Frankreich gegen Kroatien heißt es im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 2018.
Ein sympathischer Underdog trifft auf den Weltmeister von 1998, gleichzeitig die konstant beste Turniermannschaft der letzten 20 Jahre.
Mehr oder weniger abseits des Sports, macht seit Feststehen der Finalpaarung im Netz eine politisch-gesellschaftliche Interpretation des Spiels die Runde.
Deutschland, Frankreich, Islamisierung und Multikulti
Wer in Publikationen, Blogs und sozialen Netzwerken ab und zu deutlich macht oder auch nur andeutet, die Migrations- und Nahostpolitik der Ära Merkel für falsch zu halten, und darüber hinaus die Marginalisierung nicht-muslimischer und liberal-muslimischer Einwanderer anzuprangern, wird in Deutschland seit spätestens drei Jahren, ungeachtet der Argumentation, automatisch dem rechten Spektrum zugeordnet.
Damit geht einher, dass entsprechende Akteure von einer breiten Leserschaft Zulauf erhalten, die mit ihnen in oben genannten Punkten übereinstimmen.
Nicht immer jedoch bedeutet dies, dass 100%ige Schnittmengen in politischen und gesellschaftlichen Fragen vorliegen.
In den letzten Tagen fallen mir vermehrt Menschen auf, mit denen ich ansonsten oft übereinstimme, und die im WM-Finale Kroatien die Daumen halten.
Die Begründung ist nicht etwa sportlicher Natur. Sie sehen im WM-Finale einen Wettkampf der politisch-gesellschaftlichen Systeme.
Für sie repräsentiert Frankreich eine, von Islamisierung zersetzte, immer stärker radikal muslimisch dominierte „Multikulti“-Gesellschaft ohne nationale Identität.
In Kroatien sehen sie das Gegenteil davon, nämlich einen Staat dem noch eine Portion Nationalstolz zu eigen ist, den sich eine, immer größer werdende, Anzahl von Einwohnern Deutschlands derzeit für ihr Land wieder wünscht.
Begriffe wie „Multikulti“ oder „bunt“ sind bei immer mehr Menschen negativ konnotiert.
Angesichts der Negativfolgen der desolaten bundesdeutschen Migrations-, Integrations- und Nahostpolitik sowie dem rüden Verhalten ihrer Befürworter ist das leider auch nur allzu verständlich.
Das o.g. Schema zum Thema Frankreich darf jedoch auf keinen Fall so stehen bleiben!
Hier wird berechtigte Unzufriedenheit mit den Zuständen in Deutschland unberechtigt auf die französische Fußballnationalmannschaft übertragen.
Laizismus, Malikiten und Harkis
Da Islamdebatten und –fragen eine wesentliche Rolle bei dieser falschen Projektion spielen, müssen einige wesentliche gesellschaftliche, politische und historische Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich zunächst klargestellt werden.
Obschon Frankreich zweifelsohne das westliche Land ist, das in den letzten Jahren am härtesten von den gewalttätigen Auswüchsen des Islamismus getroffen wurde, muss angesichts der, eingangs erläuterten sachlich unhaltbaren, Politisierung seiner Nationalmannschaft zunächst einmal Folgendes erwähnt werden.
Die historische Rolle des Islam und der Muslime ist in Frankreich eine andere als in Deutschland.
In der französischen Republik ist Religion allgemein strikt dem Laizismus untergeordnet.
Auf der nächsten Stufe dann ist der Islam verfassungsgemäß mit Christen- und Judentum gleichgestellt.
In der Realität deutscher Politik gibt es diese Prinzipien und Hierarchien so nicht.
Deutschland bzw. vormals Preußen hat sich seit dem späten 18. Jahrhundert mit den Osmanen und somit ihrem staatstragenden Islam der hanafitischen Rechtsschule verbündet.
Hauptleidtragende dieser Bündnispolitik waren, und sind teilweise noch heute, Christen, Aleviten, Yeziden und andere Nicht-Muslime auf dem Balkan und im Vorderen Orient.
In Frankreich, wie auch in seinen ehemaligen Kolonien, hingegen dominiert traditionell eigentlich der liberalere Islam der malikitischen Rechtsschule.
Große Radikalisierungsprobleme resultieren dort, wie auch überall sonst auf der Welt, aus dem, in den letzten Jahren immens gestiegenen, Einfluss von Muslimbruderschaft und Wahhabiten.
Muslime, die ohne ihren Glauben auch nur ansatzweise verleugnen zu müssen, fest zu Frankreich gestanden haben, gibt es dort nicht erst seit gestern.
Sie kämpften in beiden Weltkriegen auf Seiten der Grande Nation gemeinsam mit ihren christlichen und jüdischen Landsleuten.
Bei den muslimischen Verbündeten Deutschlands in den beiden Weltkriegen waren es hingegen vor allem die Feindbilder (Juden, Armenier, Serben, Sinti, Roma) die einen verbindenden Charakter für die Waffenbrüder hatten.
In diesem Kontext sollten auch die Harkis auf keinen Fall unerwähnt bleiben. Sie entschieden sich im Algerienkrieg für die französische Seite gegen die Unabhängigkeitsbewegung, die ideologisch eine Mischung aus Marxismus und arabischem Nationalismus vertrat.
Dafür wurden sie und ihre Familien bitter bestraft.
Zunächst massakrierte man sie gemeinsam mit Europäern und sephardischen Juden, wie 1962 in Oran. Dennoch verweigerte Frankreich den Harkis die Einbürgerung, und überließ sie ihrem Schicksal.
50.000 bis 60.000 Harkis und ihre Angehörigen wurden in den 60ern und 70ern nach dem Rückzug der Franzosen aus ihrer ehemaligen Kolonie von den neuen Machthabern getötet.
Tricolore, Marseillaise und Black-Blanc-Beur
Wie ist es nun tatsächlich um die Themen Nationalstolz und Islamisierung bei den französischen WM-Finalisten bestellt?
Tatsächlich sind fünf von 23 Spielern im französischen Kader Muslime, zwei von ihnen stammen ursprünglich aus Nordafrika, drei aus dem subsaharischen Teil des Kontinents.
„Les Bleus“ schmettern unabhängig von Hauptfarbe und Religion vor den Spielen die Marseillaise, also die französische Nationalhymne. Da macht kein Spieler eine Ausnahme. Auch die französische Presse lobt das mittlerweile.
Dass Rituale einen ordnenden und Gemeinschaft stiftenden Charakter besitzen, wie er bei einem Mannschaftsport nur von Vorteil sein kann, ist zwischen Rhein und Pyrenäen flächendeckend angekommen.
Die Zeiten, in denen, allen voran ein Karim Benzema, ähnlich wie Mesut Özil bei Deutschland, dies allzu demonstrativ boykottiert hat, sind vorbei.
„Es lebe Frankreich! Es lebe die Republik!“ hörte man z.B. von Sturmstar Antoine Griezmann immer wieder nach gewonnenen Spielen bei dieser Weltmeisterschaft.
Im Rahmen einer Pressekonferenz nach dem Halbfinalsieg gegen Belgien ermutigte er öffentlich junge Generationen von Franzosen seinem Beispiel zu folgen, und diese Worte häufiger auszusprechen.
Die Vermutung liegt nah, dass bei entsprechendem Verhalten eines deutschen Nationalspielers eine Nationalismus- und Rechtsradikalismusdebatte herbei geredet worden wäre.
In Frankreich aber stört man sich dieser Tage nicht daran, weder innerhalb der bunten Équipe Tricolore, noch von Seiten der französischen Politik und Presse.
Diese französische Nationalmannschaft ist alles andere als ein Sinnbild von Islamisierung und mangelndem Nationalbewusstsein!
Von einem, durch verantwortungslose Politik, beispiellos gespaltenen Deutschland in dem die Fronten zwischen den politischen Lagern gnadenlos verhärtet sind, aus betrachtet, mag folgender Satz unvorstellbar erscheinen. Doch das Team von Didier Deschamps hat bereits vor dem Finale bewiesen, dass er wahr ist!
Tricolore und Marseillaise bilden dieser Tage keinen Widerspruch zur Renaissance des multikulturellen Black-Blanc-Beur-Spirits, in dem die Grande Nation vor 20 Jahren mit einem eingeschworenen, multiethnischen Team aus dunkelhäutigen, europäischen und nordafrikanischstämmigen Spielern um Zidane, Henry, Djorkaeff und Deschamps bei ihrer Heim-WM erfolgreich war.
Der französischen Fußballnationalmannschaft ist eine faszinierende, konstruktive Symbiose gelungen.
Ein viel besseres Argument als politisch inspirierte Zerrbilder, um im WM-Finale dann doch Kroatien die Daumen zu halten, ist dass die Jungs um Mittelfeldgenie Luka Modrić einen attraktiveren und ansehnlicheren Offensivfußball präsentieren als die, auf dem Platz zwar effektiven aber dabei sehr minimalistisch aufspielenden, Franzosen.
Das WM-Finale 2018 ist vieles, aber sicher kein Kräftemessen der Systeme Multikulti gegen Nationalstaat!