„Erdoğan benimmt sich wie ein Hitler des Mittleren Ostens.“
„Frankreich ist eines der am schlimmsten vom Terrorismus gebeutelten Länder. Deswegen muss es den Kurden gegen die verantwortlichen Terrororganisationen helfen.“
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Das sagte Faysal Sarıyıldız, Abgeordneter der Partei HDP aus der Stadt Şırnak, gegenüber der südfranzösischen Zeitung „La Marseillaise“.
Léo Purguette interviewte den kurdischen Politiker, als dieser während seines Aufenthalts in Marseille die Redaktion der Zeitung besuchte.
Das fertige Interview erschien am Montag, den 31. Oktober, also bereits drei Tage vor der Verhaftung seiner Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ.
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Sarıyıldız zeigte sich alarmiert über die Lage in der Türkei. Ebenso drückte er seine Dankbarkeit dafür aus, dass gerade eine, von Widerständlern (Résistance) gegen die NS-Besatzung gegründete, Zeitung ihm die Möglichkeit gibt, darüber zu sprechen. Erdoğan sei schließlich ein „Hitler des Mittleren Ostens“. Ähnlich wie Hitler 1933 den Reichstagsbrand, würde der türkische Präsident heute einen Staatsstreich dazu nutzen, sein Land in eine Diktatur zu verwandeln, wo grundlegende Menschenrechte verleugnet werden. Erdoğan spräche von sich selbst als „gottgesandt“ und versuche die türkische Bevölkerung unter dem Banner des sunnitischen Islam und mit dem Schüren von Ressentiments gegen Minderheiten hinter sich zu versammeln. Mit einem Federstrich habe er 11.500 kurdische Lehrer des Amtes enthoben, ebenso wie Dutzende gewählte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die unmittelbar danach eingesperrt und schließlich durch Verwalter aus Erdoğans Partei AKP ersetzt wurden. Auch Gültan Kışanak und Fırat Anlı, Ko-Bürgermeister von Diyarbakır (kurdisch: Amed, armenisch: Tigranakert nach dem Stadtgründer), der größten kurdischen Stadt in der Türkei, fielen Ende vergangenen Monats dieser Politik durch gewaltsame Festnahmen zum Opfer.
Faysal Sarıyıldız wurde von der Bevölkerung aus Şırnak (kurdisch: Sirnex) nahe der syrischen und irakischen Grenze für seine Partei in das türkische Parlament gewählt.
Auf die Situation in der gleichnamigen Provinzhauptstadt angesprochen, sagte Sarıyıldız, die Stadt sei 250 Tage am Stück immer wieder von der türkischen Armee angegriffen und vollkommen dem Erdboden gleich gemacht worden. Ein Dutzend kurdischer Städte teile dieses traurige Schicksal. Sie seien regelrecht von der Landkarte radiert worden. Das Regime Erdoğans und seiner Partei AKP habe sich durch die Angriffe der Vertreibung von einer Million Menschen schuldig gemacht. Nachbarstädte Şırnaks wie Silopi oder Cizre seien zu 60% bis 70% zerstört. In Cizre seien, das bestätigt auch der Menschenrechtsverein IHD, 150 Menschen in den Kellern der Stadt, wo sie sich vor Bombardements und Artillerie versteckt hatten, bei lebendigem Leib verbrannt.
Auch die Pressefreiheit habe Erdoğan im Visier. Journalisten wurden inhaftiert, Zeitungen und Fernsehsender geschlossen. Wie weit der Arm der Zensur durch das AKP-Regime nach Europa hinein reicht, habe sich gezeigt als Eutelsat auf eine bloße, formlose Anfrage Ankaras die kurdischen Sender „Med Nuçe TV“ und „Newroz TV“ abschaltete. Laut Faysal Sarıyıldız fürchte Erdoğan ein breites Publikwerden seiner verbrecherischen Handlungen, wohlwissend dass ihm das Schicksal eines Saddam Hussein oder Slobodan Milošević bevorstehen könnte.
Sarıyıldız befindet sich seit fünf Monaten in Europa. Wie allen Abgeordneten der HDP, wurde auch ihm die Immunität entzogen. Er muss befürchten, dass er im Moment seiner Wiedereinreise in die Türkei sofort festgenommen wird. Angst davor habe er nicht. Bereits in Vergangenheit habe er Haftstrafen verbüßen müssen, weil er für Ideen der Gleichheit und Demokratie eingetreten sei. Jetzt sei es aber an der Zeit die Menschen in Europa über die Vorgänge in der Türkei zu informieren, und ihnen die Rechtmäßigkeit des Wirkens seiner Partei zu erklären.
Die HDP gilt als Partei der Kurden, tritt aber in der ganzen Türkei an. Folgerichtig fragt Léo Purguette den Abgeordneten aus Şırnak, inwiefern sich seine Partei auch an die nicht-kurdische Bevölkerung richten würde. Für Sarıyıldız steht fest, dass die Botschaft seiner Partei klar sei. Sie stehe für Moderne, Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit, Umweltschutz und die Gleichheit der Geschlechter. Dies seien Grundsätze, die schließlich alle Teile der Bevölkerung etwas angingen, egal ob Türken, Kurden, Armenier, aramäischsprachige Christen, Rum (ionische und pontische Griechen), Juden, Lazen, etc.
Je mehr seine Partei an Einfluss gewonnen habe, desto mehr würde sie von ihren Kontrahenten durch „Barbarei“ bekämpft.
Auf die türkischen Luftwaffeneinsätze in Syrien angesprochen, betont Faysal Sarıyıldız zunächst dass die Kämpferinnen und Kämpfer der kurdischen YPG / YPJ auf derselben Seite wie die Europäer stünden. Schließlich gilt ihr Kampf den „Barbaren“ des IS, Al Nusras und anderer ähnlicher Gruppierungen. Dennoch seien sie das Hauptziel der türkischen Luftangriffe. Bereits zahlreiche kurdische Zivilisten seien ihnen zum Opfer gefallen, z.B. in der Stadt Afrin (kurdisch: Efrîn). Dem AKP-Regime ginge es in erster Linie darum die Fortschritte der kurdischen Demokratiebewegung in Rojava (Westkurdistan / Nordsyrien) und ihrer militärischen Einheiten zu stoppen. Der türkische Präsident halte sich für einen „osmanischen Messias“, der die türkischen Grenzen bis nach Mosul und Kirkuk im Irak erweitern wolle.
Abschließend erkundigt sich der Journalist aus Marseille, was Frankreich tun könne, um zu einem Ausweg zu verhelfen.
Sarıyıldız sagt dazu, als eines der Länder, die am schlimmsten von Terrorismus heimgesucht wurden, müsse Frankreich den Kurden helfen, weil sie die jene Terroristen und Fundamentalisten bekämpfen, deren Organisationen für die Anschläge in Paris, Nizza und Saint-Étienne-du-Rouvray verantwortlich sind. Des Weiteren müsse mit jenen gebrochen werden, die die Strukturen des Terrors „nähren“. Als Pionier in Sachen Menschenrechte, müsse sich im Élysée-Palast hierzu klar positionieren und den eigenen Einfluss geltend machen. Die Solidarität, die dem Mann aus Şırnak seitens französischer Bürgerinnen und Bürger während seines Aufenthalts zu Teil wurde, müsse auch in der Politik ankommen.
Im Rahmen des Besuchs des HDP-Abgeordneten in Südfrankreichs Hafenmetropole zeigte die Redaktion der „La Marseillaise“ am vergangenen Donnerstag außerdem den Film „PRESS“ (2010) des Regisseurs Sedat Yılmaz. Der Film erzählt die Geschichte der ersten, in kurdischer Sprache herausgegebenen, Zeitung der Türkei und ihrem Kampf gegen systematische Einschüchterung und Menschenrechtsverletzungen.