Einleitende Anmerkung: Mein Ich-Erzähler wurde in einer Zeit sprachlich sozialisiert, in der der Begriff „Schwuchtel“ nicht zwingen mit der sexuellen Ausrichtung des Angesprochenen korrelierte. Der Terminus beschrieb eher einen nachgiebigen Charakter, der von physischer Auseinandersetzung wenig hielt und keine Begabung für Ballsportarten vorweisen konnte.
Kapitel 1 von 1
Ich liege in einem Spitalsbett. Mein Blinddarm wurde entfernt. Ich fühl mich nicht nur so, ich bin wehrlos. Ein unangenehmer Zustand. Wer in einer Ottakringer Hauptschule rechnen und schreiben gelernt hat, dem wurde schnell klar, dass es da noch was anderes gibt. Etwas, das dir ganz unmittelbar hilft. Mehr als das Wissen um den dritten oder vierten Fall: Die Fähigkeit sich zu verteidigen. Oder etwa anderen seine Überzeugungen nahe bringen zu können; auch mit den Händen. Das war nicht immer angenehm. Wolltest Du Deine Position in diesem Rattenkäfig nicht verlieren, musstest du wachsam sein. Im Zweifel zuerst zuschlagen. Keine Frage: Eine sehr rudimentäre Form der Konfliktbereinigung. Eine ganz besondere Verschärfung erfuhr die Situation durch Mitschüler aus der Türkei und aus der Region Ohridsee. Meist mit geschätztem Geburtsdatum. Das bedeutete meist Vollbart in der ersten Haupt und eine Gewaltbereitschaft die, selbst uns Vorstadtkindern, fremd war.
Es hat mich über die folgenden Jahre gefreut zu sehen, dass das Austeilen von Ohrfeigen unmodern wurde. Es wurde stattdessen geredet oder, wenn man kein großer Redner war, wurden Intrigen hinter dem Rücken des Widersachers geschmiedet. Ich hatte den Eindruck, dass mit der neuen Entwicklung nicht der Grad an Arschlochizität in der Welt abnahm, sondern sich die Zahl derer, die es sich Leisten konnten ein Arschloch zu sein, erhöht hat. Es konnten plötzlich die Schwachen, aber auch die Mädls mitmischen. Würde drohend eine Maulschelle in der Luft hängen, wär das wohl anders gewesen. Ich bin mir nie ganz sicher gewesen wie ich das finden soll. Mehr Leute die dringen ungut sein müssen, aber dafür eine fairere Verteilung der Möglichkeiten. Eigentlich ein zutiefst demokratischer Vorgang. Demokratie ist gut, also wird auch das gut gewesen sein. Als meine Tochter in die Schule kam beobachtete ich genau, ob sie vielleicht Opfer diverser Bösartigkeiten werden würde. Um ehrlich zu sein, wandelte ich an ihrem ersten Schultag an der Speibgrenze, so quälten mich die Sorgen, dass jemand zu meiner Prinzessin böse sein könnte. Dem war nicht so. Nicht in der Schule am Wiener Stadtrand in einer sehr teuren Gegend. Ich hatte vor der Einschulung mit einem meiner ehemaligen Lehrer gesprochen um zu ergründen, ob eine Schule entlang der Thaliastrasse in Frage kommen könnte. „Wir sind reine Verwahranstallten. Fast 100 Prozent unintegrierte Ausländer. Ganz selten ein österreichisches Kind mit problematischem Umfeld. Nur nicht!“ Aber nicht in der freundlichen Schule meiner Tochter. Die Lehrer waren überwiegend nett zu den Kindern; und die wiederum waren freundlich zueinander. Meistens jedenfalls. Auch die Burschen untereinander. Da wurde keiner in den Mistkübel geworfen und angespuckt. Das war eine schöne Entwicklung. Wenn sich zwei lauter anredeten, brauchte die Lehrkraft eine Supervision. Mir wurde immer klarer, was wir damals für Rattler waren. Da war was Besseres auf Schiene. Ich habe aber dem Frieden nie so richtig getraut. Ich begann mit 16 kraftzusporteln. Im Studio 74 auf der Wilhelminenstrasse. Eine illustre Runde. Männer wie Würfel, die im Brotberuf das Stoßspiel bewachten und ja: Auch Damen. Glitzerleggin in rosa, das Haar wasserstoffblond. Die haben zwar nicht trainiert aber sie standen dekorativ an der Bar und tranken Shakes. Mein Ziel war es auch so bald wie möglich ein Würfel zu sein.
In der Zeit in der meine Tochter in die freundliche Schule ging, war das schon nicht mehr besonders angesagt. Man wusste: Die Würfel haben ein kleines Zumpferl oder sind primitiv womöglich auch Komplexler. Wahrscheinlich alles zusammen oder zumindest eines davon. Aber was sollte ich tun? Ich hatte ein Männerbild, das durchaus nicht bei „Bauch-Bein-Po“ mitmachen und wie ein Latinorocker ausschauen wollte. Nein: Würfel war angesagt.
Ich stand zwar immer auch soweit daneben, dass ich wusste, dass man das durchaus kritisieren kann. Klar, man kann auch drüber lachen. Damit das nicht mehr passieren kann, ließ ich mir einen Wikinger tätowieren. Aber ich schweife ab. Viel wichtiger: Es war nahe liegend, dass das Spiel nur dann auf die Schwuchtelart gespielt werden kann, wenn Konsens darüber besteht, dass das viele wollen. Alle wäre hoch gegriffen. Diese „nette“ Art zu leben, stößt dort an ihre Grenzen, wo große Gruppen das Spiel ganz anders spielen wollen. Solche die dich in die Eier treten und mit Kot bewerfen. Und die haben wir uns in den Pelz gesetzt. Nicht erst seit 2015 sondern seit Jahrzehnten. In den letzten Jahren verschärfen wir nur die Situation. Die Anschläge, die im Wochentakt passieren, machen es denen, die nicht sehen wollen zusehends schwer das Problem zu leugnen. Auch die Gewalt auf der Strasse ging nicht von einheimischen Prolos sondern fremden Barbaren aus. Man fühlte sich zusehends stark genug, Territorium abzustecken. Wenn jemand nicht sein Revier verteidigt, sondern mit dem rosanen Klapprad zu „Bauch-Bein-Po“ unterwegs ist, dann kam man den verdrängen. Man kann auch seiner Frau in den Schritt greifen. So die Überzeugung der barbarischen Horden.
„Lalalala“ es klingelt (ich hab Winnetou als Klingelton). Es ist mein kleiner Bruder. Er macht sich Sorgen um mich und meinen Blinddarm. Eigentlich ist es mein Job mir Sorgen zu machen. Ich weiss zwar, dass er ein austrainierter Riese ist, der fast den Sandsack aus der Verankerung reißt wenn er durchzieht. Wir trainieren gemeinsam: Gwichtschupfen und Boxen. Wenn er mich am Kopf trifft klingelts ganz schön. „Mir geht’s wieder ganz gut“ sag ich. Er ist beruhigt und versorgt mich mit Neuigkeiten aus Wien. Ein stark Pigmentierter ist auf der Strasse auf ihn losgegangen. Wie kann einer so deppat sein. Er lacht: „Ich hab ihm drei in die Pfeiffn ghaut, da hat er sich hinter einem Auto versteckt. Stell Dir vor er hat aber sofort ein Handy rausgerissen. Zum Glück ist gleich ein Einheimischer zu mir gekommen, hat mir sein Karterl gegeben und gesagt dass er mir als Zeuge geht, sollte was kommen. Der dürfte sich gefreut haben, dass sich mal einer wehrt.“
Die sind so überzeugt, dass sie es ausschließlich mit wehrlosen Schwuchtln zu tun haben, dass sie auch auf einen 95 kg Riesen losgehen.
Wenn in Hamburg einer auf Leute einsticht, les ich auf FB 500 Kommentare was dem passiert wäre, wenn man nur selber anwesend gewesen wäre. Auf einem Video ist aber zu sehen, dass nicht ein Deutscher sich dem Mörder entgegenstellt.
Leute, ihr müsst aufhören schwuchtelig zu sein! Ich weiß, ihr habt gelernt, dass körperliche Auseinandersetzung pfuigacki ist. Ja, ist so. Aber die, die grad kommen sehen das ganz anders. Wenn wir (wieder) unter uns sind, können wir gerne wieder lieb sein. Lieb bis zur Verblödung. Aber jetzt müsst ihr was tun. Jetzt raunzen schon viele Frauen – ich les das immer öfter – was ihr für Wappler seid. Schon klar, sie haben Euch seit 30 Jahren zu welchen gemacht. Haben so getan als ob es ein bösartiger Urmann gewesen wäre, der Euch in die Lage versetz hat Eure Familie zu verteidigen. Als ob es nicht menschheitsgeschichtlich wichtig gewesen wäre, dass Männer die Birne hinhalten. Ihr habt ja Recht, sie haben Euch das eingeredet. Ihr seid an Eurer Wehrlosigkeit nicht schuld. Aber was hilfts. Jetzt muss was geschehen. Wollt Ihr dass sich ein Schwarzkopf neben Eurem Kind den Eumel reibt. Ganz ungeniert weil er sicher ist, dass Ihr eh wehrlos seid? Nein? Ein Tipp: Mit Boxen geht das sehr schnell. Ihr verliert die Scheu vor körperlicher Auseinandersetzung. Und wenn Ihr die Hüfte mitnehmt hört der Schlag auf ein Schmetterlingsbusserl zu sein.
Ende Kapitel 1
Man wird bemerkt haben, dass mein Erzähler ein primitiver, gewaltaffiner Vorstädter ist. Mit seiner Haltung wandelt er zumindest knapp an der Grenze zur Hetzerei und sollte dem Herrn Maas nicht unterkommen. Ich distanziere mich von seinen dümmlichen Ansichten!