"Ozzy" 29.04.2010 – 30.06.2019

Ich halte Deine halbvolle Trinkschüssel in der Hand. Ein letztes Mal schütte ich das Wasser weg. Nachgefüllt wird sie nicht mehr. Auf mich warten viele Dinge, die ich ein letztes Mal machen muss. Dein Brustgeschirr mit dem Schriftzug „Hört nix“ und die Rollleine ins Kasterl legen. Die Matratze und Deinen Korb ordnen; verwendet hast Du die Dinge ohnehin kaum. Dein Platz war auf der Couch oder im Bett. Da gab es keine Diskussion, das war einfach so.

Bis heute am frühen Morgen. Um 6:40 Uhr hast Du noch einmal durchgeatmet, ein leichtes Zittern durchlief Deinen Körper. Dann hast Du aufgehört zu atmen.

Gestern ging es Dir noch gut. Den Umständen entsprechend, halt. Ich wusste ja, dass Du todkrank warst. Der Tumor im Darm war riesengroß und nicht zu operieren. Wir kämpften seit der Diagnose um gute Tage. Nur um die könne es gehen, so meinte unser Tierarzt. Fast fünf Wochen hast Du geschafft. Alle sieben Tage waren wir beim Arzt. Der freute sich über Deinen Zustand und gab Dir Deine Injektion. Vorsichtig fragte ich zu Anfang ob nicht vielleicht doch….. mehr als Tage wäre schön. Ein Wunder vielleicht. „Nein, seien wir von Tag zu Tag froh über die schöne Zeit“. Mehr wäre unrealistisch meinte unser Arzt.

Aber Gestern warst Du noch mit mir im Garten. Wir sind nebeneinander gelegen. Wurde es Dir zu heiß, bist Du ins Haus gewandert. Dort war es kühler. So hast Du es ein Leben lang gehalten. Du wusstest sehr genau, was gut für Dich war. Immer wieder hast Du Leckerlis gefordert. Große Portionen konntest Du nicht mehr fressen. Leberwurst oder Streichkäse vom Finger lecken. Das war großartig. Oder einen angerührten Brei. Nur nichts Festes, damit es am zitronengroßen Tumor vorbei kann. Gegen 22 Uhr sind wir ins Bett gegangen. Ungewöhnlich war, dass Frauchens Platz leer blieb. Sie war auf einer Hochzeit eingeladen und ich habe auf Dich und Deine Freunde, den Willi und den Igor geschaut. Du hast Dich neben mich gekuschelt und wird sind eingeschlafen. Gegen Mitternacht kam Frauchen heim. Da hast Du Dich gefreut und noch mal Fressi gefordert.

Dann war Ruhe im Bett. Etwa um 2 Uhr weckte mich meine Frau: „Der Ozzy hat im Garten erbrochen und ist umgefallen. Er ist zu schwach um wieder aufzustehen.“ Ich springe aus dem Bett, den Schwindel ignoriere ich, und laufe zu Dir. Du liegst auf dem Bauch in der Wiese und kommst selbst nicht mehr auf die Beine. Ich schnappe Dich wie ein Baby, drücke Dich an meine Brust und lege Deinen schwachen Körper ins Bett. Ich hoffe, dass Du Dich wieder erfängst. Bis in der Früh kannst Du wieder zu Kräften kommen. Aber, tief in mir weiß ich, dass es so nicht kommen wird. Ich kenne Dich.

Du bist unruhig drehst Dich, lässt Dich aus dem Bett fallen und legst Dich auf das kühle Laminat des Vorzimmers. Ich schaue immer wieder wie es Dir geht. Du liegst dort und atmest eigentlich ruhig. Etwa um vier Uhr wurdest Du unruhig. Du übergabst Dich und ich umfing mit den Händen Deinen Bauch um Dich aufrecht zu halten. Es geht Dir jetzt nicht mehr gut. Ich habe Dir versprochen, Dich nicht leiden zu lassen. Und mein Tierarzt hat wiederum mir versprochen, wenn es dann soweit ist, zu uns zu kommen. Damit Du in Deiner geliebten Umgebung die Augen schließen kannst. Aber heute ist Sonntag. Da ist nur ein Notdienst in der Praxis erreichbar. Aber noch hoffe ich. Ich leg Dich auf Deine kleine Matratze, Frauchen setzt sich zu Dir und ich werd noch mit dem Willi eine Runde in den Wald gehen. Zuvor aber hocke ich mich neben Dich, streichle Dein weiches Fell und drücke meine Lippen an Deine Wange. Später aber, muss ich eine Entscheidung treffen.

Bei der Jubiläumswarte steigt Willi lustlos aus dem Auto. Er ist gewöhnt, dass Du dabei bist. Wir gehen den Weg, aber alles ist falsch. Willi merkt, dass ich nicht wirklich dabei bin. Ich habe solche Angst. Mit jedem Schritt rückt der Moment näher, den ich seit Wochen so fürchte. Wenn ich die Nummer des Arztes wähle, ist die Entscheidung gefallen. Es geht Dir dann so schlecht, dass es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Es schnürt mir den Hals zu und mein Inneres fühlt sich wund an. Auf der Kreuzeichenwiese angekommen machen wir kehrt. Wir gehen zum Auto zurück. Langsam. Ich schiebe eine Entscheidung hinaus. Dann sind wird da und ich helfe Willi in den Wagen. Ich starte den Motor. Mein Magen rebelliert und auf meine Schultern drückt eine unglaublich schwere Last. Das ist wieder so eine Situation – ich hatte davon schon einige – die nicht zu überstehen ist. „Ich bin nicht halb der Mann der ich sein müsste“ heißt es in einem Lied. So fühle ich mich. Aber Du warst immer mein Freund. Treu und liebevoll. Und einfach, das warst Du auch. Eine englische Bulldogge, die den Arzt neun Jahre lang eigentlich nur für die fälligen Impfungen brauchte. War Dir mal übel, hast Du einen Tag nichts gefressen; dann hatte sich das wieder. Du hast auch keine „Erziehungsarbeit“ gefordert. Du warst irgendwie „fertig“. Von klein auf schon. Du warst ruhig und gelassen, ich nervös und unruhig. Erzogen hast eher Du mich. Und deswegen werd ich jetzt aus mir rausholen, was drinnen ist. Ich bin Dir das einfach schuldig. Wenn es Dir noch immer schlecht geht, werde ich dieses Telefonat führen. Ich biege in unsere Gasse ein. Mein Handy klingelt, es ist meine Frau: „Der Ozzy ist gerade gestorben. Er hat noch einmal tief durchgeatmet und dann die Augen geschlossen.“

Es tut so weh. Ich schaffe es den Wagen in die Einfahrt rollen zu lassen, helfe dem Willi beim Aussteigen und öffne die Gartentüre. Ich hänge Willis Leine und Halsband im Stiegenhaus zu Deinen Dingen. Dann trete ich in die Wohnung und sehe Dich im Wohnzimmer. Du bist zugedeckt und siehst aus, als ob Du schläfst. Ich knie mich neben Dich, drücke meinen Kopf in Dein Fell und meine Tränen laufen über meine Wangen auf die Deinen.

Im Garten ist neben dem Pierro, Deinem alten Kumpel, ein Platz frei. Im Frühling habe ich dort den wilden Strauch ausgegraben. Da warst Du noch gesund, wenigstens wussten wir nichts von dem schrecklichen Geschwür in Deinem Körper. Und trotzdem war ich damals sehr wehmütig. Ich hatte eine Ahnung, dass ich diesen Platz bald brauchen würde.

Ich habe dort ein Loch gegraben. Nach etwa einem halben Meter, stieß ich auf eine Decke. In ihr waren einige hellbraune Knochen eingeschlagen. Katzenknochen. Wir hatten einige Katzen seit ich ein Kind war. Und immer wenn eine gestorben ist, tat das fürchterlich weh. Trotzdem kann ich jetzt nicht mehr sagen, wessen Gebeine hier vor mir liegen. „Moritz“, „Mädi“, „Katzi“? Irgendwann wurden die vielen Traurigkeiten zu einer, und dann zu einer warmen, schönen Erinnerung. Ich lege die Knochen bei Seite und grabe tiefer. Dann bette ich sie wieder in die Erde. Du liegst einstweilen auf unserem Gartentisch. Wir haben zwei Tuchentbezüge hergerichtet. Einer liegt schon unter Dir. Meine Frau und ich sitzen neben Dir und graulen Dich. Lange. Wir wollen damit nicht aufhören. Auch das ist ein letztes Mal. Ich spüre die Kälte in Deinem Körper. Du bist vor über zwei Stunden gestorben aber ich will Dich nicht in die Grube legen. Inzwischen sind auch mein Bruder, Mein Onkel und meine Cousine gekommen, um sich von Dir zu verabschieden. Ich küsse noch einmal Dein Fell und lege Dich in die Erde. Dann breite ich die andere Decke über Dich. Ganz vorsichtig. Ich will nicht, dass die Erde Deinen Körper direkt bedeckt. Dann wische ich mit den Händen Erde von dem Haufen in Dein Grab. Kurz sehe ich noch die bunte Decke, dann ist sie verschwunden.

Ozzy, Du hast mir sogar bei Deinem Sterben geholfen. Du hast es mir so leicht wie möglich gemacht. Ich musste die Entscheidung für Dich nicht treffen. Und trotzdem bin ich am Ende meiner Kräfte. Schlafe gut mein treuer Freund. Ich hoffe so auf diesen Regenbogen, über den so oft geschrieben wird. Ich wünsche mir, dass an seinem Ende Dein Kumpel Pierro auf Dich wartet. Und vielleicht hat er den schwarzen Bären, den Balu, dabei. Den hast Du ja nicht mehr gekannt. Und wenn es bei mir einmal an der Zeit sein wird, dann hoffe ich glauben zu können, dass ich auf dem Weg zu Euch bin. Und dann wird alles leicht sein.

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