Nüchtern betrachtet, trinke ich ganz schön viel Alkohol. BÄM! Das ist mal eine Aussage. Wenn ich mir diese Woche anschaue, stelle ich mit Erschrecken fest, dass ich an jedem verdammten Tag Alkohol trinken werde. Mit Glück kann ich den Donnerstag Alkoholfrei gestalten, aber ansonsten? Der Weihnachtszeit geschuldet, gibt es allein im Büro an drei Tagen dieser Woche Glühwein. Dazu ein Bier-Abend in der Lieblingsbar, der Magic Friday mit meinem Lieblingsbarkeeper, die obligatorische Samstagsparty. Da bleibt nicht viel Raum für Saft. Warum ich nicht einfach Alkoholfrei trinke? Weil ich den Zustand des leicht beschwippst seins sehr genieße. Es ist der Moment, an dem die ein oder andere Barriere fällt und ich einfach tue, wonach mir ist. Auch meine Mitmenschen sind lockerer, es wird mehr gelacht und einfach der Alltagstrott vergessen. Alkohol ist eine Zuflucht. Noch vor 2 Jahren, als ich fest in meiner Beziehung steckte, trank ich sehr selten. Da war mir schon ein Glas Sekt zu viel. Ich habe es einfach nicht gebraucht. Partys konnte ich im Jahr an einer Hand abzählen. Mit meinem Ex gab es sowieso auch trotz Alkohol, nicht mehr zu lachen. Ich habe einfach keinen Mehrwert darin gesehen etwas zu trinken. Schlagartig änderte sich dies, als ich mich unbewusst von meinem Ex löste. Ich konnte nicht genug bekommen, musste mich betäuben. Vielleicht ist es das, was Singles oft im Alkohol suchen: Betäubung.

Alkohol begünstigt sehr das Sozialleben. Wie viele Bekannte und mittlerweile sogar Freunde habe ich an feucht fröhlichen Abenden gefunden? So einige! Noch vor einem Jahr waren wir eher unbekannte Gesichter in unserer Stammbar. Jetzt können wir uns sicher sein, dass wir nach Betreten erst einmal einige Minuten mit dem Begrüßen der anderen Gäste beschäftigt sein werden. So eine Stammbar kann wie eine kleine Familie sein. Der Lieblingsbarkeeper kennt die Vorlieben und hat geschwind den Lieblingscocktail gemixt. Es ist eine Last die abfällt, wenn ich meine Stammbar betrete. Dann bin ich nicht mehr die einsame, sondern die selbstbewusste und beliebte Jule. Einen Ruf, so wie wir ihn haben, muss man sich erst erarbeiten. Uns hat es viele Katertage und Kopfschmerzen gekostet. Hätte das auch ohne Alkohol funktioniert? Nein! Ohne die richtigen Getränke, hätten wir nie spontan eine Tanzfläche in der Bar eröffnet. Wir hätten nie die anderen Pub-Nasen kennengelernt, die uns ins Nachtleben der Stadt integrierten.

Wie sehr sich Partyabende doch von der Realität abheben, bemerke ich meistens an einem Katersonntag. Zu gewohnt ist der Ablauf. Um 7 Uhr morgens stochern wir mit dem Schlüssel am Schlüsselloch der Haustür herum. Sobald sich die Tür hinter uns schließt, ändert sich die Stimmung. Den Spaß und die Ausgelassenheit haben wir draußen gelassen, neben uns nur die Einsamkeit und der üble Geschmack eines Mix aus Gin, Bier, Wodka, Zigaretten. Ich erinnere mich an einen Sonntagmorgen, an dem ich genau an diesem Punkt die Kontrolle verlor. Die Tür fiel ins Schloss, ich konnte mich nicht mehr bewegen. Nach einem tiefen Atemzug sank ich mit dem Rücken an die Tür gedrückt auf den Boden des Flurs. Tränen konnte ich nicht mehr zurückhalten. Wie ein Wasserfall kam alle Trauer und alles Leid aus meinem Körper, ohne dass ich eine Kontrolle darüber hatte. In meiner Hilflosigkeit versuchte ich meinen besten Freund zu erreichen. Ein Psychologe im Freundeskreis, ist manchmal Gold wert. Er wusste sofort was zu tun war: „Jule, du musst aufstehen. Stell dir vor ich nehme deine Hand und ziehe dich hoch. Du schaffst das!“. Es brauchte einige Zeit, bis ich in der Lage war, seinen Anweisungen zu folgen. Selten habe ich mich so schwach und kaputt gefühlt, wie an diesem Abend. Offizielle Diagnose: Nervenzusammenbruch.

Nach diesem Erlebnis habe ich versucht so eine Situation zu vermeiden. Einfach nicht mehr allein nach Hause gehen, empfand ich als die sinnvollste Lösung. Das klappte natürlich! Nach ein paar Drinks lässt sich doch öfter mal jemand dazu bewegen, mich heim zu bringen. Verdrängung könnte man das nennen. Es war die 1. Hilfe, die sicherlich zu Beginn sinnvoll war. Dadurch habe ich mir wohl das Selbstbewusstsein erarbeitet, welches mich jetzt auch allein Heim trägt. Ich bezweifle, dass ich solche Emotionen ohne Alkohol je gehabt hätte. Ich hätte allerdings auch nie erkannt, was da in mir los ist. Zu stark ist meine innere Mauer, die solche Gefühle nicht nach außen dringen lässt. Seitdem ich mir bewusst bin, was da in mir schlummert, geht es mir besser.

Kennt ihr das Gefühl, eine Party bis zum Schluss mitmachen zu müssen? Ich habe es in der letzten Zeit sehr gut kennengelernt. Früher war ich zufrieden, wenn ich 3 Uhr Nachts ins Bett fiel. Heute kommt da nur ein Gedanke: „Wir könnten etwas verpassen!“. Wir könnten den wunderschönen Mann verpassen, der uns bis jetzt noch nicht aufgefallen war. Wir könnten das Eskalieren von anderen Menschen verpassen. Wir könnten unser Eskalieren verpassen. Wenn wir es sind, die die letzten Jacken an der Garderobe abholen, können wir uns sicher sein, dass wir alles zu erlebende erlebt haben. Wir können uns sicher sein, alles gegeben zu haben. So verbringen wir gerne mal 10h in Clubs, die uns im Rausch wie gerade einmal 2h vorkommen. Nach diesen Partys gehört es neuerdings zum Standard, sich Sonntagabend noch einmal zur Auswertung zu treffen. Wir ergänzen Erinnerungen, um aus den 2h Erinnerung wenigstens die Geschehnisse von 4h zuzuordnen. Ich habe sozusagen schon mehr vergessen, als andere auf Partys je erleben werden ;)

So schnell werde ich wohl nicht von meinem Alkohol/Partymodus los kommen. Noch bringt es mir zu viel Freude und zu viel spannende Erlebnisse. Jedoch werde ich kleine Schritte machen: Auf der Weihnachtsfeier heute Abend gibt es 2 Gläser Wein für die Stimmung und dann wird nur noch beobachtet. Ich werde sie mir anschauen, die Partybiester. Und ich werde es genießen, mal nicht die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Dafür ist am Magic Friday wieder genug Zeit ;)

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julbing

julbing bewertete diesen Eintrag 15.12.2015 20:18:32

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