe. Meine Frau startet raus und jetzt geht alles sehr schnell: Unser freundlicher Gastgeber lässt seine Kühe warten, beeilt sich zu seinem Hof und ruft via Festnetz die Rettung. Mir fehlt hier das Zeitgefühl aber ich glaube es hat nicht lange gedauert bis die Helfer hier waren. Sie packen mich sofort in das Auto und bringen mich ins Krankenhaus Knittelfeld. Ich muss hier, um meine Situation plastisch zu machen, etwas erklären: Ich bin ein Angstpatient! Nicht das was Sie vielleicht kennen. Nein, ein richtiger. So einer, wie er vielleicht in einer heiteren Komödie beschrieben wird. Ich bin täglich im Wald aber nicht Zeckengeimpft. Gut, das kann man inzwischen argumentieren habe ich gehört. Ich bin aber auch ein Erdwühler, verletze mich oft und habe keinen Tetanusschutz. Nadeln halte ich nicht aus. Ich verweigere sie oder flüchte vom Behandlungstisch – alles schon passiert. Zum Zahnarzt gehe ich alle 8 bis 10 Jahre. Gott sei Dank habe ich sehr gute Zähne! Wenn ich als Besucher ins Spital komme, schwitzen meine Hände an der Türe zum Komplex, dort wo der Geruch nicht mehr leugbar ist, schon so, dass Sie mir nicht mehr die Hand geben wollen. Und im Angesicht des Kranken mutiere ich zum moralischen Barbaren: „Ich bin so froh, ich bin es nicht!“ Der Gedanke an eine Operation ist so unerträglich, dass ich ihn nicht fertig denken kann. Und wenn im Fernsehen Blut abgenommen wird verstecke ich mein Gesicht im Polster und warte bis meine Frau Entwarnung gibt.

Nun liege ich hier in der Notaufnahme und man beruhigt mich: „Sie bekommen gleich Infusionen gegen Schmerzen, Übelkeit und gegen (oder für) noch was anderes.“ „Blut nehmen wir auch gleich ab.“ Aus dem anderen Arm. „Bald wissen wir mehr.“

Zwei Dinge: Zunächst bin ich gerade in meinem schlimmsten Albtraum erwacht. Das übersteh ich keinesfalls!

Andererseits sind die auf eine Art und Weise nett, die alles sprengt was ich mir vorstellen hätte können. Ein ganz junges Team. Viele tätowiert dass man auf dem Arm kaum mehr Haut sieht. Man kann jetzt sagen dass das doch wohl egal ist. Für die Sache belanglos. Nein! Ich war Teil der Sache und für mich war es das nicht. Dieses Reinblitzen der „richtigen“ der auch mir bekannten Alltagswelt, in Form einer banalen Tätowierung war für mich beruhigend: „Die haben auch ein „Aussenleben“ wie ich!“ Sie unterhielten sich in einem breiten – für mich als Wiener klang das so – steirischen Dialekt. Also keine sterile, klinische Sprache sondern eine, die genuin mit ihnen gewachsen ist. Wahrscheinlich hat sie schon der Großvater verwendet, als er die Kühe auf die Alm trieb. Und irgendwann hat das Enkerl studiert aber seine Wurzeln nicht vergessen. All das formuliere ich jetzt, in der Situation war es eher ein Gefühl. Ein Gutes. Ohne es wäre die Situation für mich viel schlimmer geworden. Ab jetzt traf ich ausschließlich auf Menschen dieses Zuschnitts und zusätzlich wurde eine riesige Maschinerie aufgefahren. Ich wurde geröntgt, geultraschalt und was weiss ich noch alles. Ach ja, es wurde mir auch dauernd auf den rechten Unterbauch gedrückt. Dort hatte ich allerdings keine Beschwerden. Es tat zwar auf der rechten Seite weh aber weiter oben. Tja, da auch die Galle steinfrei und von der Güte der eines Neugeborenen war, entspannte sich für das Team – ich zählte mich schon fast dazu – die Lage. Eine Nacht überwachen wir das noch und morgen früh kann der Urlaub fortgesetzt werden. Super! Ich freue mich. Meine Frau sitzt ja mit den Hunden fest und weiß nicht was los ist. Aber etwas nagt in mir: Die Schmerzen werden nicht besser. Trotz der Medikamente werden sie immer schlimmer. Und mir ist auch unglaublich übel. Und noch was: Das Bohren wandert langsam runter. Und zwar mit einer penetranten Konsequenz dort hin, wo ich den Blinddarm vermute. Ich drücke vorsichtig an dieser Stelle rein und bekomme einen Schweißausbruch. In mir arbeitet es: Wenn ich das der Schwester sage geht es aber los. Da komm ich nicht morgen heim. Kurz überlege ich es zu verschweigen – ein von Angst getragener Wahnsinn! Ich habe grad zwei Ängste und wäge ab: Sterben im steirischen Paradies oder aber vielleicht und unter Umständen operiert zu werden. Ehrlich ich hab wirklich überlegt.

Gut, die freundliche Schwester kommt und sagt, dass ich nicht gut ausschau. Ich beschreib ihr meine Schmerzen und informiere sie über die Region von der Sie ausgehen: „Das muss sich der Arzt noch einmal anschauen.“ Er kommt drückt rechts in den Unterbauch und ich lerne über der Matratze zu schweben wie die aus dieser Sekte. „Heho, da habens aber bis jetzt keine Schmerzen gehabt.“ Es wird nun links in den Unterbauch gedrückt, schnell ausgelassen und mir fährt wieder ein heisses Eisen rechts in den Bauchraum. „Das schaut mir aber seheheher nach akutem Blinddarm aus. Der wird rausgehören.“ Ich bin an der Ohnmachtsgrenze vor Angst: „Sagen Sie, für Sie ist das doch Routine? Sie haben das schon wahnsinnig oft gemacht, ja?“ Der liebe Arzt schaut mich tieftraurig an und sagt: „Na. Erst zwei Mal.“ Er beobachtet wie mir die Gesichtszüge entgleiten und ich mich anschicke die Contenance zu verlieren. Plötzlich haut er sich auf die Schenkel und prustet lachend heraus: „Aber ich machs eh nicht. Ich schick Sie nach Jundenburg ins LKH, die machen das dauernd. Da brauchens keine Angst haben.“ Er lässt mich noch schnell durch einen Computertomographen schicken. Dafür bekomme ich ein Kontrastmittel gespritzt. Das hört sich jetzt harmlos an. War es letztlich auch. Allerdings habe ich so was schon mal abgelehnt. Ich hab gelesen was man da für Zustände bekommen kann und war sicher, dass ich die vor Panik eher nicht erleben werde. Mich träfe da vorher der Schlag. Ich konnte diesmal aber wirklich keinen Ausweg erkennen. Und ehrlich: Es war nicht halb so schlimm sondern es war nicht der Rede wert. Ein bissl ein komischer Geschmack im Mund und eine leichte Wärme. Also wirklich nix Aufregendes. Und wenn ich das sag, dann glaub mir das, alter Angstmeier! Das schaffst auch Du! Andererseits….Vielleicht reagiert nicht jeder gleich und ein anderer speibt sich an, nässt in die Hose und liegt 80 Jahre im Wachoma. Was weiß man.

Okay, das Ergebnis der Untersuchung erfahr ich nicht mehr weil zwei Sanitäter gelaufen kommen, mich auf eine Trage legen und mich nach Judenburg bringen. Der junge Zivildiener – im gelernten Beruf ein Spengler – erzählt mir Geschichten und hilft mir dabei ruhig zu werden. In der Notaufnahme nehmen mich ein junger Arzt und eine junge Schwester oder Ärztin in Empfang. Beide cool, lustig und kompetent. Ich beginne das von Steirern nicht anders zu erwarten. Ich fülle einige Fragebögen aus. Dann untersucht mich der ärztliche Rockstar – so kam er mir vor – auf eine ganz eigene Weise, um die Diagnose endgültig zu erhärten: Er beschreibt mit dem Finger einen Bogen der sich von meiner linken Leiste bis oben Mitte zieht. „Tuts weh?“ Ich verneine. Während ich das tue klopft er mir blitzschnell aber nicht sehr hart in den rechten Unterbauch und unterstellt: „Das aber schon.“ Was könnte ich dagegen sagen. Jetzt will er, dass ich sachte auf dem linken Fuß springe. Das ist fast schmerzlos zu bewältigen. Zumindest gemessen an dem, was jetzt folgt. Er sagt: „Jetzt spring ma mal vorsichtig rechts.“ Ich will meine Kooperationsbereitschaft deutlich demonstrieren und hüpfe flockig auf meinen rechten Fuß. Jetzt passiert mehrerlei. Die Reihenfolge unterstelle ich jetzt. Ich bin mir in diesem Punkt nicht sicher: Mir geht ein Tröpferl in die Hose. Ein unpackbarer Schmerz fährt mir in die Leiste. Mein Knie knickt ein und eine Rauchwolke fährt mir aus der Nase. Er grinst seine Kollegin an: „Merk dir das. Das Knie klappt ein. Und sein Gesicht war auch typisch. Ein akuter Blinddarm.“

Und ehrlich. Ich bin ganz sicher, dass er mir nicht einen Deut mehr an Schmerzen als nötig waren zugemutet hat. Er hat die Sache nur so verpackt, dass ich besser damit umgehen kann. Ich bin gesprungen – das kenn ich aus der unärztlichen Welt – und es hat wehgetan. Ein brummelnder, spaßfreier Mediziner alten Zuschnitts, der mir kommentarlos einen steifen kalten Finger rein bohrt, wär für mich ungleich schlimmer gewesen.

Nun kam noch ein ruhiger, etwas älterer Arzt, ich glaube ein leicht ungarisches Idiom bei ihm erkannt zu haben, in die Notaufnahme. Er wird mich operieren. Er erklärt was mir alles passieren kann. Er macht das irgendwie so, dass ich mich damit abfinden kann. Ich glaube ihm, dass die Chance wirklich äußerst gering ist, dass er mir den Darm zerfetzt oder meinen Harnleiter durchtrennt…oder so. In einem Rollstuhl werde ich in den zweiten Stock gebracht. In ein Zimmer in dem eine richtig gstandene Schwester residiert. Sie strahlt eine derart bestimmende Fröhlichkeit aus, dass meine Angst selbst mir etwas albern vorkommt. Ich bin mir sicher, dass sie das schon oft abgewickelt hat. Die kennt meine Ängste, nimmt sie ernst, weiß aber, dass letztlich alles gut wird. Genau das brauche ich jetzt. Ich kann inzwischen ungefähr einschätzen was auf mich wartet: 40 bis 60 Minuten auf dem Tisch. Der Blinddarm ist zwar schon sehr „knackig“ aber es sollte alles klappen. Die Aufklärung durch die Anästhesistin steht noch an. Es wundert mich nicht, dass das wieder eine nette, fesche, junge Frau ist.

Sie fragt ob ich schon einmal eine Vollnarkose hatte. Hatte ich nicht, ich bin ja noch nie operiert worden. Sie erklärt, dass sie mir eine ordentliche Dosis von dem Narkosemittel (Propofol, glaub ich) geben wird, weil ich ganz ruhig gestellt werden muss. Ich würde dann die Atmung einstellen, die dann von einer Maschine übernommen wird. Ab hier konnte ich ihr nicht mehr folgen. Nicht falsch verstehen: Sie hat alles richtig gemacht, war sympathisch und ganz lieb. Aber. Ich atme jetzt seit 48 Jahren selbst. Das ging über meine Grenzen. Das Ding mit dem Abdrehen meiner Atemfunktion konnt ich mir gar nicht vorstellen. Wie gut funktioniert die Maschine? Wer hat sie gebaut, wer sie gewartet? Ähnliche Fragen sind dafür verantwortlich, dass ich wirklich sehr ungern fliege, und ein wirklich unguter Beifahrer bin ich auch. Nützt alles nix. Ich werd mich hier ausliefern müssen. Und zwar mit Haut und Haar. Wäre nicht alles an diesem Tag so gelaufen, wie ich das beschrieben habe, hätte mich das wahrscheinlich so traumatisiert, dass ich des Nachts Kirchen rosa lackiert oder Beerdigungen mit Clownsnase besucht hätte. Aber es war wie es war.

Ich wurde noch kurz in mein Zimmer geschoben. Dort haben die mir ein hinten offenes Hemdchen angezogen. Nicht blöd lachen jetzt! Dann legte ich eine Watteeinlage in meine Netzunterhose. Weisse Kniestrümpfe wurden mir übergestreift. Vielleicht zur Illustration: Ich treibe seit 30 Jahren Kraftsport, boxe ein wenig und habe 102 kg. Ein gewisses Erscheinungsbild ist mir – lassen Sie mich sagen – nicht ganz unwichtig. Nein, für diese Situation lässt sich kein Modus Operandi finden. Vielleicht kann ich ja irgendwann drüber lachen. Oder ich verschweige das. Ja, genau so. Das erfährt keiner!

Ich bekomme ein Dormicum und soll ruhig werden, wahrscheinlich sogar einschlafen. Es wirkt tatsächlich ein wenig. Ein Mensch, ich glaub eine Frau, schiebt mich durch das Labyrinth des schlafenden Krankenhauses. Aber es schläft nicht ganz. Ganz unten, im Bauch des Gebäudes, wartet man auf mich und meinen Bauch. Ich lasse die Augen zu. Nur einmal mach ich sie auf und sehe eine Wand mit vielen kleinen Fotos, vermutlich die Mitarbeiter, und dem Schriftzug „Mensch bleiben“. Sinngemäß. Ich kann den Wortlaut nicht genau beschwören aber es hat mir geholfen.

Dann sind wir da. Jemand fragt freundlich nach meinem Namen, Geburtsdatum und was mein Anliegen hier sei. Ich mache kurz die Augen auf weil es irgendwie unhöflich wäre blind zu antworten. Mich schauen zwei Augenpaare freundlich und beruhigend an. Die Münder kann ich nicht sehen, da ist eine grüne Maske davor, aber das macht nichts: Ich weiß, dass sie lächeln! Trotzdem mache ich die Augen wieder zu, weil ich rechts am Rande meines Sichtfeldes eine Lampe sehe, wie ich sie aus dem Fernsehen kenne. So eine, wie sie über diesen Tischen meiner Ängste eben leuchtet. Meine Liege wird raufgekurbelt und geneigt: „Achtung, sie rutschen jetzt auf etwas Härteres. Wir machen es gleich angenehmer.“ Ich spüre, das glaube ich halt, warmes Metall. Vom Rest weiß ich nicht viel. Jemand kündigt ein starkes Schmerzmittel an. Es könnte mir etwas schwindlig werden. Man hält mir eine Maske über Mund und Nase: „Wir geben ihnen etwas Sauerstoff.“. Und dann wurde es wohl finster.

Als ich aufwache bin ich in einem anderen Raum. Das Erste: Mir ist nicht mehr schlecht. Es geht mir eigentlich sehr gut. Ich fühle mich erfrischt und ausgeschlafen. Einzig mein Hals ist etwas rau. „Ich habe es geschafft“ blitzt es in mir auf. Das war kein Gedanke der nur in meinem Kopf wohnt. „Ich habe es geschafft“ schrie auch die linke Rippe und die rechte Kniescheibe antwortete: „Jeaaa!“ Es war undenkbar so was zu überstehen. Noch gestern befand sich das außerhalb meines Vorstellungshorizontes.

Freitag um 0:06 schreib ich aus dem Zimmer an meine Frau: „Blinddarm draussen, alles ok.“

Sie kann es aber eh nicht empfangen. Ich schreib auch an meine Lieben in Wien. Ich glaub normal, dass ich unentbehrlich bin. Ich weiß jetzt, dass das nicht stimmt. Meine Tochter und ihr Freund sind wohl doch nicht mehr nur meine Kids sondern schon (ziemlich) erwachsen. Sie informieren unseren Hüttenwirt der jede Nachricht sofort überbringt. Die Hunde werden heimgebracht. Die Kids nehmen dafür das große Auto und lassen das kleine bei meiner Frau. Die packt schnell alles ein und zahlt bei unserem Gastgeber. Der will sich nur die Tage zahlen lassen, die wir auch wirklich seine tolle Hütte bewohnt haben.

Mein kleiner Bruder erkundigt sich dauernd wies steht. Auch auf ihn kann ich mich verlassen.

Meine Frau quartiert sich in einem Hotel beim Spital ein. Nächste Woche wär das wegen des Grand Prix´ schwierig geworden.

Ich bin einstweilen in einem Vierbettzimmer untergebracht. Auch so eine Angstsituation für mich. Meine Zimmergenossen sind aber nette Burschen. Mein Bett steht beim großen Fenster und wenn ich nach rechts schaue sehe ich einen schönen, kleinen Park und gleich dahinter wilde Tannen an einem Berghang.

Mir fällt eine gewisse Betonung der Körperfunktionen auf. Eine der ersten Fragen des Morgens ist die nach dem Stuhl. Allerdings findet keiner was dabei. Nennen Sie mich verstockt, nennen Sie mich altmodisch. Ich halt mich da lieber bedeckt. Ich beschließe zunächst gar nix zu essen. So antworte ich triumphierend: „Ich hab ja nix gegessen.“ und vermeide die peinlichen Themen. Allerdings habe ich zuletzt Mittwoch feste Nahrung zu mir genommen und bin wahnsinnig hungrig. Ein Kompromiss muss her. Ich esse ganz wenig. Und zwar so, dass meiner Einschätzung nach das „Eine“ nicht zum „Anderen“ führen muss.

Das hätte mir gestern fast die vorzeitige Entlassung gekostet: Ohne Stuhl keine Heimreise mit meiner Frau.

Aber ich durfte ja doch. Jetzt sitz ich da, tippe und hoffe, dass vielleicht zufällig die vielen netten Helfer meine kleine Geschichte lesen: Unser freundlicher Gastgeber, der Zivildiener, die blonde Notärztin, alle Schwestern und Ärzte. Die Frau, die alles so sauber geputzt und aufgepasst hat, dass ich nicht ausrutsche. Der schlanke junge Pfleger mit dem Vollbart, der immer ein Lächeln im Gesicht hatte und der dem alten Herrn, der in der Nähe des Österreich Rings wohnt, so eine Freude gemacht hat, weil der schon seinen Großvater gekannt hat.

Danke Euch allen! Ihr habt viel mehr getan als Eure Arbeit.

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