Deutschland auch nicht!
Déjà-vu?
Ja, ich habe diesen Beitrag schon mal veröffentlicht, leider wurde er unter "jetztich" verschoben. Vielleicht klappt es ja diesmal.
Was dann?
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 21: 1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.
Ich will mich hier keineswegs auf eine Diskussion mit Verfassungsrechtlern einlassen, auch habe ich keine Lust, lang und breit über die historische, philosophische, linguistische oder sonstige Bedeutung von Worten zu streiten. Aber ich stelle hier eine These auf:
Deutschland ist keine Demokratie.
(Und das trifft auf praktisch alle Länder dieser Erde zu, wenn auch z.T. aus anderen Gründen.)
Riskieren wir einen Blick zurück. Die Idee der Demokratie, der Volksherrschaft, haben die europäischen Gesellschaften den alten Griechen abgeschaut.
Freie Männer einer freien Stadt versammelten sich im antiken Griechenland auf der Agora und trafen im Meinungsstreit, aber gemeinsam, Entscheidungen für ihr Gemeinwesen.
Aus heutiger Sicht eine Demokratie?
Mit Nichten! Frauen, zugezogene Fremde, Unfreie, Sklaven, Bauern der Umgebung hatten alle kein Recht zur öffentlichen Meinungsäußerung an diesem Ort und kein Recht zur Entscheidung.
Eine Herrschaft von Wenigen also. Griechisch: Oligarchie. Auch wenn die Griechen damit eine Herrschaftsform meinten, die auch die meisten freien Männer der Stadt von Meinungsbildung und Entscheidung ausschloß. Das würde man heute eher als Diktatur bezeichnen.
Ist Deutschland eine Oligarchie?
Herrschaft von Wenigen. Wer herrscht in diesem Land?
Unter Marxisten und Kapitalismuskritikern gibt es diese These: Es regieren die Parteien, es herrscht aber das Kapital. Schauen wir auf die Macht bestimmter Lobbygruppen (Autoindustrie in Deutschland: Dieselgipfel!) haben diese Leute gar nicht so unrecht. Das ist es aber nicht, worauf ich hier hinaus will. Politik wird letztendlich doch von Politikern gemacht. Diese können sich Lobbyisten widersetzen, diese können tatsächlich Gesetze und Verordnungen erlassen, wenn sie es wollen.
Politik wird von Politikern, aber nicht für das 'Volk' gemacht.
Politiker sind aber nur die Wenigen. In einem Land mit -zig Millionen Einwohnern ist die Agora auch nicht mehr möglich. Die Lösung muß ganz oft die "Repräsentative Demokratie" sein, sonst würde es nicht funktionieren. Wobei ich definitiv für Volksentscheide auf allen Ebenen bin! Die wirklich interessante Frage ist doch aber: Was hat ein 'Politiker' mit dem 'Volk' zu tun, welches er ja repräsentativ vertreten soll? Nichts! Zumindest fast nichts. Wenn dem aber so ist, welche Motivation hat ein Politiker, Politik für das 'Volk', also für Mehrheiten zu machen, was ja Sinn und Zweck einer Demokratie sein sollte?
Vor Monaten hat in einem Radiointerview im Deutschlandfunk ein Politiker, ich weiß nicht mehr, welcher Politiker, auf die Frage nach der Politikverdrossenheit der Bevölkerung sinngemäß empfohlen, die Leute sollten aufhören, ihren Mangel an politischen Einflußmöglichkeiten zu beklagen, vielmehr sollten sie, um ihrem demokratischen Recht auf Mitwirkung nachkommen zu können, einer politischen Partei beitreten. Dort könnten sie dann an den politischen Prozessen mitwirken.
Bürger sollen über Parteien Politik machen.
Haben Sie es schon einmal versucht, einer politischen Partei beizutreten und dann Einfluß auf die politische Willensbildung dieser Partei zu nehmen? Ich schon, zweimal. Ich reden natürlich nicht vom ersten Abend, aber so vielleicht nach ein, zwei Jahren? Haben Sie es schon einmal versucht, in einem überschaubaren Zeitrahmen eine politisch einigermaßen bedeutsame Position einzunehmen? Natürlich gibt es diese Fälle, wo bekannte Menschen aus Industrie oder Wissenschaft einen solchen Sprung gewagt und geschafft haben. Aber ein ganz normaler Bürger wie ich oder Sie? Ohne die Ochsentour über Jugendorganisationen, Gewerkschaften, Kommunalpolitik usw. über Jahre und Jahrzehnte treuer und uneigennütziger Dienste erreichen Sie da gar nicht. Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als brav jeden Dienst zu verrichten, jedem Wichtigeren zu dienen, still Ihre Netzwerke zu knüpfen, bis von ihrer ursprünglichen politischen Meinung auch nicht mehr das Geringste vorhanden ist. Es gibt diese hübsche Geschichte über den amerikanischen Präsidentschafts-Wahlkampf, die besagt, daß, wen es einer bis ins Weiße Haus geschafft hat, er sich moralisch für dieses Amt total disqualifiziert hat. Ich denke, das trifft auf Deutschland und Österreich genauso zu.
Gibt es einen Ausweg?
Sicher sollte nicht jeder Depp, der die Hand hebt und „hier, ich!“ ruft, politische Verantwortung bekommen. Dennoch sollte es fast jedem Bürger mit einem vertretbaren Aufwand auch ohne die frühzeitige Entscheidung zur Berufspolitiker-Karriere möglich sein, gemäß seinen Begabungen politische Entscheidungen auf allen Ebenen mitzugestalten. Aber wie? Wenn wir zu der These zurückkehren, daß wir es hier in Mitteleuropa mit Oligarchien zu tun haben, dann müssen zuerst die Oligarchen entmachtet werden. Bleibt wahrscheinlich nur eine Revolution, denn freiwillig werden die ihre Posten nicht räumen. Oder?
Vielleicht gelingt es ja doch über den Parlamentarismus?
Bei den meisten richtigen Revolutionen, d.h., bei denen auch tatsächlich die politischen Eliten zeitweise oder dauerhaft ausgetauscht wurden, floß Blut, sehr viel Blut, und meist das Blut der Falschen. Siehe Jacobiner, siehe Sowiet-Rußland. Und zum Schluß war fast immer alles viel schlechter. Wie wäre es also, wenn man (!) es erst einmal damit versuchen würde, die Regeln des parlamentarischen Systems zu ändern? Indem man (! - ja wer eigentlich kann das durchsetzten?), endlich die politischen Erbfürstentümer auflöst und die Macht dem 'Volke' zurückgibt. Eine tolle und abgedroschene Phrase, ich weiß!
Welche Maßnahmen könnten aber tatsächlich helfen?
Ich zähle hier mal ein paar Dinge auf, die ich für durchführbar halte, ohne daß das System seine Funktionalität einbüßen müßte: (kein Anspruch auf Vollständigkeit, eher als Anregung gedacht)
Schaffen wir (!) den Beruf des Politikers ab!
Der Typus des Berufspolitikers scheint mir eines der größten Hindernisse auf dem Weg erfolgreicher Demokratisierung zu sein. Befristen wir alle Wahlämter und Mandate auf maximal 2 Legislaturperioden. Verhindern wir Kettenmandate und -ämter, indem zwischen zwei Ämtern oder / und Mandaten immer eine angemessene (mindestens 2 Legislaturperioden?) Zeit verstreichen muß, bevor sich die Bürger (ja, die Bürger, nicht die Politiker!) wieder bewerben dürfen. Jeder müsste also auch ganz normal sein Geld verdienen und sich den Niederungen des einfachen Lebens aussetzten können. (Über Details, wie der Unterstützung bei der Arbeitsaufnahme, falls man keine Rechtsanwaltskanzlei besitzt, kann ja geredet werden.)
Beenden wir die Praxis der Listenaufstellung!
Jeder Bürger sollte sich grundsätzlich für jedes Mandat und jedes Wahlamt gleichberechtigt bewerben dürfen! Die jetzige Praxis, bei der unabhängige Kandidaten oft hunderte, wenn nicht gar tausende Unterstützer brauchen, um überhaupt zur Wahl antreten zu dürfen, während Bürger auf Parteilisten das nicht müssen, erscheint mir als eine unzulässige Bevorzugung der Parteien. Obendrein entscheiden die Parteien noch über die Reihenfolge der Platzvergabe auf diesen Listen, so daß kein Wähler bei Abgabe der Zweitstimme frei darüber entscheiden kann, wen er wählt. Die Wahl wurde vor der Wahl bereits für ihn getroffen, von den führenden Gremien der Parteien, also von den Oligarchen selbst! Kein Parteimitglied, welches sich seine Chancen für eine Wahl vermasseln möchte, sollte sich also allzu individuell geben und den Parteigremien zu unabhängig erscheinen!
Passen wir (! - wer sind wir? Siehe oben!) die Bezahlung der Teilzeitpolitiker neu an!
Sicher, für einen einfachen Arbeiter, Angestellten oder kleinen Selbständigen sollte das Risiko eines solchen befristeten Engagements in der Politik schon entlohnt werden, wer weiß, ob eine politische Betätigung nicht auch negativ für die weiter Karriere sein kann, insbesondere, wenn man nicht mit dem Mainstream schwimmt. Aber alle „Besserverdienenden“, vor allem die mit der gesicherten finanziellen Zukunft, brauchen den heutigen finanziellen Anreiz nicht. Ganz Besonders sollte man mal über die seltsame Praxis der „Ruhestandbezüge“ nachdenken. Auch das würde die Zusammensetzung der Parlamente und Regierungen auf allen Ebenen, deutlich verändern können. (Den Hinweis auf eine erhöhte Anfälligkeit für Korruption finde ich nicht besonders überzeugend, gierige Menschen bleiben in der Regel auch gierig, wenn man ihnen ein wirklich fürstliches legales Gehalt bietet.)
Machen wir auch Politiker für ihre Handlungen verantwortlich!
Beenden wir die Straflosigkeit! Natürlich kann nicht jeder Politiker für Entscheidungen, die andere nicht verstehen, deren Ziele andere nicht teilen, straf- oder zivilrechtlich haftbar gemacht werde. Aber grobes Fehlverhalten, insbesondere, wenn es nachweislich der eigenen Person oder einer wie auch immer verbundenen Minorität nützt, aber das Gemeinwesen oder die Majorität schädigt, sollte, wenn schon nicht strafrechtlich, so doch wenigstens im begrenzten Umfang zivilrechtlich Konsequenzen nach sich ziehen. (Ich weiß, das ist heikel, weil es natürlich auch Mißbrauch Tür und Tor öffnen kann!)
Die Frage, ob eine Demokratie (wie ich sie hier zu skizzieren versuche) wirklich die bessere Herrschaftsform wäre, diskutiere ich hier an dieser Stelle bewußt nicht. Ich setze es einfach voraus, was natürlich ein Fehler sei kann