Wenn die Buchstaben dieser Geschichte verwackelt sind, dann liegt das daran, dass ich immer noch zittere wie ein Lampelschweif.
Und das kam so:
Ich sitze mit meiner Gitarre im Wohnzimmer und versuche „i walk the line“ einzuspielen. Und zwar mit gemutetem Wechselbass und den zugehörigen Bassläufen. Das ist für mich eine Herausforderung der Extraklasse. Ich mach eine Pause, weil die Hunde verdächtig ruhig sind. Ich sehe mal nach ihnen. Ah, der Ozzy schnarcht auf seinem Lieblingsplatz. Das ist der Ikea-Sessel, der so schön wippt. Und der Willi? Ich schau um die Ecke ins Vorzimmer und pralle zurück. Er liegt in einer riesigen Blutlacke. In mir krampft sich alles zusammen. „Nina!“ rufe ich ins Stiegenhaus. „Komm schnell!“. Meine Frau ist nicht zuhause, aber meine Tochter kommt aus ihrer Wohnung im ersten Stock. Sie reagiert sofort und wählt die Nummer unseres Tierarztes. Ich bin nicht zu gebrauchen. In Notsituationen verhalte ich mich wie diese kleinen Buggys, die man auf dem Christkindlmarkt kaufen kann. Die stehen in einer Kiste und fahren herum. Immer wenn sie gegen die Wand knallen, prallen die zurück, um nichts anderes zu tun, als gegen die Begrenzung auf der vis a vis Seite zu fahren. Genau so funktioniere ich gerade – ich laufe im Kreis. Runde um Runde. Wer sich jetzt auf mich verlassen muss, der ist verloren. Meine Tochter bestimmt: „Anziehen! Nimm mein Auto und fahr sofort zum Tierarzt. Der ist informiert und sagt, du sollst gleich kommen.“ Wir wissen inzwischen, wo das Blut herkommt. Der Willi hat seinen dick geschwollenen, knallroten Penis ausgefahren. Das passiert manchmal. Wenn ich es sehe, hole ich ein Sackerl Erbsen aus der Tiefkühltruhe, die meine Frau auf sein Schnipperl drückt – ich bin da nicht so für diese Indiskretionen. Bisher hat das immer geholfen, und er hat sich beruhigt. Woher hat der Hund nur diesen Hormonüberschuss? Von mir nicht! „Wie der Herr so is Gscherr“, dürfte hier mal nicht zutreffen. Eigentlich bin ich ja ein Anhänger dieser Volksweisheit.
Ich werfe mir meine Jacke über, zieh sie wieder aus und gleich wieder an. Der Willi schaut mich erstaunt an. Er ist verblüffend ruhig. Das Blut rinnt weiter. Ich zieh ihm sein Halsband über den Kopf, schnapp mir die Leine und stürme durch den Garten. Der Schnee auf dem Weg färbt sich rot. Meine Frau ist mit dem großen Hundeauto unterwegs. Wir müssen den kleinen Mitsubishi meiner Tochter nehmen. Ich hoffe, ich bekomm den da rein. Der Willi hat 80 kg und ist eine besonders große Bordeuxdogge. Schlüssel finden, Schloss finden, Schlüssel fällt mir in den Schnee; ich bin fertig. Willi blutet ruhig weiter. Endlich schaffe ich es das Auto zu öffnen. Ich mach die hintere Türe auf und flehe: „Willi, bitte mach happ!“ Er macht es unverzüglich. Gott sei dank! Ich spring ins Auto und klemme hinter dem Lenkrad fest. Meine Tochter ist viel kleiner als ich. Die Sitzentriegelung ist aber dort, wo ich sie vermute. Jetzt sehe ich, dass ich nichts sehe: erster Schnee. Auch auf den Scheiben. Gerade heute. Typisch! Ich spring raus und wische mit der Hand übers Fenster. Jetzt habe ich eine Mischung aus Blut und Schneematsch auf der Windschutzscheibe. Das muss gehen. Ich starte und drehe mich noch kurz um. Der Willi blutet noch immer. Ein Glück, dass es nicht weit ist. Ich bekomme bald die Plakette für 1000 Jahre unfallfreies Fahren. Das war die unsicherste Fahrt meines Lebens. Vielleicht von den Anfängen abgesehen. Vor dem Haus des Tierarztes kann ich parken. Ist eigentlich immer so. Wir stürmen hinein und werden erwartet. Willi färbt den Boden vor der Anmeldung rot. Alles schwimmt im Blut. Die junge Ärztin – nein falsch – die freundliche, nette junge Ärztin führt uns ins Behandlungszimmer. Ich muss wirken wie ein Trottel: ungewaschen, irgendwas angezogen, Haube schief auf dem Kopf und zittrig. Dazu atem- und orientierungslos. Sie strahlt aber eine souveräne Gelassenheit aus. Jetzt kommt auch noch der Chef dazu. Wir kennen uns schon länger. Ich war schon mit meinem Neufundländer in seiner ersten Praxis. Ist ewig her. Ich werde etwas ruhiger. Er ist ein Superprofi und wahnsinnig freundlich. Ich habe mich zumindest soweit gefangen, dass ich schildern kann, was vorgefallen ist. Die beiden nehmen mir die Last der Verantwortung von den Schultern. Was bleibt ist die Sorge um meinen Freund. Er hat bis jetzt sicher über einen halben Liter Blut verloren; vielleicht auch mehr. Wie viel kann so ein Tier verkraften, überlege ich. „Kein Problem“ werde ich beruhigt. „Der Blutverlust ist nicht bedrohlich“. Das Problem ist nur, dass festgestellt werden muss, wo genau das herkommt. Und Willis Problemzone ist inzwischen eingefahren. Er sitzt dort und ist so nicht wirklich zu untersuchen. Es wäre gut, wenn er sich hinlegen würde. Er will aber nicht. Vielleicht können wir ihn ja heben. Eh nur die Vorderfüße. Das geht aber auch nicht so richtig. „Tja, wir werden ihn wohl kurz narkotisieren müssen“ meint unser Arzt .Das macht mich ziemlich nervös. Ich weiß nämlich, dass Bordeauxdoggen zwar doppelt so schwer wie Retriever sind, aber nur die halbe Dosis des Narkosemittels vertragen. Die sind da sehr empfindlich. Man soll unbedingt den Arzt darauf hinweisen. Das tue ich auch. Er lächelt. Er hat das ohnehin gewusst. Erstaunlich. Wie viele Bordeauxdoggen wird ein Tierarzt im Jahr zu Gesicht bekommen? Die sind ja eher selten. Ich mache noch einen Versuch. Ich beuge mich über Willi und ziehe ihm den Vorder- und Hinterfuß auf der Vis a vis Seite weg. Plumps, da liegt er. Wir freuen uns. So wird das gehen. Ich leg mich zu ihm auf den Boden – Wange an Wange. Jetzt kann die Untersuchung losgehen. Der Willi ist, dass sollte man hier erwähnen, ein Lämmchen. Das friedlichste Gemüt, das man sich vorstellen kann. Ein lover – das hat hier wohl mitgespielt – und kein fighter. Es ist folgendes passiert, erfahre ich: Erregung, Verdickung, Rückstau des Blutes, Platzen eines Schwellkörpers und schwallartiges Bluten. Wenn ich es richtig verstanden habe. Es wird aber gerade besser. Es tröpfelt nur mehr. Tja, viel machen kann man da nicht. Kühlen am Besten. Und bedenken, dass das hormonell bedingt ist. Man wird sich für die Zukunft etwas überlegen müssen. Oh. Ich weiß, worauf das hinausläuft. Das hör ich nicht so gern. Aber was soll ich machen? Das ist kein Dauerzustand.
Ich bekomm einige, sehr große, Tabletten überreicht. Drei nach jedem Fressen soll ich ihm geben. Der Willi wird noch geputzt – er ist voller Blut. Bezahlen soll ich nur das Medikament „Ich hab ja nichts gemacht“ sagt der Doktor. Das hat er schon öfter so gehandhabt. Ich bin da anderer Meinung. Ich war am Kollabieren. Was für eine Erleichterung, dass er erreichbar, sofort (be)handlungsbereit und souverän wie immer war. Rückblickend war das größte Risiko das, dass er einen 95 kg Mann bewusstlos unter seinem Behandlungstisch vorfinden hätte können.
Ich soll mir noch die Hände waschen. Ich schau aus wie ein Axtmörder. Ich brauche noch für jede Tätigkeit Anleitung. Unser Doc dreht inzwischen mit dem Willi eine Runde in seinem Garten.
Das soll ich nachher auch machen. Bissl im Schnee spazieren gehen. Gleich in den Wald rauf. Kühle ist das Beste, um das Gefäß zu schließen.
Wir haben das inzwischen gemacht, und dem Willi geht es wieder gut.
Sollten ihre Tiere auch Patienten eines so tollen Tierarztes sein, dann gratuliere ich Ihnen!
Wenn nicht, dann leg ich Ihnen meinen ans Herz (nicht verwandt oder verschwägert):