Sonnengelb. Wand, ein Stück Gitarre. Lamperl vom Handy leuchtet. Gut, dann mach ich das zweite Auge auch auf. Warm ist es. Gestern hat die Claudia das Fenster offen gelassen. Die mag das, wenn es arschkalt ist im Schlafzimmer. Ich nicht. Wenn ich frieren will leg ich mich aufs Klappbett im Garten. Ich streck mich mal ordentlich. Der Willi liegt neben mir und rührt sich nicht. Schnarchen tut der Hund aber nicht schwach. Ich strampel die Decke weg, reiss die Füße Richtung Kopf und dann mit dem ganzen Schwung wieder zurück, allerdings knapp an der Matratze vorbei auf den Fußboden. So hebt sich, bei korrekter Ausführung, der Oberkörper fast von selbst. Ich wart bis ich sicher steh – manchmal überfällt mich an der Stelle ein leichter Schwindel – und verlasse das Schlafzimmer. Ich höre die Claudia schon in der Küche herumwerken. Es ist so halb sechs. Bevor ich um die Ecke biege, straffe ich meinen Körper. Wir sind zwar seit über dreißig Jahre verheiratet, ich hab mir das aber mal angewöhnt. Als wir ganz jung waren, wollt ich zu jeder Zeit – auch gleich beim Aufwachen – so richtig geil ausschauen. Normal hört man damit bald einmal auf weils einfach mühsam wird. Ich habe aber den Absprung verpasst und bin hängen geblieben. Das büße ich jetzt. „Morgen.“ „Morgen. Ich fahr um ein Brot. Ich glaub wir haben keins mehr.“ „Nimmst ein Baguette mit? Ich mach heut Mittag einen Nudelsalat.“ Ich geh ins Badezimmer und schau in den Spiegel. Scheisse, vor ein paar Jahren hatte ich aber noch keine solchen Ringe unter den Augen. Ich lehn mich gegen den Waschtisch und lass die elektrische Zahnbürste surren. Das Haar macht mir keine Arbeit. Ich hab mir vorgestern wieder eine Glatze geschoren und muss die Birne nur mit dem Gesicht waschen. Ich glaub ich fahr nicht mit dem Motorradl zum Bäcker bei der U3. Da ist mir noch ein bissl zu kalt. Im Auto dreh ich gleich die Heizung auf und lass mich vom Toby Keith belehren: „dont let the old man in“. Ich lieb die Scheibe und singe voller Inbrunst mit. Ich sollte vielleicht einen Cowboyhut tragen, einen Pickup fahren – ich hatte eh schon zwei. Sind sau unpraktisch – und weiche Drogen nach Podersdorf schmuggeln. Ich parke fast vor der Tür und schlendere in die Filiale. „Griaß ina, a Krustenbrot und a Bagädd, bitte.“ „Gerne.“ Während der Verkäufer meine Bestellung bearbeitet, betritt eine Frau die Filiale und stellt sich rechts neben mich. Sehr klein und wahnsinnig dick ist sie. Ich weiß, dass ich sie kenne, habe aber keine Ahnung woher. Ich schaue sofort in die andere Richtung. Mir passiert das oft. Ich kann mir Menschen kaum merken. Das ist manchmal peinlich. Es wär ja möglich, dass wir uns gut kennen. Beim Baumarkt hat mich über Jahre eine Kassiererin fast schon euphorisch begrüßt: „Servas, griaß die! Wie geht’s da?“ Ich habe das Spiel so lange mitgespielt bis sie die Filiale gewechselt hat. Ich war immer sehr verunsichert und hatte fast ein schlechtes Gewissen. Wer isn die? Hab ich da was Wichtiges vergessen? Ich weiß es bis heute nicht. Jetzt, als ich auf mein Brot warte, fällt es mir aber ein wer die Frau neben mir ist. Feuermal, Feuermal, jagt ein Gedanken durch meinen Kopf. Jetzt hab ichs. Die hat früher beim anderen Bäcker gearbeitet. Ich würd mir wirklich leichter tun, hätte jeder irgendein Merkmal: Augenklappe, Beinprothese oder eine Warze auf der Nase – so was in der Art. Jetzt kann ich aber brillieren: „Ja serwas. Schön dich wieder mal zu sehen“, mache ich mich wichtig.
„Ich muss dann mal, servus, bis bald!“
Schon im Garten rieche ich den Kaffee. Ich hab mich endlich durchgesetzt. Wir verwenden wieder die alte Eisenkanne.
So eine hatte schon meine Omama in Verwendung. Mir ist die viel lieber als die modernen Maschinen. Ich baue in mein Leben gerne solche Weltbremsen ein „Hör zu Welt. Du hast vielleicht beschlossen dich dauernd zu ändern, mir geht das aber am Arsch vorbei. Ich verwend die alte Maschine und meine Jeans trage ich so wie im 85er Jahr. Leb damit. Blöde Welt!“
Wir frühstücken lange und genüsslich. Meine Tochter – das Herzerl – hat eine Nase wie ein Bluthund. Sie riecht das in der oberen Wohnung, dass wir frühstücken. Mit geschlossenen Augen tappst sie herein, wird abgebusselt und lässt sich auf die Bank plumpsen. Als sie die Augen langsam aufbekommt, erzählt sie mir was von ihren Lateinübungen. Ich höre interessiert zu, steige aber nach einem Halbsatz aus. Was erzählt sie da? Ein Text der nur korrekt übersetzbar ist, wenn man auch die Rahmengeschichte kennt – die mit der Kleopatra nämlich. Was für eine Trottelsprache. Gibt’s da nix Besseres? Aber wahrscheinlich ist es deshalb wichtig Latein zu können, weil die halbe Welt die Sprache spricht. Auch nicht? Dann weiß ich jetzt wirklich nicht weiter. Ich jedenfalls hab schon im Deutschunterricht die Ohren eingerollt, als uns der was von Fällen, Prädikat, Substantiv und Präservativ erklärt hat. Kenn ich nicht, interessiert mich nicht, brauch ich nicht. Hab mich bis heute davor gedrückt zu lernen was so ein „Fall“ ist. Ich hab jetzt aber erfahren, dass ich deswegen nie – aber wirklich nie – Latein lernen werde. So, jetzt hab ichs.
„Wo fahren wir heute mit dem Willi hin?“, frage ich. Sophienalpe ist zwar schön, wir sind aber sehr oft dort. Ich mag den Blick auf den verschneiten Berg – ich glaube das ist der Schneeberg -, den man dort an manchen Tagen hat. „Vielleicht wandern wir wieder mal zur Toiflhütte? Da waren wir schon lange nicht.“ Wir beschließen das so zu machen. Der Willi ist startklar, weil er sich ja beim Tisch Leckerlis holen musste. Ohne, würde er noch ein oder zwei Stunden schlafen. Wir ziehen die wärmeren Jacken an. Es hat erst 7 Grad sagt mein Handy. Den Willi locke ich in den Garten: „Komm mein süßer Deidibär, sühühüßes Bärchen komm nur“ und leg ihm das Halsband an. Ich wuchte ihn ins Auto. Das geht jetzt etwas einfacher, weil er krank war und 5 kg abgenommen hat. Er hat aber immer noch so um die 80 kg. Ich fahre über den Wilhelminenberg, zum Schottenhof, dann beim Hanslteich vorbei und biege im Kreisverkehr auf die Exlbergstraße ab. Am Waldrand sind Froschsperren – oder sind das Krötensperren? -, wo junge Menschen, meist Mädchen, die Tiere einsammeln. Ich hoff mal, das sind Frösche. Sonst hätten die an den Händen lauter Warzen. Die Mädchen jetzt, nicht die Kröten. Ich fände es besser, die würden auf Pferde stehen. Wie kommt man auf Amphibien? So anziehend find ich die jetzt wirklich nicht. Nach ein paar Metern, noch vor dem Parkplatz vom Schwarzenbergpark, liegt was auf der Straße. Es ist ein toter, sehr großer Vogel. Traurig. Ich trauere immer sehr um die überfahrenen Tiere. Halt nicht grad um Kröten.
Beim Sendeturm am Exlberg hat es neun Grad. Eigentlich ist dort der kälteste Punkt unserer Gegend. Bei manchen Wetterlagen dreht sich das aber – dann ist es der wärmste. Ich parke vor dem Schranken, der den Weg zur Toiflhütte für den Verkehr versperrt, schau aber, dass ein Traktor oder so vorbei kann. 7:15 Uhr ist es, als wir aufbrechen. Die Luft ist glasklar und trägt hundert Gerüche. Überall will das Grün durch die schützenden Hüllen brechen. An den Lärchen sieht man die ersten roten Zipfel, neben dem Weg bilden die Primeln gelbe Polster und die Veilchen blühen. Die Toiflhütte hat schon länger geschlossen. „Zu verkaufen“ steht dort. Ich war schon als Kind mit meinen Eltern da. Damals hatte ich keine Freude mit den Spaziergängen. Jetzt liebe ich sie. Manchmal erkenne ich Gerüche wieder und kann sie mit Situationen verknüpfen, die schon vergessen waren. Obwohl, eigentlich kann ich mich ja erinnern, aber mit dem Riechen kommt das Gefühl von damals dazu und Vergangenheit beginnt wieder zu atmen. Wir wandern an der Hütte vorbei, bis zu der großen Wiese.
Die liegt im strahlenden Sonnenschein. Es ist dort deutlich wärmer als oben bei der Straße und die Natur ist auch schon weiter. Viele Knospen sind schon aufgesprungen. Weiss und gelb gehen in das Grün der Wiese über. Weit hinter den Bäumen sehe ich den Sender am Exelberg. Am Rand der Wiese ist ein Hochstand. Er ist nach einem Platz im Wald ausgerichtet, der völlig umgeackert ist. Es riecht auch sehr scharf. Hier waren Wildschweine am Werk.
Wir genießen noch ein bissl die Sonnenstrahlen und freuen uns, dass der Willi wieder wie ein junges Reh herumspringt – gut vielleicht nicht grade wie ein Reh aber doch.
Dann kehren wir um. Gleich nach der Toiflhütte liegt, eingebettet in eine Senke, eine Wasserstelle.
Manchmal ist das ein Gatschloch aber heute ist wirklich Wasser drin. Ich nehm dort immer den Hund an die Leine. Jemand hat eine Entenburg gebastelt und sie ins Wasser gesetzt. Früher waren auch wirklich oft Enten dort. Heute aber nicht und so kann der Willi plantschen. Als wir wieder beim Auto sind bin ich froh, keinen einzigen Menschen getroffen zu haben. Das macht für mich einen gelungenen Spaziergang aus. Ich mag es still und einsam.
Wieder zu Hause werf ich noch einmal die Westernkanne an. Gut ist der Kaffee. Wie früher.
Wie ich so am Häferl rieche und einen Nipper mache, kreisen meine Gedanken ums nächste Projekt. Ich hab, links neben dem Gartentürl, eine kleine Böschung. Dort rinnt mir bei Regen immer der Gatsch auf die Stufen. Die niedrige Mauer ist nicht hoch genug. Soll ich auf die alte Mauer betonieren? Kann man das überhaupt? Ich müsste wahrscheinlich Löcher bohren und Stahlstifte reindrücken damit das hält. Und eine Schalung würde ich auch basteln müssen. Nein, das ist mir zu kompliziert. Ich hab uralte Ziegelsteine. Auf manchen ist sogar noch so ein Zeichen eingestanzt. Also jetzt nicht das böse. Ein älteres. So ein monarchistisches Wappen…..oder so. Ja, so wird das gehen. Ich putz dort mal die Erde weg. Dann leg ich die Ziegel auf. Den letzten schneid ich mit der Steinscheibe. Dann putz ich alle mit dem Drahtbürstenaufsatz der Bohrmaschine ab. Aber welcher Kleber passt? Ich habe einen Sack Trockenbeton und einen Flexkleber zaus. Ich glaub, ich nehm den Kleber. Der Willi haut sich neben mich und schaut skeptisch zu. Ich mach eine feste Schweinerei, bürste aber alles gleich mit der Malerbürste und viel Wasser Weg.
Dort wo ich jetzt gewerkelt hab, hat zuletzt mein Papa, vielleicht aber auch schon Omama oder Opapa gearbeitet. Die tragende Betonmauer ist etwa 1959 gebaut worden. Ich mag das Gefühl. Es ist als ob ich einen Finger durch ein Loch in der Zeit stecke und auf der anderen Seite die Berührung meiner Vorgänger spüre.
Jetzt bin ich angenehm müde. Ich hab große Lust mir den „Michel aus Lönneberga“ anzuschauen. Vielleicht die Folge wo er den Alfred mit dem Pferdeschlitten zum Arzt bringt. Mitten durch den schlimmsten Schneesturm.
Also das war wirklich ein guter Tag, dieser 18.03.2020.