Am 14. Oktober kam es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen neuen Rechten und einer linken Gegendemonstration auf der Frankfurter Buchmesse. Geplant waren eine Diskussion und die Buchvorstellung „Mit Linken leben“ – ein Buch, das beim rechtskonservativen Antaios-Verlag erschien. Geladene Gäste waren unter anderem Bernd Höcke und Martin Sellner (Identitären-Chef). Im Publikum: Bekannte Neonazis wie Maximilian Reich.
Verschiedene Journalisten berichteten später unabhängig voneinander von scharfer Zurechtweisung durch die Podiumsteilnehmenden sowie durch privat engagierte Sicherheitskräfte. Stadtabgeordneter Nico Wehnemann wurde von einer Sicherheitskraft überwältigt, zu Boden geworfen und verletzt. Die Polizei Frankfurt stand nach Augenzeugenberichten teilnahmslos daneben und war der Situation offenbar nicht gewachsen. Wenig später wurde die Veranstaltung vom Geschäftsführer der Frankfurter Buchmesse für beendet erklärt. Die Polizei trennte die sich gegenüberstehenden Gruppen. Teilnehmende und Zeugen sprechen von „Sieg Heil“-Schreien, skandierten „Jeder hasst die Antifa“-Rufen und einem Beschimpfen des Messechefs als „Heuchler“ und „Lügner“. Verleger Kubitschek beschuldigte die Frankfurter Messe, die Meinungsfreiheit des Antaios-Verlags nicht zu schützen.
Was sich für einige der Augenzeugen angefühlt haben muss wie eine NPD-Demo kurz vor der Eskalation, fand in einem eigentlich geschützten Rahmen statt – mitten auf der Frankfurter Buchmesse. Kurz nach den Ereignissen wurden Forderungen nach einer offiziellen Stellungnahme der Messeleitung laut. Diese reagierte – und hinterließ mich wie viele andere ratlos.
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Das, was die Buchmesse in diesem offiziellen Statement erklärt, klingt im ersten Augenblick nicht einmal schlecht. Von „offenem Dialog“ ist dort die Rede, von „Ablehnung und Verurteilung jeder Form von Gewalt“. Im Kontext der Ereignisse aber wirkt diese Erklärung mehr als schal, und die dahinter stehende Entwicklung ist beängstigend:
Der Antaios Verlag vertreibt Bücher wie „Finis Germania“, „Die Sprache der BRD. 131 Unwörter und ihre politische Bedeutung“, und das neue, auf der Buchmesse vorgestellte „Mit Linken leben“, das vom Verlag selbst mit diesem Zitat auf der Website vorgestellt wird:
„Wer schon immer wissen wollte, warum rechts richtig ist und links wrong, weshalb Linke lügen und heucheln und warum man dumme Fragen lieber unbeantwortet läßt oder mit einer noch dümmeren Frage kontert – hier kommt der Wegweiser.“ Der kürzlich verstorbene Autor von „Finis Germania“ war bekannt dafür, den Holocaust zu relativieren – es habe im 20. Jahrhundert so entsetzlich viele schlimme Straftaten gegeben, und immerhin sei es Hitler gelungen, dem jüdischen und dem deutschen Volk eine einmalige Sonderrolle zuzuweisen, heißt es in seinem letzten Buch paraphrasiert. Jüdische Menschen werden Hitler für diese Sonderrolle sicher danken.
Sind diese Werke, ist die Veranstaltung, die auf der Buchmesse stattfand, von der Meinungsfreiheit abgedeckt? Abgesehen von den „Sieg-Heil“-Rufen vermutlich. Aber so einfach darf man es sich in diesem Fall nicht machen, denn der Ausrichter ist die Frankfurter Buchmesse und nicht der demokratische Staat Deutschland. Der Ausrichter ist eine private Organisation. Es besteht für ihn keinerlei Verpflichtung, das gesamte Spektrum an politischen Haltungen abzudecken. Es besteht auch keine Veranlassung, auf einer internationalen Veranstaltung eine Diskussion zuzulassen, die sich Begriffen wie „Migrantengewürm“ bedient. Einen bekannten Neonazi zu hofieren, während ein verletzter Gegendemonstrant des Hauses verwiesen wird und Messeverbot erhält – all das bleibt in höchstem Maße erklärungswürdig. Die Buchmesse hat sich geschadet und lässt haufenweise wichtige Fragen unbeantwortet. Wie auch die nächste:
Das Gedankengut des Antaios-Verlags widerspricht der offenen, pluralistischen Gesellschaft. Kubitschek und seine Autorinnen und Autoren suchen keine Diskussionsplattform mit dem anderen politischen Lager. Ihre Bücher sind keine Diskursangebote. Sie sind eine Doktrin. Eine vergangenheitsverherrlichende, mit Überfremdungsangst beladene, mit Führerbunkermelancholie gewürzte Doktrin. Sie setzen sich in Szene als die eine Stimme, die in Deutschland von allen zum Schweigen gebracht werden soll – obwohl das, wie gerade zu sehen ist, schlicht nicht passiert, eher im Gegenteil. Sie verstehen ihren völkischen Blödsinn als das Neue, Revolutionäre, das die Deutschen retten wird – und alles, was sich ihnen in den Weg stellt, zählt für sie zum Antifaschismus, der zerschlagen werden muss. Diese Menschen wollen keinen Diskurs, sie wollen eine möglichst große, medienwirksame Inszenierung. Und diesen Gefallen hat die Buchmesse ihnen getan.
Nichts an den Worten und politischen Haltungen dieser neuen Rechten lässt auf Diskussion oder auf Inklusion Andersdenkender schließen. Das Buchprogramm des Verlags ist ein faschistisches Manifest, das sich des exakt gleichen Wordings bedient wie Hitler, Stalin und neuerdings Trump. Wenn das die Zukunft Deutschlands ist, steht dahinter das Beenden der Vielfalt, das Abschaffen der Meinungs- und Pressefreiheit, und in einem letzten, uns aus der Geschichte gut bekannten Schritt das Verschwinden von jeglicher Kritik an dieser Bewegung. Aktuell geht die Erinnerung an den Krieg und den Holocaust von der gelebten Erinnerung über in die tradierte. Was unsere Generation weiß, haben wir größtenteils aus Büchern, unabhängiger Berichterstattung und gelegentlichen Augenzeugenberichten aus den eigenen Familien. Wissen, das wir bewahren und weitergeben. Wichtige Erfahrungen der Kriegsgenerationen, die auf keinen Fall verloren gehen dürfen. Aufgeschriebenes Wissen, das wir feiern, das wir schützen. Auch und gerade auf der Frankfurter Buchmesse. Eine neue Rechte und Neonazis, die sich in eine Tradition einschreiben, die alle kritischen Bücher verbrannt hat? Die alles ausgemerzt hat, was nicht ins Weltbild passte? Wie kann es, darf es sein, dass genau diesen Menschen dort ein Podium geboten wird?
Gefühlt räumen die Medien einer Strömung, die sich jüngst in 13% AfD-Stimmen niedergeschlagen hat, 50% des medialen Raumes ein. Mit diesem Artikel reihe ich mich ein und bin mir der Ironie meines Tuns bewusst. Ein in seinem Auftreten fast schon rührend lächerlicher Verlag erhält eine Bühne, und alle springen auf die gebotene Darbietung schockiert an und schreiben lange Artikel ins Internet. Sollte man das Tun dieser Menschen nicht weiter einfach ignorieren? Ihnen nicht noch eine Konfrontation bescheren, nach der sie sich erneut als die „Aufrechten“, die „Unterdrückten“ gegenseitig feiern können?
Ja und Nein. Denn wir können die Ereignisse auch nicht einfach wegignorieren.
Ich bin für Dialog – und zwar dort, wo es die erklärte Absicht gibt, ihn zu führen. Ich bin gegen Ausgrenzung – und zwar dort, wo das der kleinste gemeinsame Nenner ist, auf den man sich einigen kann. Beides ist bei den geplanten und (halb-)durchgeführten Veranstaltungen nicht der Fall gewesen. Und genau das macht die Haltung der Frankfurter Buchmesse zu den gestrigen Vorfällen so unverständlich. Hier wurden Menschen geschützt, die sich auf das Meinungsfreiheitsrecht beziehen, obwohl es das erste sein wird, das sie abschaffen, sobald sie in der Mehrheit sind. Das kann und darf einfach nicht sein.