Jedes Jahr um diese Zeit denke ich an meinen Freund "Pierro". Er ist 2014, kurz vor Weihnachten, gestorben. Ich habe damals seine Geschichte aufgeschrieben. Hier ist sie:

"Fast eine Weihnachtsgeschichte.

Am 6.7.2009 starb mein Freund Balu mit 12 Jahren. Neufundländer werden selten so alt. Er fehlte mir schrecklich. Nie wieder wollte ich einen anderen Hund. Ich warf alles, was einen Hundehaushalt ausmacht, weg.

Bald aber mischte sich der Schmerz mit der Sehnsucht nach einem Wesen, das auf diese besondere Weise bedingungslos liebt, wie es nur Hunde tun. Mein Alter litt im Sommer immer sehr. Das dichte Fell passte nicht so recht in unser Klima. Als er gebrechlich wurde, war sein Gewicht oft ein Problem. Ich überlegte: Kurzes Fell, etwas handlicher, kein Kläffer, eher eine gesunde Rasse, freundlich da ich oft Besuch bekomme und der Hund immer dabei sein sollte. Da gab es doch den Hund, den meine Tante hatte. „Aldo“ war sein Name und er war ein weißer Bullterrier. Dieses ganz spezielle Aussehen, eher wie ein Lämmchen als ein Hund, hat mir schon immer gefallen. Ich kaufte also „das große Bullterrierbuch“ und suchte jede Information die zu bekommen war. Das war er. Ich fand damals bei einem recht erfolgreichen Züchter (allerdings nicht in Österreich) einen Wurf, der mir sehr gefiel. Sein Papa hatte gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Mir war das nicht so wichtig. Mir ging es darum, wie die Hunde gehalten werden, daher besuchte ich den Züchter. Es war alles so, wie es sein sollte. Wir konnten es kaum erwarten bis wir Pierro mit 8 Wochen abholen durften. Dann war es aber endlich so weit. Eine Hand voll Hündchen, weiß mit Tigermonokel auf dem linken Auge. Er war ein Wirbelwind. Oft wirklich fordernd. Das war ich von meinem alten Neufundländer nicht gewöhnt. Auch andere Erfahrungen musste ich machen.

Die Reaktion vieler Menschen war nicht so, wie ich es erwartet hätte: "Lieb, aber so hässlich." Ich fand ihn nur wunderschön. Als er größer wurde, waren die Anfeindungen deutlicher zu spüren. Manche Nachbarn hatten Angst um ihre Kinder, weil da so ein Kampfhund lebt. Eine gesunde Sozialisation ist wirklich schwierig, wenn selbst Hundebesitzer ihre Tiere mit dem halbwüchsigen Zwergerl nicht spielen lassen wollen. Es gab natürlich auch andere und mit denen trafen wir uns dann. Später kam diese unerträgliche Listenhundedebatte im Vorfeld der Wiener Wahl auf. Man merkte, wie Menschen verhetzt wurden. Ich suchte die Diskussion bei Spaziergängen, in Onlineforen, und mit den politischen Entscheidungsträgern. Es gab ja genügend Argumentationsmaterial um zu belegen, dass diese Rasse keinerlei gesteigertes Aggressionsverhalten gegenüber Menschen zeigt (Hannover, Tierärztliche Hochschule usw. – man kennt das ja). Wir besuchten mit dem Kleinen natürlich die Hundeschule. Der Wiener Hundeführschein war selbstverständlich kein Problem. Als Pierro erwachsen wurde, musste er jedoch plötzlich, als einziger in der Gruppe, bei den Freilaufeinheiten einen Maulkorb tragen. „Man kann bei DIESEN Rassen nie wissen.“ Ich hatte nicht damit gerechnet sogar in der Hundeschule auf dieses uninformierte Ressentiment zu treffen. Ich nahm meinen Freund und verließ den Kurs. Damit er ausreichend sozialen Kontakt hat, nahmen wir einen zweiten Hund dazu. Der sollte eher gemütlich sein, sozusagen als Ausgleich für den quirligen Bulli. Es kam eine Englische Bulldogge dazu. Was ich da wieder hörte: “zu dem Bullterrier kann man keinen anderen Rüden nehmen. Das funktioniert nie.“

Selbstverständlich funktionierte das. Mein Sensibelchen Pierro ordnete sich der Bulldogge einfach unter. Sie waren die besten Freunde…. Bis zum 5.12.2014. Pierro war seit einigen Tagen krank. Er fraß nicht, war matt und erbrach sich oft. Unsere Tierärztin stellte Fieber fest und gab ihm Antibiotika. Leider ohne Erfolg. Er bekam bei den nächsten Besuchen Infusionen, sein Zustand wurde aber immer schlechter. Er ließ alles so geduldig über sich ergehen und vergrub, während ihm ein Venenzugang gelegt wurde, seine kranke Schnauze in der Achselhöhle der Ärztin. Ich lag 3 Stunden neben ihm und hoffte, dass diese Infusion helfen würde. Leider nein. Freitag wurde ich zu einem Röntgenologen geschickt. Da musste ich ihn schon tragen. Er hatte 4 Kilo abgenommen und wog nur mehr 28 kg. Auch dieser Arzt konnte nichts Genaues feststellen, hielt aber einen Fremdkörper im Bauchraum für möglich. Ich fuhr sofort weiter zur VETMED. Dort stellten hochkompetente Ärzte per Ultraschall einige Fremdkörper im Magen und im Dünndarm fest. Pierro, der furchtbare Schmerzen gehabt haben muss, ließ jeden Nadelstich, jeden Druck auf seinen Bauch, jede Umlagerung und alles Andere geduldig über sich ergehen. Er schleckte mich ab als mir die Tränen über das Gesicht geronnen sind. Auch die Ärzte liebkoste er ganz sanft. Dort bekam er die Zuneigung, die ihm von einer feindlichen Welt so oft verweigert wurde: “gerade die Bullis sind immer ganz besonders lieb“. Ich war am Ende meiner Kräfte und er unsagbar tapfer. Man tröstete mich. Eine Not-Op sei zwar unumgänglich, wäre aber eher Routine. Die Fremdkörper werden entfernt, der Darm vielleicht gekürzt und in einer Woche ist er wieder zu Hause. Ich schob ihn auf einem Transportwagen bis zum OP. Dort durfte ich nicht hinein. Ich drückte ihn ein letztes Mal an mich. Dann schloss sich langsam die Türe und er schaute mir traurig nach. Ich wartete bis ich das konnte, setzte mich ins Auto und fuhr nach Hause. Dort wartete schon die ganze Familie auf Nachricht von unserem „Dicken“. Ich beruhigte alle. Bald hätten wir unseren Pierro wieder. Nach etwa einer halben Stunde läutete das Telefon. Ich hielt den Atem an. Es meldete sich der Chirurg und sagte, er habe eine traurige Nachricht. Der Dünndarm wäre genau wo die Bauchspeicheldrüse und die Gallenblase in den Darm münden komplett zerstört. Genau dort, wo nichts zu reparieren sei. Pierro verstarb am Abend des 5.12.2014 auf dem OP-Tisch.

Ich holte ihn am 6.12. in der Früh nach Hause. Ich streichelte ein letztes Mal seine weiche Schnauze, seine Ohren und drückte seine kalten Pfoten. All das was mir so vertraut war. Dann grub ich im Garten, den er so geliebt hatte, sein Grab. Der Regen mischte sich mit meinen Tränen. Ich wickelte ihn in eine weiche Decke und schaufelte Erde auf meinen Hund, meinen besten Freund, auf unser geliebtes Familienmitglied. Aus der Wohnung holte ich eine der Kerzen, die anzeigen sollte, dass bald Weihnachten kommt. Sie brennt jetzt auf seinem Grab. Wenn ich am Abend aus dem Fenster schaue, kann ich sie sehen. Weihnachten wird es aber dieses Jahr für mich nicht werden."

Inzwischen wird es für mich wieder Weihnachten. Ich werde aber, wie jedes Jahr, in den Garten gehen, mich zu seinem Grab stellen und ihm sagen, dass ich ihn nicht vergessen habe.

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