Der „weise König“? (Teil 5 von Als Al Kaida nach Europa kam: Das Vermächtnis der Izetbegovićs)

Sie lesen Teil 5 einer Artikelserie in neun Teilen die erklärt, warum die Kritik an Saïda Keller-Messahli und dem österreichischen Integrationsfonds unberechtigt ist.

In der Broschüre „Perspektiven Integration zum Thema Islam europäischer Prägung“ herausgegeben vom österreichischen Integrationsfonds findet sich ab Seite 143 der Text "Islam auf dem Balkan – ein historischer Überblick bis hin zur Gegenwart" von Saïda Keller-Messahli.

An dem Text wurde Ende Januar / Anfang Februar 2018 harsche Kritik geübt.

Sie kam von Seiten bosniakischer Politiker und Auslandsvertreter, wie sie Adelheid Wölfl im Standard übernimmt und dokumentiert.

Ebenso übten sich Andreas Ernst in der Neuen Zürcher Zeitung, und Dr. Florian Bieber von der Uni Graz, wie der Tagesanzeiger berichtet auf Twitter, als Kopf einer Gruppe von Balkanexperten in einem offenen Brief und im Rahmen eines Interviews auf dem Portal „IslamiQ“ in heftigen Verrissen des Textes und der Person Keller-Messahlis.

Einem Leser, der sich zum ersten Mal mit der Materie konfrontiert sieht, erscheint die Kritik, zumal teilweise von namhaften Experten geübt, zunächst plausibel. Bei näherer Betrachtung erweist sie sich allerdings als absolut unberechtigt.

Stets werden Keller-Messahli Verkürzungen, falsche Kategorisierungen, Verantwortungslosigkeit, Übertreibung des arabischen Einflusses in Bosnien, Subjektivität und falsche Tatsachendarstellung gemäß einer weltanschaulichen Agenda vorgeworfen.

Was jedoch angeführt wird, um Keller-Messahli zu widerlegen, entpuppt sich als Sammelsurium von Behauptungen, die ihrerseits schlichtweg nicht haltbar sind.

Gerade der Vorwurf falscher, historischer Tatsachendarstellung gemäß einer weltanschaulichen Agenda wird immer wieder zum veritablen Boomerang für die Kritiker der Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam.

Bieber stellt gegenüber IslamiQ fest: „Alija Izetbegović hat sich sicherlich für eine stärkere Rolle des Islams in Jugoslawien eingesetzt. Ich würde ihn aber nicht als „Islamisten“ bezeichnen. Aus dem einfachen Grund, dass er zunächst einmal sich immer für einen säkularen Staat in Bosnien und Herzegowina eingesetzt hat und nicht für die Prägung des Staates durch die Religion oder des Islams.“

Wölfl hält Izetbegović diesbezüglich unter Verweis auf den Wiener Kommunikationsberater Nedad Memić zugute, dass er als Unterzeichner des Daytoner Friedensabkommens nicht die Absicht gehabt haben könne, Bosnien in eine islamische Theokratie zu verwandeln.

Wie Bogdanich in Bezug auf die Ausweisung der Mudschaheddin feststellt, garantiert eine Unterschrift alleine noch lange keine Umsetzung (siehe Teil 4).

Bieber wirft Keller-Messahli im Interview mit IslamiQ vor, sie verweise bei ihrer Beschreibung der osmanischen Herrschaft auf dem Balkan lediglich auf den kroatischen Schriftsteller Matija Mazuranic und gebe nur dessen persönliche Meinung wieder.

Nichts anderes tut er jedoch selbst, und das nicht nur an dieser Stelle. Allein schon durch die Formulierung „Ich würde ihn aber“ wird dies überdeutlich erkennbar.

Auch führt Wölfl nur die persönliche Meinung Nedad Memićs an.

Was sie als Begründung für die Kategorisierung Alija Izetbegovićs heranziehen, ist eine, gerade unter Balkanexperten im deutschsprachigen gängige Sichtweise, die jedoch dringend korrigiert werden müsste.

Wie bereits erwähnt, kreidet Bieber der Romanistin die Synonymverwendung der Begriffe „Türke“ und „Osmane“ an (siehe Teil 2).

U.a. sei dies eine „generelle westliche Sichtweise auf den Balkan, die oftmals undifferenziert ausfallen kann.“

Einem Hinweis darauf, in welchem Punkt der Einordnung des ersten bosnischen Präsidenten er aber eine „generelle westliche Sichtweise auf den Balkan, die oftmals undifferenziert ausfallen kann“ vertreten könnte, liefert die Rezeption der Schriften Izetbegovićs bei Anhängern des türkischen AKP-Regimes.

So widmete etwa die AKP-freundliche Tageszeitung „Gap Gündemi“ aus der südtürkischen Stadt Şanlıurfa im Sommer 2017 Alija Izetbegovićs Aufsatz „Muslime und Israel“ einen Artikel, aus dem eine Lösung für den Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinenser hergeleitet wird, und der als exemplarisch angesehen werden kann.

Bosniens erster Präsident stellt darin, einigermaßen pathetisch und historisch sehr fragwürdig, Israel als einen intoleranten und expansionistischen Gegenpol zum mittelalterlichen Emirat Cordoba dar.

Nicht weniger pathetisch ist die Herangehensweise von Osman Gülebak, Journalist und Autor des Artikels.

Rhetorisch stellenweise dürftig als Appel an ein friedliches multireligiöses Zusammenleben ausgeschmückt, wird gleichzeitig immer wieder betont, dass ein solches nur unter islamischer Herrschaft möglich sei.

Bereits in der Überschrift schwärmt der Autor von Izetbegović als einem „weisen König“, ein Beiname der unter Anhängern des AKP-Regimes sehr geläufig für ihn ist.

Der Autor lobt die Ansicht, Israel würde sich durch seine Politik selbst zum „Ghetto im Zentrum der islamischen Welt“ machen, und es sei eine massive, wachsende und fremdartige Materie, die den Widerstand der indigenen Bevölkerung provoziert hätte.

Folgendes Zitat schreibt Gülebak Izetbegović zu. Es fasst die untergeordnete Rolle anderer Religionen in der, dem osmanischen Rechtssystem ähnlichen, Izetbegovićschen Staatstheorie kompakt zusammen. Ihrer bloßen Existenz gegenüber wird Akzeptanz eingeräumt, jedoch nur bei gleichzeitiger Verneinung der Toleranz:

„İslâm'ın Yahudilik ve Hıristiyanlığa karşı olan tutumu hoşgörü üzerine değil, tanıma üzerinedir. İslâm Yahudilik ve Hıristiyanlığı tolere etmez, onları tanır.“

„Bei der Einstellung des Islam gegenüber dem Judentum und Christentum geht nicht um Toleranz, sondern um Anerkennung. Der Islam toleriert Judentum und Christentum nicht, er erkennt sie an.“

Public Domain: Das Ouda Restaurant in der nordisraelischen Stadt Akkon begrüßt seine Gäste in arabischer, hebräischer und lateinischer Schrift - Ein Beispiel für sprachliche und kulturelle Gleichberec https://www.publicdomainpictures.net/pictures/240000/velka/multi-lingual-sign-israel.jpg

Es gibt noch endlos viele weitere Beispiele für die zeitgenössische Darstellung und Rezeption Izetbegovićs im Sinne eines pathetisch inszenierten, neoosmanischen Nationalislamismus.

Auf dem Fernsehsender Ülke TV konnte die türkische Fernsehnation 2010 live miterleben, wie ein Kommandant der bosnischen Armee beim Anblick von alten Aufnahmen in Tränen ausbricht, die den ehemaligen bosnischen Präsidenten beim Truppenbesuch zeigen, als er seine Soldaten mit „Salam alaikum“ begrüßt und auf den Tekbir- / Takbir- Gruß einschwört.

Das staatliche Fernsehen TRT widmete ihm seit dem 30. Januar anlässlich seines 14. Todestages eine sechsteilige TV-Serie, deren letzte Folge am 6. März 2018 ausgestrahlt wurde.

Wer eine Folge verpasste, wurde am nächsten Tag in der Presse über den Inhalt informiert. Große, landesweit erscheinende Zeitungen wie die Hürriyet fassten die Handlung zusammen.

Ganz im Sinne der AKP-Doktrin Ankaras wird eine Geschichte von Bedrohungen erzählt, die durch den Kampf einer göttlich auserwählten Religionsgemeinschaft und Nation besiegt werden.

Ein offizielles Plakat zur Produktion der Sancak Medya ziert folgendes Zitat: „Die allmächtige Kraft liegt bei Allah, sodass wir niemals zu Sklaven zu werden“.

Mehrere türkische Medien berufen sich bei ihrer Syrienberichterstattung und der damit verbundenen Legitimation und Verherrlichung des völkerrechtswidrigen Angriffs auf die kurdische Enklave Afrin immer wieder auf Züheyr Salim, den offiziellen Sprecher der syrischen Muslimbruderschaft. Dieser wiederum rechtfertigte jüngst seine Forderung nach einer Ausweitung der türkischen Militäroffensive in den syrischen Kurdengebieten mit einem Zitat Izetbegovićs, wie Timeturk berichtet.

Unter Berücksichtigung auf das Wirken und die zeitgenössische Rezeption Izetbegovićs in der Türkei nicht von Islamismus und Fundamentalismus zu sprechen, ist nicht nachvollziehbar.

Den eigentlichen westlichen Fehler begehen Keller-Messahlis Kritiker und nicht sie selbst.

Er liegt darin, in Bezug auf den ersten bosnischen Präsidenten und seine Partei stets das Multikulturelle und Multireligiöse zu betonen.

Dabei wird vollkommen außer Acht gelassen, dass diese Formen des Zusammenlebens nur dann akzeptiert, nicht einmal toleriert, werden, wenn dem Islam und seinen Anhängern eine privilegierte Rolle zukommt.

Es liegt das Modell eines Kastensystems vor, das rechtliche und gesellschaftliche Stellung nach religiöser Zugehörigkeit ordnet.

Mit der Vorstellung der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ist es inkompatibel.

Wenn ein Protagonist der jüngeren Geschichte, für sein Lebenswerk von den Befürwortern eines nationalislamistisch geführten Staates als Held bzw. „weiser König“ verehrt wird, darf man ihn getrost als Islamisten kategorisieren.

Die undifferenzierte, generelle, westliche Sichtweise liegt vielmehr darin es nicht zu tun.

Quellen

- „Perspektiven Integration zum Thema Islam europäischer Prägung“ 02/2017 herausgegeben von Österreichischer Integrationsfonds (ÖIF) – Fonds zur Integration von Flüchtlingen und Migrant/innen

- Wölf, Adelheid: Bosniakische Sorgen über Islam-Publikation in Österreich, erschienen in Der Standard vom 30. Januar 2018

- Ernst, Andreas: Saida Keller-Messahli verirrt sich in der Geschichte des Balkans, erschienen in Neue Zürcher Zeitung vom 5. Februar 2018

- De Carli, Luca: Die Islamkritikerin und ihr umstrittener Balkantext, erschienen im Tagsanzeiger, 31. Januar 2018

- Ayari, Esra / Prof. Dr. Bieber, Florian: ISLAM-PUBLIKATION DES ÖIF „Jeder würde auf bessere Quellen stoßen“, erschienen auf islamiq.de, 10. Februar 2018

- Gülebak, Osman: BİLGE KRAL ALİYA VE FİLİSİTN MESELESİ-2, erschienen in GAP Gündemi, 18. August 2017

- „ALİYANIN TEKBİR ORDUSU, Ağlayan Komutan“, TV-Ausschnitt eines Beitrags des Senders „Ülke TV“, hochgeladen auf dem Youtube-Kanal des Users „delilyas“, 21.03.2010

- Aliya İzzetbegoviç’in hayatını anlatan Alija dizisi final yaptı, erschienen in Hürriyet, 7. März 2018

- Özcan, Mustafa: Cerrah titizliğiyle, erschienen auf Timeturk, 22. März 2018

- Filmplakat für den Sechsteiler „Alija“, ausgestrahlt auf TRT 1 zwischen dem 30. Januar und dem 6. März 2018

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