Ich mag das Land. Land ist dort, wo Stadt fehlt.

Deswegen fahr ich dort gerne hin. Am Liebsten in eine Hütte im Nirgendwo. So was findet man gar nicht so leicht. Zumal ich keine Doppelhüttenhälfte oder eine in einem romantischen Hüttendorf suche. Ich will rausschauen und keinen Menschen sehen. Vor allem will ich keinen hören. In der Steiermark habe ich das gefunden. Wald, Berge, Wiesen, ein Bach und Kühe. Sonst nix. Ich kann absolut sicher sein, dass Jakobus im Nachbarhaus nicht von pädagogisch-sendungsbewussten Müslifreunden bespaßt wird. Ehrlich, das würde mir die Tage vergällen. Allerdings bin ich im Besitz eines Attestes, das mir eine dramatisch gesenkte Frustrationstoleranz bescheinigt. Vielleicht liegt der Konflikt also gar nicht daran, dass Cyril, Alwina und der kleine Jakobus unerträglich sind, sondern an meinem Handicap - ich vertrage keine Trottel. Ich fliehe also aus Wien und fürchte, in meinem Asyl auf Zeit, auf Wiener zu treffen. Ich mein jetzt nicht Prolos aus Wien. Die halt ich halbwegs aus. Bin selber einer. Nein, die urban-modern-progressiv Affen; die töten mich. Da will ich mich vor die nächste Kuh werfen. Am Land soll ich Landleute treffen; und Kühe. Mag ich beide. Sehr. Ich mein im Durchschnitt. Arschlöcher gibt’s überall. Du kannst einfach nicht davon ausgehen, dass jede Kuh sympathisch ist. Das wär naiv! Aber das Risiko ist überschaubar. Schon wenn ich die Autobahn verlasse, trägt mich eine Welle der Euphorie. So muss ein Einsiedler empfinden, der als Strafe für Vergehen in einem früheren Leben, einen Samstag lang in der Shopping-City eingesperrt wurde. Was jetzt kommt, wiederholt sich mit eiserner Sicherheit. Ich preise meiner Frau Sparkaufhäuser, Wirten, und Gartenzäune an: "Schau, das gibt's in Wien nicht. Scheiß Stadt!" Kein Sektenführer könnte mit mehr Engagement letzte Wahrheiten an gelangweilte Passanten in der Kärntnerstraße verhökern. Aber ich mag nun mal Rituale. Also halte ich dieselbe Ansprache, an exakt derselben Stelle immer wieder. Psychisch instabile Persönlichkeiten klammern sich an solche Dinge. Nimmt man denen das, versetzen sie nicht selten Babynahrung mit Reisnägeln.

Jetzt wird es aber Zeit, sich einem wichtigen Thema zu widmen: dem Speiseplan. In der Hütte gibt es zwar eine Küche aber die verwenden wir nur beim Frühstück. Am Abend wird Essen beim Jägerwirt bestellt. Das Ding ist nur, dass es in der Hütte keinen Handy Empfang gibt. Es läuft also so; immer: Bei der Anreise komm ich beim Jägerwirt vorbei. Ich halte dort und husche rein. "Wir sind wieder da!" Ich freue mich schon auf die Reaktion. Keiner tut sich die Heuchelei an, so zu tun als erinnere er sich. Super! So was von sozial inkompetent; aus städtischer Sicht. Ich könnt die Wirtin abbusseln. Schonungslose Ehrlichkeit! Keine berechnende Heuchelei. Knallhartes, rustikales Misstrauen. Ich erkläre, dass ich - eh wie immer - für eine Woche die Hütte am Berg bewohnen werde. "Und es wär mir eine Freude" schmeichle ich, "in dieser Zeit wieder Ihre hervorragende Küche genießen zu dürfen." Ich erkenne deutlich ihr Wohlwollen "lauter Trottln, die Wiener". Ich bestellte also mal das erste Essen: Schnitzln. Die werd ich am Abend abholen. Gleich nachdem wir ausgepackt und eine erste Runde gedreht haben. Das ist immer eine etwas kritische Situation. Ich lege Wert darauf, dass sich nichts verändert hat. Am Schlüssel sollte der große Anhänger aus massivem Holz baumeln. Und an der Antenne des kleinen Kofferradios, muss als Verlängerung ein Stück Alufolie befestigt sein. Das hat sich bewährt; kein Grund was zu verändern. Müsste ich mich wo bewerben, würde ich als auffälligste Eigenschaft und Stärke, "Homöostase" anführen. Ich hätte damit mehrerlei erreicht: einmal ein unpassendes Fremdwort in die Situation eingebracht - das mag eigentlich jeder. Und dann, noch wichtiger, hätte ich belegt ein Freidenker zu sein. Einer der nicht bereit ist, sich dem allumfassenden Zeitgeist zu beugen. Der schreibt vor flexibel zu sein und zwar mit Begeisterung. Ich halte das für einen Kniff internationaler Konzerne. Flexible Menschen pflegen flexible (oberflächliche) Beziehungen, wohnen in Häusern aus Pressspanplatten und lassen sich leicht von Standort zu Standort verschieben. Praktisch. Aber ich habe das durchschaut. Das und die Nutzlosigkeit von Astrologie, Homöopathie und Haarwuchsmitteln.

Ich kann keine Veränderungen feststellen - herrlich. Die Aufregung legt sich und ich stabilisiere mich.

Langsam wird es dämmrig. Ich breche auf. Meine Frau deckt einstweilen den Tisch und versorgt das Vieh - Willi und Ozzy sind hungrig. Wir haben ihr Hundefutter mitgenommen. Ich bin der Jäger der Sippe und mache mich auf zum Jägerwirt. Ich steige ins Auto als es gerade dunkel wird. Ich muss erst über den schmalen Weg im Wald. Als ich auf die asphaltierte Straße einschwenke, sehe ich einen düsteren Himmel, der sich auf die harten Spitzen der Berge legt. Die gehen in dunkle Tannenwälder über die in hügeligen Wiesen auslaufen. Die kleinen Höfe die dort hineingeworfen sind, schicken defensives Licht aus den Fenstern. Es behauptet sich nicht, es kann nur nicht anders. Lieber würde es in der Stube bleiben. Alles hier ist nur von der Natur geduldet. In der Stadt ist es genau umgekehrt. Hier möchte ich gerne sterben. Mitten im Wald. Unauffindbar. Das wäre schön. Ich bräuchte zur mentalen Vorbereitung keine Religion. Ich würde dort liegen und wäre Nahrung für kleine und große Lebewesen. Tendenziell präferiere ich aber die größeren. Lieber Wildschweinfutter als Wurmnahrung. Jedenfalls scheint es mir leicht akzeptierbar, dann teil der mächtigen Natur zu sein. Ganz ohne Märchen für Erwachsene.

In Wien ginge das nicht. Da bist du selbst im Wald permanent auf einem „rundumadum-Wanderweg“ der Ulli Sima. Da machst du einen Zappler und wirst, wenn’s ganz blöd kommt, von einem Naturfreund mit roten Kniestrümpfen beatmet. Nein, in Wien wär das nicht erstrebenswert. Hier aber schon.

Ich fühle mich aber momentan gut, und folge der Strasse, die geradewegs zum Jägerwirt führt. Erst am Friedhof vorbei, durchs kleine Dorf und dann links. Ich parke vor der Tür; auch das kann man sich in der Stadt aus dem Kopf schlagen. Dort musst du dir die angewärmte Tasche – die mit einem Riemen – um die Schulter hängen, und kannst mit der Defizit-Blunzn fahren. Parkplatz vor der Tür gibt’s nicht.

Ich trete ein. Stille. Alle schaun mich an: Huch, ein Fremder! Alle sind nicht viele. Die Wirtin und der Stammtisch. Dort sitzen einige Männer – keine Männerinnen – aus deren Gespräch ich später entnehme, dass es sich um den Jaga und Holzarbeiter handelt. Was für eine gesunde Reaktion. Ein Fremder ist, das sagt schon der Name, fremd. Er kann also vom Massenmörder bis zum Bombenleger alles sein. Kein Überspielen, kein Bussibussi. Gar nix. Pure Ehrlichkeit ohne dekadenten Mantel. Es ist ziemlich finster hier drinnen. Die Budl (Theke sagen die Deutschen, glaub ich) ist beleuchtet - aus Marketing Gründen, vermute ich - und der Tisch der Männer. Super, wie das schon klingt! „Die Schnitzln san glei ferti“. Man hat messerscharf erkannt, dass ich der Weana bin. Ich bestell mir noch ein Bier und spüre die Blicke der Männer in meinem Rücken. Nach einigen Minuten nimmt man das Gespräch vorsichtig wieder auf. Ich bin sicher, wenn ich zehn Jahre hier leben würde, würde sich die Zeit der peinlichen Stille bestimmt um 50 Prozent verkürzen. Und mehr bräuchte ich gar nicht. Ich wär gerne der Außenseiter in der Hütte am Berg.

Allzu große Nähe mag ich eh nicht. In der Stadt ist es schwierig Außenseiter zu sein. Du kannst dir ein Smiley aufs Skrotum malen und es aus der Bermuda schaukeln lassen – das regt keinen groß auf. Aber ich hab meine Nische gefunden. Bekenne dich zu Ronny und seinem Hit „Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand“, lobe Gabalier und sei in den sozialen Medien nicht links genug – schon bist du aussätzig, dass es schöner nicht mehr geht. Aber halt eher virtuell. Hier geht das face to face; toll!

Die Wirtin kommt mit einem Reindl aus der Küche. Sie hat mir die Schnitzln mit Staniolpapierl zugedeckt, damit sie heiß bleiben. Ich trink mein Bier aus und zahle. „Wos woitsn muagn? Bockhendl?“ „Sehr gut“, sag ich. Ich bedanke mich und wünsch einen schönen Abend. Der Männertisch schaut mich misstrauisch bis finster an „pfiat di“. Super! So gehören Fremde angeschaut. Damit sie erst gar nicht auf die Idee kommen können, dass hier irgendwer auf eingeschleppte Veränderungen steht. „Irgendwaun bleib i daun duat“, fährt es mir durchs Hirn.

Und die Schnitzln duften.

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