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Essen sei der Sex des Alters. So meint der Volksmund. Mir scheint diese Annahme gut belegt zu sein. Ich habe nun eine weitere Theorie entwickelt: Ich behaupte, Arztbesuche und medizinische Behandlungen der „Reiferen“ sind das Äquivalent zu Mutproben, Sinnsuche und Abenteuerlust der Jungen. Früher hätte ich über verwegene Wettfahrten auf den Exelberg berichtet. Ziel war die Dopplerhütte und den Wappler auf seiner RG 500 hab ich mit meiner XT 500 schiach planiert – trotz eklatanter PS Unterlegenheit. Ich hatte am Bremspunkt einfach mehr Herz und größere Eier. Die Sache mit den Eiern ist inzwischen etwas abgeflaut.

Wer braucht die auch, wenn er am Bauch in Unterhosen auf einem weissen Massagetisch liegt.

Ich habe heute als Betreuerin das kleine, graue Wiesel erwischt. Ich nenne die respektlos so – nur für mich allerdings. Sie wird mich diesmal massieren, mich mit Strom behandeln und mir Munari auflegen. Sie redet dabei sehr gerne. Ansatzlos eröffnet sie dabei eine Runde, so als ob wir seit Jahren dieses Thema erörtert hätten. „Ja, ich mag diese klassische Musik ja auch sehr gerne…..“, wirft sie mir von hinten an den Kopf. Ich kann mit so einer Mucke aber gar nix anfangen. Ich will jedoch grad keine Grundsatzdiskussion führen. Das scheint mir im Augenblick nicht so wichtig zu sein. „Sie sollten mal in die homöopathische Apotheke auf der Mariahilferstrasse schauen. Die führen auch Bachblüten und kennen sich mit TCM aus.“ Das ist jetzt blöd. In dem Behandlungsraum gibt es vielleicht zwanzig Kojen. Die sind nur durch Vorhänge voneinander getrennt. Es ist völlig klar, dass die restlichen Patienten grad gesprächsschmarotzen. Die glauben jetzt, ich sei auf der Suche nach der passenden Bachblüte. Ich versteh gar nicht, wie ich in dieses Fahrwasser kommen konnte. Ich mein, ich glaub an diese Sachen etwa so wie an das Horoskop oder Kartenlegen – also nicht sehr. Leider beherrsche ich aber diese „geh-weg-Antworten“ gar nicht. Ich vermute also, dass alle im Raum jetzt sicher sind, dass in Kabine 37 ein Esotheriker mit Rastazöpfchen und Regenbogenunterhose seine, durch den bösen Blick verursachten, Kreuzschmerzen loswerden will. Unbefriedigend das ganze. Ich schäme mich ein bisschen. Allerdings ist das nicht nur schlecht. Es bedeutet, dass ich eigentlich schon viel entspannter in die Situation einklinke. Bis vor kurzem hätte mich diese Fummelei so beschäftigt, dass ich so was nicht mitbekommen hätte. Jetzt ist das anders: Ich bin Django.

Außerdem hat das noch eine Dimension: Ich werde zwar gehört, kann aber auch mithören! In Kabine 35 bewegt sich der Vorhang. Einer oder eine Neue ist angekommen. Mal hören ob das interessant werden könnte. „Grüß Sie“. Aha, die hat den Sanften mit der Schalkrawatte abbekommen. Den kenn ich. Er doziert oft. Hört sich gerne reden. Ein Schwätzer. Die Neue: „Begrüße Sie ebenfalls.“. He, das ist ja die Elfi Eschke (Schauspielerin aus Bremen, so eine Deutsche die ich wirklich gerne mag; im Fernsehen halt.). Also wenigstens klingt sie genau so. „Das ist aber eng hier – hihi.“ Eine Auflage für die Schalkrawatte: „Tja, unsere Kabinen sind für den Durchschnittsmenschen gemacht und der ist exakt 175 cm groß. Sie wissen ja, was kleiner oder größer ist gibt es dann statistisch nicht.“ Elfi: „Hihi“. „Spät sind sie aber dran!“, meint der Schwätzer im Befehlston. Elfi: „Entschuldigung, aber ich musste draußen zehn Minuten anstehen.“ „ Daher sollen Sie ja fünfzehn Minuten vorher da sein!“. Ich bin gespannt wie lange sich das die Eschke bieten lässt. Die Deutschen sind ja da nicht so. Österreicher ja. Das sind eher feige Wadlbeisser und stechen dem die Reifen vom Auto auf. Aber die Deutschen pochen gern mal offen auf ihr Recht. „Was führt Sie zu uns?“, will Schalkrawatte wissen. Aha, er hat die Kurve noch schnell gekriegt. Elfi: „Ich bin wohl zu schnell gewachsen – als Kind mein ich. Und das viele Übergewicht tut sicher auch ein Übriges.“ Inzwischen glühen mir die Ohren. Was muss ich mir da vorstellen? Ich mein, die Kabinen sind nicht groß, aber ich passe mit meinen 177 cm gut rein. Das ist wohl doch nicht die Eschke Elfi. Was ist da los in der Koje? Liegt da ein walgewordner Mensch oder gar ein menschgewordener Wal? Begräbt sie grad den verzweifelt dozierenden Schwätzer unter sich und kichert durch ihr Blasloch: „hihihi“? Wie man sich täuschen kann. Der Klang der Stimme war nicht danach. Die Eschke ist zwar auch keine Elfe aber sie sprengt nicht die Skala.

Das ist hier übrigens zu meinem Hobby geworden. Ich komm da rein, grüße, und werde hinter Vorhängen rückgegrüßt. Ich kenne zunächst nur die Stimmen. Manchmal bekomme ich ein Gesicht dazu. Eine Stimme ist sehr grummelig. Tonlage: Leck mich am Arsch, Trottel. Face to face konnte ich die Stimme einer eher grauen, jüngeren Frau zuordnen. Blond mit einem strengen Zopf, der in Eva Braun-Manier um den Kopf geschlungen ist. Ist das jetzt Blödsinn? Eigentlich keine Ahnung wie Eva Braun ihren Zopf getragen hat. Aber das Nest am Kopf hätte dem Adolf sicher gefallen! Er hätte sie umgerissen, seine Eva.

Es gibt da noch einen Akzent, den ich nicht zuordnen konnte. Tschechisch/Slowakisch kann ich – wegen dem „L“. Türkisch auch, weil mir sofort die Impfstellen aufreißen. Aber das war anders. Die Stimme: „Blädde Tirken. Demonstrieren am Ring. Was wenn alle Leute ihre Probläämm von zaus mitbringen? Ich, meine polnischen Problämme! Blädde Tirken!“ Aha, eine Polin! Wahrscheinlich hager, harte Züge, wasserstoffblond gefärbt und stechender Blick – was bin ich für ein Klischee-Heini. Als ich die dann gesehen hab, war ich ganz weg. Schaut aus wie eine Luchadora (mexikanische Catcherin). Riesig, füllig und dunkel.

Ich frag mich zunehmend, was dem Kern näher kommt. Die Stimme ohne Beiwerk oder das Ganze? Ich tendiere zur Stimme. Die kommt von ganz Drinnen. Da kann man nicht so einfach herumschrauben. Die Person im Ganzen hat viel eher das Potential zur Unredlichkeit: Schau, die Marke der Uhr sagt…; Die Frisur signalisiert, der Mantel legt nahe. Nein, die pure Stimme kommt dem wirklichwirklich wirklichem Wesen näher.

Wenn ich mich nicht gut unterhalten fühle, konzentriere ich mich auf Wesentliches: Ich will ein schönes, vielleicht gar ein ästhetisches, Bild abgeben. Ich spanne während der Massage strategisch meine Muskeln an. Immer die, die grad gut kommen. Ich find das so fürchterlich. Das Personal dort hat den ganzen Tag diese ungustiösen Kadaver vor sich liegen und muss die auch noch angreifen. Bäh, pfui Teufel. Ich überlege oft, für wen das erniedrigender ist. Eine wirklich wichtige, aber auch schwierige Frage!

Mein Papa hat, in ähnlichem Zusammenhang, immer gemeint: „Schau Bua. Wenn der Fritzl dem Hansl die Zunge in den Arsch steckt, dann haben beide eine Zunge im Arsch. Allerdings ist der Hansl relativ besser dran!“ So hat er mir die Relativität näher gebracht. Er war ein Füllhorn an Weisheiten mein Papa! So gesehen wären die verachteten Kadaver in der besseren Position. Ich für mich glaube allerdings es ist beiden gedient wenn man versucht möglichst gustiös rüber zukommen und dem Anderen die ganze Verachterei zu ersparen. Vielleicht spricht aber auch nur der romantisierende Schöngeist aus mir.

Heute hat einer, der gerne sehr weltgewandt wirken wollte gefragt, was denn der Security draußen zu bedeuten hätte (Hab ich mich auch schon gefragt. Der ist etwa 80 Jahre alt und zwergwüchsig. Ich habe ein monty python Projekt vermutet.). Das kleine Wiesel seufzte: „Ja, es wird schlimmer und schlimmer. Es gibt immer mehr kranke Leute. Unsere Damen – die habens eh so schwer – wurden mit dem Messer bedroht!“ Ja, Teufel auch! Was macht man dort mit einem Messer? Eine härtere Massage fordern oder Hochspannung bei der Stromtherapie? „He, Alte. Eine sanfte Massage noch und ich schneid dir die Finger ab. Dann kannst mich mit dem Ellenbogen massieren!“

Ja, so war das heute. Ich vermeide ja Menschen im Allgemeinen. Ich bin deshalb eher naiv bis jungfräulich und leicht zu verblüffen, so im Menschenkontakt. Aber vielleicht ist das ja auch wirklich seltsam gewesen?

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