Seit dem 12. Juli eskalieren die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan. Seitdem droht täglich ein Krieg zwischen den beiden Ländern auszubrechen. In diesem Konflikt, den man nur vollends verstehen kann, wenn man Geschichte und Verhältnis der beiden Völker über die vergangenen 200 Jahre akribisch analysiert, könnten nun, ähnlich aber stärker wie Anfang der 90er, dschihadistische Söldner eine Rolle spielen.

„Der türkische Staat senkt die Gehälter seiner Söldner in Libyen von 2000 Dollar auf nur 800 Dollar und fordert sie auf, sechs Monate lang nach Aserbaidschan zu reisen, um für 2500 Dollar pro Monat gegen Armenien zu kämpfen" twitterte der syrisch-kurdische Journalist Farhad Shami am 18. Juli unter Berufung auf eine private Quelle.

Auch Ahval News, das Portal des seit 2016 im Exil lebenden Preisträgers des Journalistenpreises der Münchner Südosteuropagesellschaft, Yavuz Baydar berichtete am 21. Juli unter Berufung auf die russische Nachrichtenagentur TASS, die Türkei böte derzeit dschihadistischen Söldnern höhere Löhne, wenn sie aus dem syrischen Afrin oder Libyen für ein halbes Jahr ins Südkaukasus gingen, um im dortigen Konflikt die aserbaidschanische Seite gegen Armenien zu verstärken.

Zwar sind die Einwohner der Türkei mehrheitlich sunnitische Muslime, während man in Aserbaidschan überwiegend dem schiitischen Islam angehört, jedoch fühlen sich die beiden Turkvölker stark miteinander verbunden. Heydar Aliyev, Vater und Vorgänger des heutigen aserbaidschanischen Präsidenten, Ilham Aliyev prägte in Bezug auf die türkisch-aserbaidschanischen Beziehungen während seiner Amtszeit den Wahlspruch: „Eine Nation, zwei Staaten“ (Bir millet iki devlet). Der Slogan wird derzeit in vielen türkischsprachigen Artikeln und bei pro-aserbaidschanischen Demonstrationen aufgegriffen.

Eine gemeinsame offene Grenze zwischen diesen vermeintlichen „zwei Staaten einer Nation“ ist der Traum nicht weniger nationalkonservativer Türken und Aserbaidschaner. Doch durch die Existenz Armeniens gibt es überhaupt keine gemeinsame Grenze, mit Ausnahme der Exklave Nachitschewan.

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Es wäre außerdem nicht das erste Mal, dass Dschihadisten im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan eine Rolle spielen.

In Europa aufgrund der Lage im damaligen Jugoslawien nahezu unbeachtet, markierte der Bergkarabachkrieg zwischen 1992 und 1994 die bislang heftigsten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern im Südkaukasus, die insgesamt rund 30.000 Todesopfer kosteten. Als ihr prägnantestes geopolitisches Resultat für die Region ist die bis heute andauernde De-Facto-Unabhängigkeit Bergkarabachs bzw. Arzachs, wie die Armenier das Gebiet nennen, unter armenischem Protektorat.

Damals bereits kämpften in den Jahren 1992 und 1993 etwa 2.000 afghanische Mudschaheddin mit samt ihrer tschetschenischen Division auf aserbaidschanischer Seite.

Dies geht unter anderem aus einem Bericht des US-amerikanischen CIA-Ablegers FBIS aus dem Jahr 1996 hervor.

Jene tschetschenische Division war damals ca. 200 Mann stark und stand unter dem Kommando von Shamil Basajew, der u.a. als geistiger Drahtzieher der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater am 23. Oktober 2002 und der Anschläge auf zwei Flugzeuge in Russland am 24. August 2004 gilt.

Anfang der 90er waren dschihadistische Söldner im Bergkarabach nur eine Randerscheinung.

Doch heute hat sich die Ausgangslage geändert. Das spätantike Armenien gilt als erstes Land der Welt, welches das Christentum zur Staatsreligion machte. Dass das heutige Armenien sich in dieser Tradition sieht, stellt, ideologisch gesehen, für stramme Islamisten bereits einen Grund dar das kleine Land von der Größe Brandenburgs als Feindbild zu betrachten, ebenso wie die Tatsache, dass einige Armenier in Syrien entweder auf der Seite Assads oder der pro-kurdischen Milizen stehen, also jenen Kräften, die sich im dortigen Bürgerkrieg Gefechte mit pro-türkischen Dschihadisten liefern.

Zudem ist Armenien Russlands wichtigster Verbündeter in der Region. Jenes Russland, das in Libyen mit General Haftar und in Syrien mit Assad jeweils die erbittertsten Gegner der pro-türkischen Milizen maßgeblich unterstützt.

Neben den finanziellen Anreizen wären den Söldern also auch genügend ideologische Gründe gegeben, um sich der Achse Ankara-Baku gegen Jerewan anzuschließen, das militärisch gegen dieses Bündnis nicht ankommen können würde.

Um eine weitere Eskalation vorerst zu verhindern, könnte aber die Abschreckungskraft der militärischen Großmacht Russland entscheidend sein.

Moskau nutzt Armenien als militärischen Brückenkopf im Südkaukasus und hat ein ureigenes Interesse am Fortbestand guter Beziehungen zu Jerewan, denn das Verhältnis zu dessen westlichem Nachbar Georgien ist spätestens seit dem Krieg um Südossetien im August 2008 stark unterkühlt, und trotz guter Beziehungen zu Baku ist man sich im Kreml darüber bewusst, dass ein Aserbaidschan unter Aliyev sich im Zweifel immer für Ankara entscheiden würde. Fiele Armenien, wäre auch Russland nachhaltig geschwächt.

Quellen:

- Ozinian, Alin: Rus basını: Türkiye Libya’dan sonra Ermenistan’a da cihatçı gönderecek, Ahval News, 21. Juli 2020

- United States. Foreign Broadcast Information Service (1996): Daily Report: Central Eurasia, Purdue University, Seite 9

- Tweet von Farhad Shami, 18. Juli 2020

- Googlesuche „Bir millet iki devlet“, Stand 29. Juli 2020

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