Der Wählerwille ist ein Schlagwort, das man heute oft von FPÖ-Anhängern vernimmt, meist deshalb weil er vermeintlich von der Politik ignoriert wird. Van der Bellen würde sich sogar erdreisten H.C. Strache nicht als Kanzler anzugeloben. Die Demokratie scheint in Gefahr.
Ich halte den Wählerwillen für einen generellen und grundlegenden Irrtum. Die Motive für eine bestimmte Partei zu stimmen oder nicht für sie zu stimmen sind vielfältig, d.h. sogar unter den Wählern einer einzelnen Partei gibt es keinen in sich geschlossenen Wählerwillen. Dass wir bei einer Nationalratswahl gar keine Parteien, sondern Wahllisten wählen und ganz besonders keine Regierung, sondern wie das Wort schon sagt: "Nationalrat" ist keine Spitzfindigkeit, sondern eine ernst gemeinte Konstruktion unserer Demokratie, verankert in der Verfassung.
Es gibt keine Kanzlerwahl
Die Regierungsbildung wird vom Bundespräsidenten beauftragt und er ist in dieser Entscheidung völlig frei. Es ist in Österreich nur üblich, dass der BP den Listenführer der stärksten Fraktion im Nationalrat damit beauftragt. Eine Regierung muss notwendiger Weise nicht einmal über eine Mehrheit im Parlament verfügen. Auch in der Vergangenheit gab es schon Minderheitsregierungen. Das diese nicht lange überleben liegt in der Natur der Sache, aber ist sicherlich nicht undemokratisch.
Die missverstandene Demokratie
Demokratie wird vielfach Missverstanden als Instrument um die Wünsche der Mehrheit durchzusetzen. Das ist jedoch grundsätzlich ein Irrtum. Eine solches Demokratieverständnis führt unweigerlich zu Zuständen wie in Ägypten nach dem "Frühling". Minderheiten werden marginalisiert, ignoriert und an den Rand gedrängt, die Macht der Mehrheit zementiert. Ähnlich besorgnis Erregende Tendenzen gibt es auch in Ungarn oder Polen. Das Wesen der europäischen Demokratie ist in erster Linie eine Machtbeschränkung der Herrschenden und fusst auf drei Säulen: Gewaltenteilung, zeitliche Begrenzung von Herrschaftsfunktionen und Schutz von politischen Minderheiten vor der Mehrheit.
Genau das ist der Grund für die Staatskonstruktion in unserer Verfassung. Die Bundesregierung gehört zur Exekutive während der Nationalrat teil der Legislative ist. Die österreichische Praxis, dass das Parlament beschließt, was der Ministerrat zuvor schon beschlossen hat ist im Grunde genommen ein Verfassungsbruch. Diesen haben die Vertreter aller Fraktionen im Parlament zu verantworten, die auch die Ausübung des freien Mandates unterbinden. Das österreichische Listenwahlrecht - wer kanditieren darf entscheiden die Parteien - ist hier ein nicht unwesentlicher Verantwortlicher dafür.
Bundespräsident und Wählerwille
Gerade deshalb ist das Amt des Bundespräsidenten ein wichtiges. Es muss nur richtig verstanden werden. Der BP kann und muss jedes Gesetz auf das verfassungskonforme Zustande kommen (formal) und auf die materielle Verfassungswidrigkeit prüfen und muss solchen Gesetzen seine Unterschrift verweigern. Es ist leider nicht gelebte Praxis, wäre aber vielfach notwendig.
Sollte Van der Bellen, falls er zum BP gewählt wird, H.C. Strache nicht mit der Regierungsbildung beauftragen, so ist das kein Ignorieren des Wählerwillens aus zwei Gründen: Erstens steht der Kanzler in Österreich nicht zur Wahl und zweitens ist der Bundespräsident demokratisch gewählt und von der Verfassung legitimiert zu dieser Handlung. Und in diesem Fall hat er sich vor einer eventuellen Wahl auch ganz klar positioniert. Wer VdB wählt entscheidet damit auch gegen H.C.S. als Kanzler. Wenn also VdB Präsident werden sollte, wovon man wohl nicht ausgehen kann, hat der Wähler eine Entscheidung getroffen. Die kann man mögen oder nicht. So ist Demokratie.