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Mein Computer ist übervoll. Eigentlich sollte ich ihn längst ausmustern. Dann müsst ich mich aber auf ein neues Betriebssystem einstellen, der Einschaltknopf wär womöglich woanders und überhaupt. Ich zöger das raus so lange es geht. Besser ich schaue mal was ich an Dateien nicht mehr brauch und schaffe ein wenig Platz auf der Platte.
Wie ich so in den Eingeweiden des Laptops wühle, stolpere ich über einen fast vergessenen, handgeschriebenen und eingescannten Zettel.
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Text: Unfall 25. Juli 99 Kalte Kuchl, K…… Silvia, 0664/39………., wird c.a. am 16.12. anrufen (ist ab 14.12. im Weissen Hof).
Ich erinnere mich.
Es war ein warmer Tag. Ich hatte mir vor kurzem ein neues Motorrad gekauft. Eine wunderschöne, grüne 1200er Suzuki Bandit. Ich war noch nicht viel damit gefahren. Heute würde ich die erste größere Ausfahrt machen. Alleine, weil ich mich so besser ans neue Radl gewöhnen kann. Ich hatte sowas vorher noch nie. Ich bin eigentlich immer Enduro gefahren. Das kann ich gut. Die Bandit ist aber um einiges schwerer, du sitzt völlig anders drauf und vor allem werkeln unter dir rund 100 PS. Das entlockt dir heute nicht mal mehr ein müdes Lächeln. Damals war es aber doch eine respektable Leistung. Und die entfaltete sich wirklich erstaunlich. Die Suzi hatte eine Drehmomentkurve wie ein Traktor. Man hätte ohne weiteres im Dreier wegfahren können. Ich bin also noch beeindruckt und gehe es gemütlich an.
Ich fahr über die Westautobahn bist St. Pölten. Von dort gradaus runter in den Süden. Die Gutensteiner Straße fahre ich entlang in Richtung Ochssattel. Langsam fasse ich Vertrauen zum Motorrad. Ich lasse mich immer weiter in die Schräglagen fallen. Zwar bin ich noch lange nicht am Limit – man könnte viel später anbremsen und am Scheitel aggressiver anreißen - aber ich fahre einen runden, ambitionierten Strich. Ich glaub es muss so in der Gegend um Werasöd gewesen sein. Ich komm um eine Kurve und vor mir steht ein Auto mitten auf der Straße. Die Warnblinkanlage ist eingeschaltet. Ich muss resolut den Anker werfen, komme aber noch leicht zum stehen. Verdammt, spinnt der? Der Mann steht neben seinem Wagen.
Ich stelle den Banditen gleich dahinter ab, nehme den Helm runter und gehe ein paar Schritte weiter. Mir stockt der Atem. Vor mir liegen zwei Motorräder zerstört auf der Straße. Und zwischen ihnen liegen mehrere Menschen. Ich bin als Zweiter am Unfallort aber der Mann neben seinem Auto wirkt völlig paralysiert. Er macht gar nichts. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich in der Lage bin zu helfen. Ich war noch nie in einer solchen Situation. Was ich aus der Entfernung sehen kann ist schlimm. Zwei Menschen liegen auf dem Asphalt, einer hinkt herum. Jetzt ist es so, dass ich solche Situationen schon durchgespielt habe – man spricht darüber was man machen würde wenn…. Und ich war sicher: Ich werde helfen. Aber da ist eine Barriere, die spürte ich in der Theorie nicht. Die muss jetzt übersprungen werden. Ich gehe also weiter, aber aus keinem „edlen“ Grund. Es geht mir weniger um die unbekannten Menschen sondern um das Bild das ich von mir habe. Wenn ich das jetzt nicht schaffe, dann ist das nachhaltig beschädigt. Ich will kein Kneifer sein, kein Maulheld oder Drückeberger. Ich will meinen Ansprüchen gerecht werden. Egozentrisch zu sein, ist nicht besonders positiv belegt. Ich bin sehr egozentrisch. Womöglich ist es aber für andere Leute mitunter gar nicht schlecht, wenn jemand seinen Idealen gerecht werden will – ganz egal ob das Motiv nun ein philanthropisches ist oder nicht.
Zuerst beuge ich mich über einen Mann. Ich kann keine Verletzungen erkennen. Er sagt: „Mir geht’s gut, schau zu ihr.“ Er deutet mit dem Kopf zu dem anderen Körper. Ich gehe dort hin und sehe vor mir eine Frau liegen. Ich agiere jetzt nicht völlig automatisch, wie man das so oft hört. Am liebsten würde ich mich umdrehen, aufs Motorrad springen und heimfahren. Ich hab so was noch nie gesehen. Das schwarze Ledergwandl ist unter dem Knie zerfetzt und der Fuß schaut aus als wäre er durch einen Fleischwolf gedreht worden. Knochensplitter und Fleischfetzen. Aber kaum Blut. Müsste das nicht wahnsinnig bluten? Ich hocke mich hin und schaue in angstgeweitete Augen. Die Frau wird etwa zehn Jahre älter sein als ich, also um die vierzig. Sie hat dunkles Haar und ist schlank. Die schwarze Lederkombi weist eher auf Genussfahrer als auf Racer hin. Ich frag: „Wie geht’s dir? Hast schmerzen?“ Sie nickt. Inzwischen bringt jemand eine Decke – es sind jetzt auch andere Menschen an der Unfallstelle. Auch die Freunde der Verunglückten. Die waren schon weiter, sind aber, als sie bemerkten dass jemand fehlt, umgekehrt. Ich nehme die Decke und lege sie über die Füße der Frau. Sie beginnt so stark zu zittern, dass die Zähne klappern. Ich überlege verzweifelt, was nun zu tun ist. Was wenn sie aufhört zu atmen. Der Erste-Hilfe-Kurs ist ewig her. Ich kann mich kaum erinnern. Wie oft drücken, wie oft reinblasen? Ich weiß es nicht mehr. Aber ich kann mich erinnern, dass der Schock gefährlich werden kann. Sie darf also auf keinen Fall ihren Fuß sehen. Wäre ich sie, würde mich das umwerfen. Seltsam, ich kann mich noch genau erinnern, dass ich die verniedlichende Form verwendet habe als ich sagte: „Na, das Fußerl ist wahrscheinlich gebrochen, du wirst einen Gips bekommen müssen.“ In Wahrheit bin ich sicher dass, sollte sie das überleben und da bin ich mir keineswegs sicher, sie diesen Fuß verlieren wird. Da ist ja kaum mehr etwas da, das man reparieren könnte. Ich versuche ständig mit ihr zu reden. Sie muss wach bleiben glaube ich gehört zu haben. Ich bin mir gar nicht sicher ob das ernsthafte Tipps oder Unsinn aus 18:30 Uhr-Serien ist. Aber mehr habe ich nicht. „Wer bist denn du, was arbeitest denn?“, frage ich. Sie sagt dass sie in der Buchhaltung arbeitet. Ich sage: „Na, serwas, mein Beileid. Buchhaltung schieb ich vor mir her solange das geht und bin froh, wenn ich am Monatsende den Ordner dem Steuerberater geben kann.“ Sie lächelt jetzt sogar ein wenig. So geht das weiter, wie lange kann ich heute nicht mehr sagen. Auch damals fehlte mir das Zeitgefühl. Ich wartete einfach verzweifelt auf Hilfe. Und es hatte sich auch etwas geändert. Inzwischen war mir diese fremde Frau ein Anliegen. Ich litt mit ihr und hoffte, dass das für sie gut ausgehen würde. Plötzlich hörte ich einen Helikopter. Er tauchte auf, kreiste über uns und entfernte sich wieder. Wo sollte er auf der engen Straße zwischen den Bäumen auch landen. Hoffentlich kommt der zurück. Ich kann das „Flappflappflapp“ aber noch immer hören. Ich sehe ihn jetzt weiter unten auf der Straße, genau in der Serpentine, runter gehen. Da sitzt einer drinnen der das wirklich kann. Das ist Millimeterarbeit. Jetzt setzt er auf. Die Türe geht auf und es springen einige Menschen raus. Eine Frau schnappt ihre Tasche und läuft in unsere Richtung. Ich bin so froh! Sie hockt sich neben uns. Ich heb vorsichtig die Decke und zeige ihr den Fuß. Sie scheint das nicht zu erschrecken. Sofort beginnt sie ein Gespräch mit der Verunglückten. Sie stellt viele Fragen, ich habe vergessen welche. Dann aber sagt sie: „Gleich wird es besser, sie bekommen jetzt ein Schmerzmittel.“ Ich atme durch. Jetzt hängt die Verantwortung an der Notärztin und die wirkt kompetent. Ich will aufstehen und weggehen. Die Ärztin lässt mich aber nicht fort. Sie sagt: „Ich muss den Zugang legen, halten sie die Infusion.“ Ich kann das eigentlich nicht. Nadeln will ich nicht. Ich kann sie nicht sehen und will mir nicht vorstellen wie sie in Venen eindringen. Allerdings fragt mich keiner. Jetzt scheint die Erstversorgung erledigt zu sein. Zwei Sanitäter bringen eine Trage und nun kann ich aus dem Weg gehen. Ich schaue zu wie Silvia – ich weiß jetzt, dass sie so heißt – in den Hubschrauber geladen wird. Dann beginnt es zu pfeifen, der Rotor läuft langsam an, wird schneller und hebt den Helikopter in den Himmel.
Ich gehe zur Leitschiene. Ich hab jetzt völlig weiche Knie, hocke mich hin und lass den Kopf sinken. Es klopft mir jemand auf die Schulter. Es ist einer aus Silvias Partie. Er sagt: „Ich dank dir.“
Ich frag ob er weiß, wie es zu dem Unfall gekommen sei. Er erzählt, dass er schon weiter gefahren war und selbst nix mitbekommen hätte. „Hier haben die aber erzählt, dass wohl einer oder beide in der Kurve zu weit in die Mitte der Straße gekommen sind. Und dort sind die Motorräder ineinander eingeschlagen.“ Ich denk mir, dass sich Silvias Fuß womöglich im anderen Motorrad verhakt haben könnte. Ich will jetzt nur noch heim. Der Mann sagt noch, dass ich ihm meine Daten aufschreiben soll, sollte mich Silvia kontaktieren wollen. Ich mach das und geh zu meinem Motorrad. Ich steige auf, drehe um und fahre über den gesperrten Ochssattel retour. Ich habe keine Lust mehr auf einen Strudl in der Kalten Kuchl.
Erstaunlich, all das fällt mir wieder ein. Ich kann mich noch sehr genau an den Tag im Juli erinnern. Ich weiß auch noch, dass mich Silvia angerufen hat. Sie hatte damals schon einige Operationen hinter sich und war, glaub ich halt, grad im Weissen Hof auf Reha. Sie wollte mich damals zu einer Feier einladen. Ich bedankte mich, lehnte aber ab. Ich glaub das wäre für mich anstrengend gewesen. Das war doch eine recht intensive Begegnung, damals auf der Bundesstraße. Es war nötig so zu agieren, als würden wir uns ewig kennen. Das Zudecken und Hände streicheln stellte eine ungewöhnliche Nähe her. Bei einem neuerlichen Treffen wäre es aber anders. Eigentlich müssten zwei Fremde so tun als wären sie es nicht. Ich bin für so etwas zu wenig sozial kompetent.
Jetzt aber interessiert mich, was aus Silvia geworden ist. Vielleicht gibt ja das Netz Informationen preis. Ich tippe den Namen in das Google-Suchfeld. Sofort gehen einige Bilder auf, die die Frau zeigen an die ich mich erinnere. Daneben sehe ich eine Trauerparte mit dem gleichen Bild, das ein Bestatter ins Netz gestellt hat. Silvia ist heuer im April gestorben. Sie ist nur 61 Jahre alt geworden. Ohne viel Mühe kann ich mir ein Bild ihrer letzten Jahre machen – ihre Page existiert noch. Sie kämpfte jahrelang gegen den Krebs. Ich fand Fotos auf denen sie ein Häubchen trug oder einen kahlen Kopf zeigte – mit einigen traurigen Worten darunter. Wenn es ihr besser ging stellte sie Bilder mit ihren Tieren ein: Pferde, gerettete Hunde und einige andere. Liebevolle Worte der Zuneigung. Sie hat ihre Tiere als Freunde empfunden. Bastelarbeiten und optimistische Worte, wenn der Krebs „besiegt“ war. Aber es waren immer nur Etappensiege. Irgendwann endeten die Einträge und die Parte zog einen letzten Strich unter ein Leben.
Ich glaube, ich hätte dich gemocht. Aber es war auch so in Ordnung. Wir sind aneinander vorbeigerauscht, haben abgeklatscht und uns wieder verloren.
Und jetzt denke ich an dich.